von Paul B. Kleiser
Es gibt wenige Künstler in deutschen Landen, die das politische und kulturelle Leben über einen sehr langen Zeitraum so nachhaltig geprägt haben wie Dieter Hildebrandt. Mit seinen Fernsehsendungen Notizen aus der Provinz und Der Scheibenwischer erreichte er ein Millionenpublikum, für das diese Sendungen Kultstatus erlangten. Für die deutsche Rechte, vor allem die CSU mit Franz Josef Strauß und Konsorten oder die hessische «Stahlhelmfraktion» unter Dregger, und natürlich für die Regierung des dünnhäutigen Helmut Kohl, wurde er zum Hassobjekt.Vor den Bundestagswahlen 1980, als Strauß Kanzlerkandidat der Union war, verordnete das ZDF Hildebrandt eine «Denkpause». Denn seine Positionen zu Krieg, Kriegstreiberei und (Neo-)Faschismus ließen nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig – was den Zorn des Kandidaten und seiner Anhänger erregte. In aller Schärfe geißelte er auch den Revanchismus der «Vertriebenenverbände», die ihre «Heimat» wenn möglich durch einen neuen «Ostlandritt» mit Gewalt zurückholen wollten und auf deren Treffen Postillen der neofaschistischen Gruppen en masse herumlagen. Persönlich war Hildebrandt ein Mensch ohne alle Starallüren, freundlich und hilfsbereit und voll des gerechten Zorns über die tagtäglichen Ungerechtigkeiten in Wirtschaft und Politik.
Der 1927 im schlesischen Bunzlau geborene Hildebrandt gehörte der Generation der Flakhelfer an; diese jungen Burschen sollten auf Befehl Hitlers als letzte Reserve des untergehenden «Dritten Reichs» bei der Verteidigung von Berlin gegen die anrückende Rote Armee verheizt werden. Doch der Panzertruppengeneral Walther Wenck hielt sich zum Glück für tausende junger Männer nicht so recht an diesen Befehl aus dem Führerbunker, so dass die meisten von ihnen überlebten. Der unterernährte 17jährige Hildebrandt schwamm, nur mit einer weißen langen Unterhose bekleidet, über die Elbe zu den Amerikanern und rief einem Soldaten zu: «I am a soldier!» Dieser musterte ihn leicht amüsiert und meinte dann: «No, not you!»
Die Schrecken des Krieges prägten Hildebrandt sein ganzes Leben, sodass er immer auf Seiten der Kriegsgegner stand. In den 60er Jahren schlug er sich auf die Seite der Unterstützer von Willy Brandt und trat, wie so viele Intellektuelle, in die SPD ein, aber der von Helmut Schmidt durchgepeitschte NATO-Doppelbeschluss zur Nachrüstung ließ seine Beziehung zu dieser Partei ziemlich erkalten (ohne dass er das Parteibuch zurückgab). Er unterschrieb den «Krefelder Appell» und beteiligte sich an zahlreichen Aktionen der Friedensbewegung.
Lach und Schieß
Anfang der 50er Jahre kam Hildebrandt nach München, um dort Theaterwissenschaften zu studieren. In München hatte Rudolf Schündler das erste Nachkriegskabarett, «Die Schaubude», gegründet, deren wichtigster Autor Erich Kästner wurde. München besaß seit dem späten 19.Jahrhundert eine lange Tradition von Kabarett und Varieté, für die Namen wie Frank Wedekind und natürlich Karl Valentin und Liesl Karlstadt stehen. In der «Kleinen Freiheit» der aus Berlin stammenden Trude Kolman (damals angeblich das beste Kabarett in Deutschland) verdiente sich Hildebrandt seinen Unterhalt als Platzanweiser. Hier dürfte er auch den großen Entertainer Werner Finck kennengelernt haben, der das «Dritte Reich» wohl nur wegen seiner regionalen Bekanntheit überlebt hat und dessen «stotternde» Form, die Wahrheit auszusprechen, von Hildebrandt alsbald adoptiert wurde.
1955 gründete Hildebrandt das Studentenkabarett «Die Namenlosen», das in der Altschwabinger «Alten Laterne» auftrat. 1956 rief Sammy Drechsel dann die berühmte «Lach- und Schießgesellschaft» ins Leben, die bis heute besteht. Hildebrandt war zusammen mit Klaus Peter Schreiner, Hans Jürgen Diedrich und Klaus Havenstein ab dem ersten Programm dabei: «Denn sie müssen nicht, was sie tun». Dieses Programm rechnete mit der von Adenauer und Strauß durchgesetzten Remilitarisierung der BRD ab. Der «Lach und Schieß» wurde innerhalb kurzer Zeit – auch durch den Beitritt von Ursula Herking als Sängerin – zu einer Institution der Gegner des reaktionären Adenauer-Staats, der tausende alte Nazis in wichtige Funktionen gehoben hatte – Hans Globke etwa, der den Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen geschrieben hatte, wurde Chef des Kanzleramts und damit Adenauers rechte Hand.
Gleichzeitig wurde die junge Literaten- und Künstlergeneration der BRD auf das Ensemble aufmerksam. Denn die ereignisreichen 60er Jahren waren geprägt durch die Spiegel-Affäre und den Rücktritt von Strauß, der in zahlreiche Skandale um Beschaffungsprogramme für die Bundeswehr (Starfighter!) verwickelt war. Die «Schwabinger Krawalle» waren ein erstes Anzeichen für den entstehenden Jugendprotest, es folgten die erste Rezession 1966/67 und das Ende des «Wirtschaftswunder»-Kanzlers Ludwig Erhard, die Große Koalition und der Kampf gegen die Notstandsgesetze, die Studentenrebellion und der Beginn der Kanzlerschaft von Willy Brandt 1969. In dieser Zeit wurde die «Lach und Schieß» zu einer Art kulturellem Fackelträger gegen die deutsche Rechte und ihre Protagonisten. Mit dem Amtsantritt von Willy Brandt und seiner Reformpolitik schien es seinen Daseinszweck verloren zu haben und löste sich (in der alten Form) auf.
