Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2014
Volksentscheid gegen Olympiabewerbung erfolgreich

von Hans-Peter Gase

Am 10.November stimmten die Bürgerinnen und Bürger der Städte München und Garmisch-Partenkirchen sowie der Landkreise Traunstein und Berchtesgadener Land gegen das Vorhaben, München solle sich als Austragungsort für die Olympischen Winterspiele 2022 bewerben. Die Medien stellten daraufhin die Frage, ob sich Großprojekte in Deutschland überhaupt noch durchsetzen lassen. Ein Rückblick auf die Beweggründe für das Nein zu Olympia mag eine Antwort darauf geben.München hatte sich schon vor zwei Jahren für die Olympischen Winterspiele 2018 beworben, damals hatte das IOC abgelehnt und Pyeongchang in Südkorea den Zuschlag erteilt. Die Befürworter – CSU, FDP, SPD, Freie Wähler in Eintracht mit dem FC Bayern, den Konzernen SAP und Audi sowie Unternehmen der Tourismusbranche und der IHK – wollten jedoch nicht aufgeben, zu verlockend schien ihnen das «enorme Innovationspotenzial für die Wirtschaft». Sie gründeten das Bündnis «o-ja-22» und investierten geschätzte 3 Millionen Euro in eine flächendeckende Werbung (die Hälfte davon kam von der «Tourismus-Initiative München», einem Zusammenschluss von Geschäftsleuten, Brauereien, der BMW-Welt u.a.); die Stadt München zahlte 1,5 Millionen aus Steuergeldern.

Die absehbaren Schäden wurden heruntergespielt: Von den benötigten 16 Sportstätten seien elf bereits vorhanden, drei würden nur temporär errichtet, andere umgebaut. Versprochen wurden «die nachhaltigsten und umweltschonendsten Spiele» aller Zeiten. Das IOC hat jedoch seit den 80er Jahren den Weg der ständigen Vergrößerung und vollständigen Kommerzialisierung eingeschlagen. Die Zahl der Wettbewerbe nimmt von Mal zu Mal zu: In Sotschi 2014 werden es 98 sein, 12 mehr als in Vancouver 2010; in München wären es deutlich über 100 geworden.

Die Gegner haben ihnen die Beteuerungen deshalb nicht abgenommen, sie konnten auf darauf verweisen, dass die Spiele erfahrungsgemäß stets um ein Vielfaches teurer werden als anfänglich geplant, die überdimensionierten Sportstätten danach nicht mehr genutzt werden, Landschafts- und Flächenverbrauch dafür immens sind. Die Spiele sind schlicht zu groß geworden und die sportbegeisterten Fans haben nichts davon, weil die Eintrittskarten zu teuer sind und die Durchführung der Spiele die Austragungsorte in den Ausnahmezustand versetzt.

Die Gegner hatten sich im Bündnis «Nolympia» zusammengeschlossen: die Grünen, Die LINKE und die ÖDP zusammen mit dem Bund Naturschutz Bayern, den Naturfreunden, Attac und anderen Umweltschutzgruppen. In München mobilisierten, statistisch gesehen, die Grünen, Die LINKE und die ÖDP mehr Bürger für das Nein, als sie Stammwähler haben.

18 Gründe

18 Gründe gegen eine Bewerbung zählte das Bündnis Nolympia auf seiner Webseite auf: von den Stichworten «Dialog» und «Erfahrung» über «Klimawandel» bis hin zu «Vertragsgestaltung der IOC» und «Wasserschäden» (/www.nolympia.de/grunde-gegen-olympia-2018). Sie laufen allesamt auf ein «Es reicht!» hinaus. Eine Schwelle scheint überschritten:

Die Haushaltsbelastung: Allein die Bewerbungskosten sollten, zusätzlich zu den Werbekosten für ein Ja zum Bürgerentscheid, 29 Mio. Euro verschlingen, die direkt oder indirekt aus Steuergeldern aufzubringen gewesen wären. Bei einem Zuschlag hätten mindestens weitere 3,3 Mrd. Euro für Infrastruktur und Durchführung aufgebracht werden müssen, realistischerweise jedoch weit mehr: Eine Studie der Universität Oxford ht nämlich ermittelt, dass in den letzten 50 Jahren die Endkosten der Spiele im Durchschnitt um 179% höher ausgefallen sid als geplant.

