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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2013
Belegschaft bei Nora Systems im Kampf für den Erhalt der Arbeitsplätze gespalten
von Jochen Gester

Das badische Weinheim ist Schauplatz einer heftigen betrieblichen Auseinandersetzung. Sie zeigt, was durch entschlossenen Widerstand erreicht werden kann, aber auch, wie eine Belegschaft gespalten werden kann. Im Zentrum des Konflikts steht der Freudenberg-Konzern, ein weltweit operierender Zulieferer verschiedener Branchen, wie der Automobil-, der Maschinenbau-, Textil-, Bau- und Telekommunikationsindustrie* mit insgesamt 33.000 Beschäftigten. In Weinheim, dem Stammsitz des Unternehmens, ist Freudenberg mit noch 6200 Beschäftigten der zweitgrößte Unternehmer.

Seit 2006 will der Konzern die Ausgründung Nora Systems – ehemals Freudenberg Bausysteme GK –, die Kautschukbodenbeläge für Flughäfen, Krankenhäuser und Schulen hergestellt, trotz guter Einnahmen an einen Konkurrenten verkaufen. Die Sparte soll nicht mehr zum Kerngeschäft gehören. Zur Disposition stehen 900 Arbeitsplätze. Da es in der Belegschaft große Befürchtungen gab, dass die beabsichtigte Marktbereinigung mit Entlassungen und Prekarisierung bezahlt werden müsste, kam es 2007 zu einem echten Aufruhr.

Erfolgreiche Blockade

Die Chemiewerker waren sauer, dass sie von der Geschäftsleitung keine genauen Informationen über ihre Zukunft bekommen hatten. Und die gestreuten Informationen waren nicht geeignet, die Stimmung zu besänftigten. Denn nachdem die Werksleitung zunächst erklärt hatte, der Verkauf sei vom Tisch, wurde das einige Tage später wieder revidiert. Das war zuviel des Guten.

Auf einer kurzfristig einberufenen Betriebsversammlung wurde beschlossen, diese in eine dauerhaft tagende Informationsveranstaltung des Betriebsrats zu verwandeln und am Folgetag alle Zufahrtswege zum Industriepark Freudenberg zu blockieren. Zehn Stunden lang wurde kein Lkw rein- oder rausgelassen. An der Blockade beteiligten sich rund tausend Beschäftigte aus den verschiedenen Gesellschaften auf dem Industriepark, in die das ehemalige Unternehmen Freudenberg in Weinheim aufgespalten wurde. Der Rückstau der Fahrzeuge war 2 Kilometer lang und reichte bis zur Autobahnausfahrt. Das Verkehrschaos war komplett.

Die Just-in-time-Produktion der Automobilindustrie, zu der auch Freudenberg-Komponenten der Dichtungs- und Schwingungstechnik gehören, bekam ein Problem. Dies und der damit verbundene Imageschaden Freudenbergs als verlässlicher Zulieferer trugen dazu bei, dass das Management einlenkte und schriftlich zusicherte, die Verkaufsgespräche auszusetzen. Damit sollte der Betriebsfrieden wiederhergestellt werden. Im Gegenzug hoben die Streikenden die Blockade auf und beendeten die laufende Betriebsversammlung.

In einem Schreiben an die «lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter» machte die Werksleitung jedoch deutlich, dass es sich bei der Blockade um eine strafrechtlich und arbeitsrechtlich nicht tolerierbare Aktion gehandelt habe und allen klar sein müsse, «dass wir diese äußerst maßvolle Haltung (Verzicht auf Strafanzeige und fristlose Kündigung) nicht fortsetzen dürften».

Nachdem die Produktion wieder lief und Gefahr nicht mehr so im Verzug war, stellte die Firma schnell wieder auf Konfrontation um. Das Management konzentrierte sich jetzt darauf, auf verschiedenen Wegen die gegnerische Abwehrfront – an der Blockade hatte sich nahezu die ganze Belegschaft beteiligt – auseinanderzunehmen. Das konnte nur gelingen, wenn eine Mehrheit im Betriebsrat sich kooperationswillig zeigte und die Unwilligen möglichst handlungsunfähig gemacht wurden.

