Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2013
Der dritte Schließungsversuch
von Jochen Gester

Im Kreis Esslingen wird ein Arbeitskampf ausgetragen, der sich – wie der im badischen Weinheim – schon über Jahre hinzieht. Die Firma Norgren, Produzentin von Pneumatik- und Hydraulikprodukten für Nutzfahrzeuge und Teil des britischen IMI-Konzern, will seit 2007 ihren Produktionsstandort in Großbettlingen dicht machen.

Ähnlich wie in Weinheim läuft das Unternehmen gut. Doch anderswo winken eben noch größere Profite. Deshalb möchte die IMI den kleineren Teil der Produktionsanlagen an die anderen beiden Standorte Alpen (NRW) und Fellbach verlagern, den Großteil jedoch in Tschechien neu in Betrieb nehmen. Der Belegschaft, 80 Festangestellte und 20 Leiharbeitskräfte, fehlt dafür allerdings das rechte Verständnis. Die fast vollständig in der IG Metall organisierten Beschäftigten haben beschlossen, dem ein wenig Steine in den Weg zu legen.

2007 genügte ihnen ein vierstündiger Warnstreik, um das Unternehmen dazu zu bewegen, öffentlich vom Schließungsplan Abstand zu nehmen. Zuletzt hatten Großunternehmen, vor allem aus der Automobilindustrie, die von Norgren «just in time» beliefert wurden, Druck gemacht. Ein zweiter Versuch der Firma, im Jahr 2009 ein Auslaufen der Produktion durchzusetzen, ließ sich durch die Intervention des Betriebsrats vereiteln. Nun gibt es einen dritten Anlauf. Ende August ließ der Geschäftsführer, begleitet von 20 Werkschützern, die Belegschaft in der Kantine versammeln und verkündete, am Jahresende 2013 sei Schluss. Die Betroffenen wies er an, danach umgehend das Werksgelände zu verlassen. Der Werkschutz stellte sicher, dass alle gingen und bezog Wachposten vor den Werkstoren. Auch die Schlösser an den Toren wurden ausgetauscht.

Diesmal ist die Werksleitung besser gerüstet als in den Vorjahren. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, die mit einschüchternden Strafandrohungen verbunden waren, gelang es ihr, eine Fertigungslinie nach Tschechien abzutransportieren. Zugleich versucht sie, mit Hilfe von Leiharbeitern und Werkvertragskräften irgendwie die Produktion hier aufrechtzuerhalten. Dabei kam ihr entgegen, dass die Belegschaft, im Glauben, vielleicht dadurch ihre Arbeitsplätze zu sichern, im Sommer nochmal vollen Einsatz zeigte. Damit füllte sie jedoch Norgren nur das Lager auf und verschaffte der Firma einen Puffer von bis zu sechs Wochen.

Dennoch wollen die zum Abschuss Freigegebenen nicht so einfach das Feld räumen. Alarmiert durch aufmerksame und solidarische Nachbarn haben sie Anfang Oktober einen weiteren Abtransport von Maschinen verhindert und eine Werkswache eingerichtet. Zusätzlich stehen sie vor der Aufgabe, die Einschleusung streikbrechender Leiharbeiter durch den Werkschutz zu verhindern. Nach einem fünftägigen Warnstreik rief die IG Metall am 14.Oktober zum unbefristeten Streik auf, zwei Tage später demonstrierten 300 Menschen in Nürtingen ihre Unterstützung, davon aktive Gewerkschafter aus etlichen Metallbetrieben der Region. Auch das Schwesterwerk in Fellbach zeigte mit einer Delegation Flagge. Das Arbeitsgericht bestätigte das Recht des Betriebsrats auf Zugang zu allen Werkshallen, der ihm von der Werksleitung verwehrt worden war. Diese hatte alle Fenster der Hallen zukleben lassen, damit niemand mitbekommt, was drinnen abläuft. Den Antrag des Betriebsrats, die Verlagerung von Produktionsanlagen bis zum Abschluss eines Interessenausgleichs zu untersagen, wies das Gericht allerdings zurück.

Für den 4.11. war eine Verhandlung zur Vereinbarung eines Sozialtarifvertrags angesetzt, sie platzte, weil der Arbeitgeber absagte. Die zur Unterstützung der Verhandlungsdelegation vorgesehene Menschenkette um das Werksgelände fand trotzdem statt und konnte mit 300 Beteiligten auch geschlossen werden. Nach Informationen der IG Metall machen sich erste Kunden Sorgen um Qualität und Lieferfähigkeit der Norgren-Produkte. Die Zukunft wird zeigen, wie begründet diese Sorgen sind und ob sie sich in einen weiteren Erfolg der Belegschaft ummünzen lassen. Denkbar ist ja auch, dass die Kunden in dieser Situation nicht mehr Druck auf Norgren ausüben, dass die Firma schnell ausliefert, sondern bereit sind ihr dabei zu helfen, den Widerstand niederzumachen.

Teile diesen Beitrag:

Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.