Auch in München und sonst in Bayern stöhnen jedoch Lehrer und Eltern über herabfallende Fenster (an Münchner Schulen) oder abstürzende Decken (an der Uni Erlangen) – und über den Mangel an Personal. Ein Sportlehrer in München kommentierte die Bewerbung: «Wegen Sparmaßnahmen wurde an unserer Schule die Turnhalle geschlossen. Soll ich jetzt den Kindern und Eltern sagen, dass man statt Geld für eine Turnhalle lieber 29 Mio. Euro allein für eine unsichere Olympiabewerbung ausgibt?» Die GEW Bayern hat gegen die Bewerbung mobilisiert, vom Rest der Gewerkschaften war nichts zu hören.

Der Natur- und Landschaftsverbrauch: Der Klimawandel ist spürbar in den Alpen: Im Februar 2011 lag in Garmisch-Partenkirchen keine geschlossene Schneedecke mehr. Tagsüber herrschten ausnahmslos Plusgrade, sogar im zweistelligen Bereich. Während der Ski-WM 2011 gelang die Präparation der Pisten nur noch mit Mühe und nur mit großen Mengen an Kunstschnee, Vereisung und nächtlicher Dauerpräparation. Das erfordert großen Wasserbedarf und hohen Energieaufwand zur Vollbeschneiung aller Ski-Sportstätten. Im Winter 2010/2011 wurden für die Ski-WM 350000 Kubikmeter Wasser verbraucht – mehr als das Doppelte der Wassermenge, die in den Speicherbecken im Skigebiet von Garmisch-Partenkirchen vorgehalten wird. Umfangreiche neue Speicher hätten gebaut werden müssen. Die flächenmäßig zunehmende, künstliche Beschneiung droht überdies, die Alpen auszutrocknen.

Durch die Einbeziehung von Spielstätten in Garmisch-Partenkirchen und am Königssee hätten zudem weitere olympische Dörfer, Tunnels und Straßen gebaut werden müssen, der Verkehr zwischen den drei Standorten hätte immens zugenommen. Das bayrische Oberland wäre zu einer Großbaustelle geworden, noch bevor München den Zuschlag erhalten hätte.

Für die Stadtbevölkerung in München hätte Olympia steigende Mieten, überfüllte U-Bahnen und Fußgängerzonen bedeutet. Für die hier ansässigen Konzerne BMW, Siemens, Allianz und Munich Re (Münchner Rück) wäre Olympia ein weiterer Schritt gewesen, München zu einer Mega-City auszubauen – und das ist stark umstritten.

Der Knebelvertrag: München hätte noch vor dem Zuschlag einen sog. Host-City-Vertrag unterschreiben müssen, der dem IOC erlaubt hätte, einseitig die Richtlinien und die Wettbewerbe zu bestimmen, ohne Einspruchsrechte für die Gemeinden. Der Vertrag sieht für alle Geschäfte im Zusammenhang mit den Spielen völlige Steuerfreiheit vor, außerdem im Umfeld der Sportstätten und auf den Zufahrten und Zugängen ausschließlich Werbung und Verkauf für und von Produkten der Hauptsponsoren (etwa McDonald’s, Coca Cola, Dow Chemical) und eigene Fahrspuren für die «olympische Familie» zu allen Wettkampfstätten.

Das IOC regelt die Aufteilung der Einnahmen aus den Spielen, es macht damit immer Gewinn, Defizite müssen von den Veranstaltern getragen werden.

Last but not least war das Nein zu Olympia auch eine Auflehnung gegen die versuchte Manipulation der Abstimmung: Denn die Unterlagen für den Bürgerentscheid enthielten nur die Argumente der Befürworter. Der Antrag der Grünen, auch die Argumente der Gegner aufzuführen, wurde im Stadtrat (ebenso wie im Kreisrat Berchtesgaden) abgelehnt – der Pro-Flyer wurde, einschließlich Stimmzettel, in einer Auflage von mehreren hunderttausend an die Haushalte verteilt. «Das ist ein Putinsches Demokratieverständnis», wetterte deshalb Rita Poser, die Kreisvorsitzende des Bundes Naturschutz.

Haushaltskrise, Umweltkrise und Demokratiedefizit haben bei Nolympia zusammengewirkt. Offenkundig haben Menschen aus verschiedensten Bevölkerungsschichten die Nase voll davon, dass ihre Lebensqualität zugunsten von Profitinteressen beeinträchtigt und ihnen obendrein noch das Maul gestopft werden soll.

 

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