Feige und korrumpiert

Das erste Ziel wurde erreicht. Eine Mehrheit der neugewählten Betriebsratsmitglieder weigerte sich, Helmut Schmitt, den bisherigen Betriebsratsvorsitzenden, der auch in der Wahl 2010 mit Abstand die meisten Stimmen erhielt, erneut zum Vorsitzenden zu wählen. Schmitt, der auch Vorsitzender des Weinheimer Ortsverbands der IG BCE ist, bekam damals diese Stimmen, weil er für den entschiedenen Widerstand gegen die Pläne der Werksleitung steht.

Der neu gewählte Betriebsratsvorsitzende, Erich Baumann, vertritt die Teile der Belegschaft, die sich von einem Nachgeben gegenüber den Forderungen des Unternehmens ihr persönliches Überleben im Betrieb versprechen. Da bei der Verfolgung des zweiten Ziels der Werksleitung vor allem Helmut Schmitt im Wege steht, versuchte diese es mit einer Doppelabmahnung. Der Abgemahnte soll durch die Verbreitung «von Unwahrheiten» den Betriebsfrieden gestört haben. Unwahr soll der Vorwurf sein, die Geschäftsleitung und der Betriebsratsvorsitzende seien bestechlich. Als das Arbeitsgericht die Abmahnungen kassierte, schob Freudenberg noch eine fristlose Kündigung hinterher, die jedoch ebenfalls vor Gericht keinen Bestand hatte.

Auf jeden Fall hat es das Unternehmen geschafft, einen Keil in die Belegschaft zu treiben. Die Angriffe auf die Rechte eines gewählten Belegschaftsvertreters finden die Unterstützung der neuen Betriebsratsmehrheit, die keine Skrupel hat, ihren Widersachern legitime Rechte zu entziehen. Bereits auf einer Betriebsratssitzung im Juli 2012 untersagte der Vorsitzende Baumann dem Betriebsratsmitglied Keller widerrechtlich, sich Notizen von der Sitzung zu machen, und erklärte nach dessen Widerspruch die Sitzung für geheim. Der Kollege Yilmaz riss Keller sogar mit Gewalt das beschriebene Notizblatt aus dem Schreibblock.

Die neue Betriebsratsmehrheit verweigerte dem bisherigen Betriebsratsvorsitzenden auch die Freistellung und sorgte dafür, dass er aus verschiedenen Betriebsratsausschüssen entfernt wurde. Auch die Zustimmung zur fristlosen Kündigung Schmitts ist für diese Art der Interessenvertreter kein Problem. Für das Gericht schon. Der Gekündigte muss wieder eingestellt werden.

Im Verlauf der Auseinandersetzung haben die von Helmut Schmitt vertretenen Kolleginnen und Kollegen von Nora Systems viel Unterstützung bekommen. Der DGB hat Partei für sie ergriffen und den jetzigen Betriebsratsvorsitzenden zum Rücktritt aufgefordert. Es gibt ein Solidaritätskomitee, das zu den Prozessen mobilisiert und das Verhalten der neuen Betriebsratsmehrheit öffentlich verurteilt. Daraufhin haben fünf Mitglieder der neuen Betriebsratsmehrheit den Sprecher des Solidaritätskomitees, Wolfgang Alles (Vorsitzender des Vertrauensleutekörpers bei Alstom), mit Klagen überzogen und werfen ihm «Verletzung der Ehre» vor. Das Amtsgericht, das am 22.10. dazu tagte, war kaum in der Lage, den über 100 Besuchern des Verfahrens Platz zu bieten. Der nächste Verhandlungstermin ist für den 11.November festgesetzt.

*Freudenberg ist traditionell ein Hersteller von Fußbodenbelägen, Dichtungen und Vliesstoffen. Die Belegschaft ist in der IG Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) organisiert.

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