Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Staat/Parteien 1. Dezember 2013
von Arno Klönne

Seine Kavalleriepferde werde er auch in Zukunft für sozialdemokratische Zwecke bereit halten, versicherte Peer Steinbrück und verabschiedete sich damit aus dem aktiven politischen Dienst – ein doppelbödiger Scherz, der den Parteitag der SPD in Leipzig nicht in bessere Stimmung versetzte.

Es herrschte dort Frust. Ob auch Nachdenklichkeit, wie sie die Kommentatoren an der Rede des Parteivorsitzenden zu entdecken meinten, ist nicht feststellbar, denn eine Debatte über Weg und Ziel der SPD fand nicht statt, nicht wirklich. So bleibt unerschlossen, was in den Köpfen der Delegierten vorging. Immer noch enttäuscht waren sie über das magere Ergebnis der Partei bei den Bundestagswahlen. Aber hatten sie bis dahin ernsthaft damit gerechnet, der sozialdemokratische Kanzlerkandidat könnte mit Hilfe der Grünen Angela Merkel ablösen?

Die Führungsgruppe der Partei ist nun fest entschlossen, ein Regierungsbündnis mit der CDU/CSU zu schließen. Dabei geht es nicht nur um Ministerposten, das Mitregieren würde handfeste Vorteile bringen für viele, die von der Politik leben, in diesem Fall von der sozialdemokratischen. Außerdem raten einflussreiche Gewerkschaftsvorstände dazu, sich auf eine Große Koalition einzulassen. Und die Wähler der SPD sehen, wenn wir den Demoskopen glauben wollen, in ihrer Mehrheit eine solche Lösung als passend an.

Bei den politischen Inhalten der Regierungspolitik sind die Differenzen zwischen der Sozialdemokratie, so wie sie heute dasteht, und den Unionsparteien nicht dramatisch. In den Grundlinien der Außen-, Europa- und Militärpolitik besteht längst eine informelle Große Koalition. Wirtschaftspolitisch sind CDU/CSU und SPD gleichermaßen auf unternehmerische Interessen des «Standorts Deutschland» verpflichtet, denen sich auch die Arbeitsmarktpolitik zu fügen hat. Dass die SPD in Sachen «Wirtschaftskompetenz» lernbereit sei, hat Sigmar Gabriel in Leipzig ausdrücklich hervorgehoben; von einer großen «Umverteilung», nun von oben nach unten, ist ja auch sozialdemokratisch keine Rede mehr. Sozialpolitisch wird man sich, die Kanzlerin hat es schon angedeutet, auf einige Reparaturen an den Folgen der Agendapolitik sowie der Renten-«Reform» einigen können – beide entstammen sozialdemokratischem Regieren oder Mitregieren. Als SPD-Erfolg bei den jetzigen Koalitionsverhandlungen muss ein gesetzlicher Mindestlohn präsentiert werden können; das dürfte machbar sein.

Übrigens hat die SPD-Führung im Bewusstsein einer unangenehmen Tatsache zu agieren: Die CDU/CSU bekam bei der Bundestagswahl massenhaft Stimmen aus der Arbeiterbevölkerung, bei Gewerkschaftsmitgliedern liegt sie nur noch knapp hinter der SPD. Sigmar Gabriel sprach in Leipzig von einer «kulturellen Kluft» zwischen seiner Partei und den «kleinen Leuten» – aber mit dieser oder jener Kultur hat solcherart Entfremdung wenig zu tun.

Noch liegt auf dem Weg der SPD in die Große Koalition eine Barriere; womöglich war die Idee des Parteivorstands, sich per Mitgliederentscheid eine bessere Legitimation für das Bündnis mit der Union zu verschaffen, etwas leichtfertig. Mit allen Kräften arbeitet das SPD-Management nun an der Risikominderung, und besonderen Eifer zeigt dabei die NRW-Chefin Hannelore Kraft, die zeitweilig als Anführerin der innerparteilichen Opposition gegen die Große Koalition galt.

Beim Parteitag in Leipzig konnte erst einmal Frust abgelassen werden, durch etwas Liebesentzug gegenüber den meisten Vorsitz- und Vorstandskandidaten. Ein «Aufstand» jedoch war das nicht. In den nächsten Wochen kommt vieles darauf an, wie in den kommerziellen Medien über die Koalitionsverhandlungen berichtet wird, ob der SPD-Führung «harte Gangart» und Effektivität zugeschrieben werden, nach der Methode «Wir BILDen dir deine Meinung».

Zum Parteitag hatten sich die SPD-Oberen einen Megatrost für frustrierte Mitglieder einfallen lassen: Die dürre Phase einer Juniorpartnerschaft in der unionsgeführten Bundesregierung werde nur vier Jahre dauern, 2017 sei eine Mehrheit für die SPD erreichbar, und zu Bündniszwecken sei man dann auch gesprächsbereit zur Partei Die LINKE hin. Selbstverständlich unter der Bedingung, dass diese sich läutere. Womit gemeint ist: Schluss mit dem Nein zur NATO-Politik und auch mehr sog. «Wirtschaftskompetenz»; wer mitregieren will, muss schließlich wissen, was er dem «Markt» schuldig ist.

Ob die SPD-Führung tatsächlich glaubt, sie könne bei der nächsten Bundestagswahl als Sieger dastehen, weiß man nicht. Und geht sie davon aus, die Grünen stünden dann exklusiv einem Bündnis mit der SPD zur Verfügung? Aber gewiss kalkuliert die SPD damit, durch ihre Abkehr von der «Ausschließeritis» die Linkspartei auf Sicht handzahm zu machen. Dann hätte eine großkoalitionär mitregierende Sozialdemokratie auch weniger Ärger mit der parlamentarischen Opposition.

Und wenn doch nichts wird aus einer regierenden Hilfe der SPD für die CDU/CSU? Dann steht für Angela Merkel die Tür bei den Grünen offen, wie die Vorsitzende der Bundestagsfraktion dieser Partei kundtat.

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