In Argentinien wurden am 27.Oktober die Hälfte der Abgeordneten und ein Drittel der Sitze im Senat neu gewählt. Das Resultat waren eine Niederlage für die amtierende Präsidentin Fernández de Kirchner und ihr linksperonistisches Bündnis Frente para la Victoria (FPV – Front für den Sieg) sowie Stimmengewinne für die gespaltene, z.T. ebenfalls peronistische, rechte Opposition. Die FPV ist mit 33,2% immer noch das größte Parteienbündnis im Land. Auch künftig verfügt sie zusammen mit kleineren Bündnispartnern über die Mehrheit. Das Wahlergebnis bedeutet aber, dass eine Verfassungsänderung, die Fernández de Kirchner eine dritte Amtszeit ermöglichen könnte, ausgeschlossen ist.
Neu bei dieser Wahl ist der Durchbruch für die antikapitalistische Linke, die insgesamt etwa 1,4 Millionen Stimmen erhielt.
Im folgenden ein Auszug aus einem Interview, das Franck Gaudichaud mit CLAUDIO KATZ und EDUARDO LUCITA, Mitglieder des Netzwerks linker Ökonomen Economistas de Izquierda führt.
Wie groß ist der Erfolg der Linken?
Der Löwenanteil der 1,4 Millionen Stimmen, die insgesamt für die Linke abgegeben wurden, ging an das Wahlbündnis Frente de Izquierda y los Trabajadores (FIT – Front der Linken und der Arbeiter*) mit knapp 1,2 Millionen Stimmen. Schon bei den Vorwahlen am 11.August hatte die FIT fast eine Million Stimmen erhalten und etwas später in einigen Provinzwahlen ebenfalls gute Ergebnisse erzielt (bis zu 20%). Ihr Stimmenanteil übertrifft denjenigen, den Frente del Pueblo (FREPU) und Izquierda Unida (IU) – ein Bündnis der früheren MAS (Movimiento al Socialismo) mit der KP Argentiniens – oder Autodeterminación y Libertad in der Vergangenheit bei wichtigen Wahlen erzielten. Die FIT gewann drei Sitze im nationalen Parlament und mehrere Abgeordnete in Provinzparlamenten.
Neu an diesem Ergebnis ist, dass die radikale Linke jetzt auch auf Wahlebene stark geworden ist, während sie bislang nur in den Gewerkschaften und in der Studentenbewegung eine bedeutende Kraft darstellte. Ein großer Teil der Bevölkerung will nicht, dass die Enttäuschung über den Kirchnerismo in einen Rechtsruck mündet, und möchte, dass die erkämpften Errungenschaften verteidigt werden.
Es gibt eine Änderung des Bewusstseins, was vor allem in der Provinz festzustellen ist. Jahrzehntelang konnte die Linke allenfalls in der Hauptstadt oder der Provinz Buenos Aires einen Abgeordneten erhalten. Nun erzielt sie auch im traditionell konservativeren Landesinneren Erfolge. Dort wird der Kirchnerismo nicht von fortschrittlichen Sektoren getragen, sondern von konservativen Gouverneuren und vom orthodoxen justicialismo [d.h. dem traditionellen Peronismus].
Das Kirchner-kritische Mitte-Links-Lager erodiert zunehmend. Wer die Regierung von einem progressiven Standpunkt aus abstrafen wollte, hatte keine andere Wahl, als die Linke zu wählen.
Die Linke hat schon vielfach bei Wahlen kandidiert und nie solche Ergebnisse erzielt…
Sicher. Diesmal konzentrierte sich die Kampagne der FIT auf spezifische Forderungen – etwa die Abschaffung der Lohnsteuern, die Kampagne gegen Chevron, einen Lohn, der dem Grundbedarf einer Familie entspricht, eine auskömmliche Rente... –, wohingegen die Botschaften der traditionellen Parteien mit ihrer Waschmittelwerbung vage geblieben sind. Die Linke hat bei diesen Wahlen ihr Auftreten geändert. Sie hat nicht mehr die Forderung nach einer Arbeiterregierung in den Mittelpunkt gestellt, sondern verstanden, dass man in einem TV-Studio nicht spricht wie auf einer Kundgebung und dass man nicht deshalb zum Sozialdemokraten wird, weil man sich eine Krawatte anlegt. Sie hat auch betont, dass es wichtig und nützlich ist, linke Abgeordnete im Parlament zu haben. Die Massenmedien haben sich diesmal auch nicht auf die Linke eingeschossen, weil sie vor allem im Kirchnerismus ihren Hauptfeind sahen.
Ich meine jedoch, dass der Diskurs der Linken eine Schwäche aufweist, weil er keine Systemkritik enthält. Wenn wir uns an Wahlen beteiligen, dann nicht nur, um den Forderungen der Arbeiter und der einfachen Bevölkerung Gehör zu verschaffen, sondern auch um die Notwendigkeit der Überwindung des Kapitalismus zu erklären.
Wird mit dem Fortschritt der Linken die politische Dominanz des Peronismus aufgebrochen?
Landesweit hat sie 6% geholt mit sehr guten Ergebnissen in stärker industrialisierten Regionen (z.B. im Ölfördergebiet im Süden, wo die Linke 15% erhielt), das zeigt, dass die Dominanz des Peronismus zurückgeht. Die Linke wird wieder stärker, weil der Peronismus in die Krise geraten ist – damit wiederholt sich eine Konstante in der Geschichte Argentiniens. Es hat sich für sie eine Chance eröffnet, die sie nutzen oder verpassen kann. In der Vergangenheit (in den 70er und 80er Jahren) hat die Linke solche Chancen auch schon gehabt, konnte sich aber als Alternative nicht durchsetzen.
Heute taucht eine neue Generation auf, die nicht nur gewerkschaftlich mit dem Peronismus brechen will, sondern auch politisch. Das hat in Bereichen, die bislang die Teilnahme an Wahlen abgelehnt haben, zu interessanten Debatten geführt.
Ihr habt mehr als einmal die FIT stark kritisiert. Haltet ihr diese Kritik aufrecht?
Ja, besonders auf drei Ebenen: Erstens sieht sie im Kirchnerismo zu Unrecht eine Fortsetzung des Peronismus à la Menem und nehmen daher eine neutrale Haltung ein, wenn der Kirchnerismo in Konflikt mit der Rechten gerät. Zweitens reduziert sie die gesamte Linke auf eine orthodox-trotzkistische Front und nimmt drittens gegenüber radikalen Entwicklungen in Lateinamerika (Bolivien, Venezuela usw.) eine sektiererische Haltung ein. Aber diese Differenzen hindern uns nicht daran anzuerkennen, dass die parteipolitisch organisierte Linke einen neuen politischen Faktor darstellt. Diese Veränderung zwingt uns, alte Vorurteile abzulegen und neue Möglichkeiten der Annäherung zu suchen. Die FIT sollte sich über die Organisationen, aus denen sie derzeit besteht, hinaus öffnen, und der Rest der Linken sollte in einem Prozess des gegenseitigen Verstehens und Lernens auf sie zugehen.
Die FIT besteht aus: Partido Obrero (PO), Partido de los Trabajadores Socialistas (PTS) und Izquierda Socialista (IS). – Das vollständige Interview auf www.internationalviewpoint.org/ spip.php?article3157.
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