Beim Fernsehen
Dieter Hildebrandt wechselte, nach einigen Zwischenstationen, 1973 zum ZDF und gestaltete dort die Notizen aus der Provinz, die erste Kabarettsendung im deutschen Fernsehen überhaupt. Diese Sendung imitierte die damals üblichen Politiksendungen von Rechtsaußen Gerhard Löwenthal (ZDF-Magazin) bis Linksaußen Peter Merseburger (Panorama). Hildebrandt saß an einem Tisch und gab in seinem (oft bissigen) Verlautbarungston seine systemkritischen Sentenzen über den deutschen Politikbetrieb zum Besten. Reihenweise beschwerten sich Politiker über diesen unverfrorenen Spötter, der Aussagen und Schlagworte der Herrschenden mit feinem Gespür für den dahinterstehenden kapitalistischen Irrsinn auseinandernahm und verhohnepiepelte.
Die neokonservative Zeitenwende im Gefolge der Schleyer-Entführung und der Anti-RAF-Hysterie Ende der 70er Jahre plus die Kanzlerkandidatur von Strauß führten dann dazu, dass die Oberhäupter des ZDF Hildebrandt eben die berühmte «Denkpause» verordneten.
Hildebrandt ging zum SFB (Sender «Freies» Berlin) und begann jene Sendung, die ihn zu einer Legende zu Lebzeiten gemacht hat, den Scheibenwischer. Wer später einmal das Zeitalter von Helmut Kohl studieren möchte, wird kaum besseres Material finden, um die «geistige Lage der Nation» (immerhin trat Kohl an, eine «geistig-moralische Wende» durchzusetzen) zu begreifen.
Vor allem aber war diese Sendung das Sprungbrett für zahlreiche Kabarettisten und Kulturschaffende, die hier ihre Fähigkeiten beweisen konnten und häufig auch von Hildebrandt gefördert wurden – Bruno Jonas, Gerhard Polt, Urban Priol, Matthias Riechling, Richard Rogler, Georg Schramm, Monika Gruber, Gisela Schneeberger und vor allem Konstantin Wecker und die Biermösl Blosn mit den Well-Brüdern. Ohne Übertreibung lässt sich sagen, dass es das heutige deutsche Kabarett ohne den «Ziehvater» Hildebrandt so nicht geben würde.
Am liebsten legte er sich mit der bayerischen CSU an, etwa in einer Sendung von 1982, in der er Straußens Vorzeigeobjekt, den Rhein-Main-Donau-Kanal, als das sinnloseste Bauwerk seit dem Turmbau zu Babel bezeichnete. Gleichzeitig wies er nach, dass die meisten Minister inklusive Strauß im Aufsichtsrat der Baugesellschaft saßen und für ihre «Auslagen» 70000 Mark jährlich erhielten. Der Prozesshansel Strauß wollte vor Gericht, wurde aber von seinen Anwälten zurückgehalten, weil die erfahren hatten, dass die Behauptungen den Tatsachen entsprachen und bewiesen werden konnten.
Als im April 1986 der Reaktor von Tschernobyl explodierte, machte sich der Scheibenwischer das Thema zu eigen und polemisierte gegen diese «todsichere» Form der Energiegewinnung. Das ließ den Fernsehdirektor des Bayerischen Rundfunks, Helmut Oeller, nicht ruhen; der BR klinkte sich aus der Scheibenwischer-Sendung der ARD einfach aus. In Bayern gab es wegen dieser Zensurmaßnahme einen Riesenaufstand, die Sendung wurde unter der Hand auf Video vertrieben und in zahlreichen Theateraufführungen nachgespielt; die Zensur wurde zum Rohrkrepierer.
Wirkungsmächtig
Immer wenn es um den Kampf gegen die Neonazis ging, war Hildebrandt zur Stelle. Als 1997 in München die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht gezeigt wurde, versuchten Neonazis durch eine Großdemonstration dagegen vorzugehen. Hildebrandt war einer von hunderten von Prominenten, die sich dagegen wandten und zu einer (verbotenen) Gegendemonstration aufriefen. Die etwa 5000 Teilnehmer der Nazidemo wurden von fast dreimal so vielen Gegendemonstranten gestoppt, sodass die Polizei deren Demonstration schließlich auflöste. Ein bekannter Münchner Antifaschist und Nazigegner, Martin Löwenberg, erhielt wegen des Aufrufs zur Gegendemonstration einen Strafbefehl, legte Widerspruch ein und wurde vom Richter mit einer hanebüchenen Begründung verurteilt. Hildebrandt las die Begründung in seiner Fernsehsendung vor und machte den «schrecklichen Richter» zur Schnecke. Diese Reaktion dürfte dazu beigetragen haben, dass die meisten in dieser Sache Angeklagten schließlich freigesprochen wurden.
Auch in seinen letzten Jahren, als Hildebrandt noch zahlreiche Lesetouren unternahm, auf denen er aus seinen Büchern vortrug, blieb er ein kritischer Beobachter des Zeitgeschehens. Er engagierte sich für die Gründung einer neuen Internetplattform, stoersender.tv – «eine Spielwiese für alle, die sich nicht abfinden wollen» –, die seinen Kampf gegen rechtes und inhumanes Gedankengut und für Gerechtigkeit und Menschlichkeit fortsetzen soll – ohne die Grenzen, die TV-Bürokratie und politische Einflussnahme setzen.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.