Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2014
Koalitionsvertrag: Wie immer ohne Gewähr

von Manfred Dietenberger

Die SPD musste erreichen, dass der Mindestlohn von 8,50 Euro im Vertrag steht. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich der Unterschied zwischen dem Schlagwort für das Publikum und den realen Auswirkungen für die Betroffenen.

Es ist vollbracht. Die CDU/CSU/SPD-Koalitionäre haben sich nach einem langen Show-Marathon auf einen 184-Seiten-Katalog vager Absichtserklärungen verständigt, der noch schnell vor Weihnachten auf den Gabentisch kommen soll. Die Zustimmung der Mehrheit der SPD-Mitglieder zur Bildung dieser Großen Koalition wird in diesen Tagen fieberhaft herbeiorganisiert. Natürlich müssen die Mitglieder viele dicke Kröten schlucken, doch was soll’s? Als langjährige Parteigenossen sind sie darin geübt und haben sich auch längst daran gewöhnt, dass ihre Parteiführung im Bestfall kämpft bis zum Umfallen...

Alles was halbwegs im Interesse der arbeitenden Menschen wäre, wie zum Beispiel die «Mütterrente», steht jetzt schon unter dem Damoklesschwert «Finanzierungsvorbehalt» und dem gemeinsamen Bekenntnis zur «konsequenten Einhaltung der Schuldenbremse». Sicher sind nur die Ministerposten der neuen Regierung.

Wer jetzt einwendet, dass jetzt «dank» der SPD wenigstens der gesetzliche Mindestlohn kommt hat recht – und eben auch nicht. Mit 8,50 Euro und erst ab 2015? Der DGB vergisst zu sagen, dass ab 2015 in Wirklichkeit erst einmal nur die Beschäftigten mehr Geld erhalten werden, die bislang unter keinen Tarifvertrag fallen. Die Gewerkschaften haben in der Vergangenheit jedoch auch Tarifverträge mit Löhnen unter 8,50 Euro abgeschlossen, 11% der geltenden Tarifverträge in Deutschland schreiben solche Armutslöhne fest – vor allem im Osten der Republik. Beschäftigte mit solchen Verträgen kommen erst dann in den Genuss des Mindestlohns, wenn ihr Tarifvertrag ausläuft – spätestens jedoch ab dem 1.Januar 2017. Von solchen Tarifverträgen sind nach Schätzungen aus Gewerkschaftskreisen nur 10% der tariflich Beschäftigten betroffen.

Und dennoch, selbst ein Mindestlohn light von 8,50 Euro bringt wenigstens ab 2015 4,1 Millionen regulär Beschäftigten und 5 Millionen Minijobbern – also rund 9,1 Millionen Menschen – mehr Geld in ihre dann immer noch viel zu leere Lohntüte. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung errechnete Mitte dieses Jahres, dass ein Mindestlohn von 8,50 Euro, würde er sofort und flächendeckend eingeführt, die Ausgaben für ALGII-Leistungen (für Aufstocker also) um bis zu einer Milliarde Euro jährlich senken würde; zudem würde er zu Mehreinnahmen bei der Einkommenssteuer von rund 800 Millionen Euro und bei den Sozialabgaben von knapp 1,7 Milliarden Euro führen.

Was im Koalitionsvertrag steht, ist eine Sache, die Aussagen dort sind schwammig genug. Was dann im Gesetz stehen wird, welche «Ausnahmen» da noch alle reingeschrieben werden, ist eine ganz andere. Für Praktikanten und Azubis scheint der Mindestlohn z.B. nicht gelten zu sollen; es kann aber auch sein, dass noch Berufsgruppen herausgenommen werden, die derzeit unter die Kategorie «tariflich nicht gesicherte Arbeit» fallen.

Das Loblied auf den Mindestlohn, mit dem jetzt die Ja-Stimmen von der SPD eingekauft werden, ist unverdient: Michael Schlecht, volkswirtschaftlicher Experte der Linksfraktion im Bundestag, schätzt, dass damit die Lohnsumme aller Beschäftigen gerade mal um etwas mehr als ein Prozent steigen wird! «Existenzsichernd», wie von den Koalitionären behauptet, sind die 8,50 Euro eh nicht. Und flächendeckend kommt der Mindestlohn erst ab 2017. Wieviel kann man sich dann noch für 8,50 Euro kaufen? Erstmals kann der Mindestlohn überhaupt erst ab dem 1.Januar 2018 «von einer Kommission der Tarifpartner überprüft, gegebenenfalls angepasst» werden. Diese Kommission entscheidet künftig darüber, ob und um wieviel er jeweils angehoben wird. Keine Rede von einer automatischen Angleichung an die Inflationsrate. Im Gegenteil, Vorsicht ist hier geboten. Denn leicht wird aus dieser, bislang nicht präzise benannten, Kommission ein Instrument zur Neuauflage von «Lohnleitlinien». Dann könnte der Mindestlohn auch schnell zu einem «Höchstlohn» umgedeutet werden.

Misstrauisch machen auch Formulierungen im Vertragswerk wie diese: «Um den bestehenden Koalitions- und Tarifpluralismus in geordnete Bahnen zu lenken, wollen wir den Grundsatz der Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip unter Einbindung der Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gesetzlich festschreiben.»

Der jetzt beabsichtigte Mindestlohn ist eine Mogelpackung, geschnürt von Leuten, die allein als Bundestagsabgeordnete 8252 Euro Diäten monatlich einsacken (neben der Kostenpauschale und der Altersversorgung). Die meisten von ihnen werden auch zustimmend im Parlament die Hand heben, wenn es nach der Regierungsbildung darangeht, zur Umverteilung der «Lasten» der sich sicher bald wieder verschärfenden Krise neue soziale Grausamkeiten auf die «Menschen draußen im Land» abzuwälzen. Insofern wird bald Kanzlerin Merkels «Weiter so» gelten.

Es liegt also an uns, wohin die Reise künftig geht. Ob die Gewerkschaften mitmarschieren? Nur, wenn die Gewerkschaftsmitglieder ihren Führungen das Marschlied dazu blasen. Denn gegenwärtig ist von «oben» nur Stuss zu hören. Der Deutsche Gewerkschaftsbund schreibt: «Die seit 2006 anhaltende Kampagne des DGB und seiner Mitgliedgewerkschaften hat sich gelohnt. Die Richtung stimmt. Gut für Deutschland, gut für Millionen Beschäftigte. Endlich bekommt das ökonomisch stärkste Land in Europa einen gesetzlichen Mindestlohn. Die Beschäftigten bekommen ihre Würde zurück.»

 

 

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