von Angela Huemer
Eigentlich sollte es ein ganz anderer Film werden, ein Film über den deutsch-ägyptischen Autor und Politologen Hamed Abdel Samad, dafür hatte er auch schon Förderung erhalten. Doch dann kam alles anders.
Die Revolte in Tunesien schwappte vor fast genau drei Jahren nach Ägypten über und es trat ein, was niemand für möglich gehalten hatte: das Regime Mubarak wurde gestürzt. Seither ist viel passiert, aus Marco Wilms’ Film ist eine besondere Art der Dokumentation über diese nach wie vor andauernde Revolution geworden – ein Film über die Künstler, die mit ihren Graffitis die Revolution mitprägen.
Filminitiativ Köln, die hochprofilierten Organisatoren des Afrika-Filmfestivals, haben die Filmpremiere in Köln organisiert. Karl Rössel hieß in dem bis auf den letzten Platz gefüllten Saal des Kölner Filmhaus-Kinos einen der wichtigsten Künstler willkommen, der im Film portraitiert wird, Ammar Abo Bakr. Es sollten noch andere Künstler anreisen, doch sie erhielten kein Visum und der ebenfalls angekündigte Regisseur Marco Wilms nahm zur selben Zeit einen Preis in Biarritz in Empfang.
Ursprünglich, erzählte Ammar Abo Bakr in Köln, sollte Marco Wilms für ihn Material drehen, denn seine eigene Kamera war ihm gestohlen worden. Er stimmte daher zu, dass Marco ihn filmt, wenn er anschließend das Material verwenden kann. Nie hätte er gedacht, dass am Ende dieser Film daraus entstehen würde.
Der Filmemacher Marco Wilms hat in der Tat eine Herkulesaufgabe übernommen: Einerseits portraitiert er hochtalentierte Künstler, Grafiker und Maler, die die Graffitis gestalten, sowie Sänger wie Ramy und Bosaina. Gleichzeitig gelingt es ihm, das politische, sich ständig wandelnde Umfeld im Ägypten der letzten drei Jahre verständlich und klar wiederzugeben, ohne in politische Rhetorik zu verfallen. Dabei verzichtet er auf Narration, stattdessen orientieren kurze, prägnante Texte den Zuschauer. Mitunter ist er mittendrin im Geschehen, im gewaltsamen Geschehen – ganz offensichtlich haben Marco Wilms und seine Kollegen einiges bei den Dreharbeiten riskiert. In einer Szene wird auch klar, dass auch die Zusammenarbeit zwischen dem Regisseur und den Protagonisten nicht immer reibungslos verlief. So sagt in einer Szene des Films Ammar ganz klar zu Marco, er solle aufhören zu filmen. Danach erklärt er ihm, warum: «Wenn wir die Wand bemalen und dabei gefilmt werden, sind wir noch mehr Zielscheibe, als wir es ohnehin schon sind, das ist gefährlich.»
Die Spannungen im Ägypten der letzten Jahre werden auch deutlich, als der Autor Hamed Abdel Samad wegen seines T-Shirts von einer Gruppe sehr junger Männer verbal angegriffen wird. «God is busy» steht da drauf, «Gott ist derzeit beschäftigt». Die jungen Männer betrachten das als Blasphemie, und es fehlt nicht viel zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung.
Die Graffitis, die wir im Film zu sehen bekommen, sind über ihre politische Aussagekraft hinaus künstlerisch sehr bemerkenswert. Diese Graffitis, erklärt Ammar in Köln, sind ganz anders als die westlicher Kollegen wie Banksy (vom diesem veröffentlichte die SoZ im Mai 2009 ein Bild auf S.2). Vorher werden die Behörden um Erlaubnis gefragt, die Künstler sehen die Graffitis als eine Wandzeitung. Und: Sie stehen in einer ganz anderen Tradition, die besonders Ammar sehr wichtig ist. Ganz bewusst nehmen die Künstler auf die Jahrtausende alte künstlerische Tradition des Landes Bezug.
Im Film fahren wir mit Ammar nach Luxor, in den Süden des Landes, wo das Tal der Könige ist und Tempel von atemberaubender Schönheit stehen, auf denen sich seit Tausenden von Jahren wunderbare farbige Malereien erhalten haben. Wir sehen aber auch die einfachen Malereien auf den Wänden der Häuser von Luxor. Ammar nimmt direkt darauf Bezug. Mit einem Künstler aus Luxor bemalt er eine Wand mit der Arche Noah, ein wichtiges Motiv, das noch einmal gegen Ende des Films auftaucht.
Mit Ammar besuchen wir auch eine Sufi-Gemeinde mitten in der Wüste. Dieser Teil des Films, so erzählt er in Köln, war ihm am allerwichtigsten. Gefragt danach, wie ihm der Film gefällt, sagt er vorbehaltlos Ja. Vor allem ist er froh, dass ein breites Publikum all dies zu sehen bekommt – die zwangsweise flüchtigen Versuche, die Revolution mit Graffitis zu begleiten. Denn sie sind nicht für die Ewigkeit gedacht, stets werden sie aktualisiert.
Im Film geht es auch sehr wesentlich um die Rolle der Frauen. Wir lernen junge Künstlerinnen kennen, etwa die Musikerin Bosaina. Beeindruckend ihre Energie, mit der sie gegen das Gefühl ankämpft, sich im eigenen Land fremd zu fühlen, und mit aller Kraft versucht, sich Raum zu verschaffen in dieser sich ständig verändernden ägyptischen Gesellschaft.
Ein sehr gelungener und mitreissender Film, der, besonders angesichts des dritten Jahrestages der ägyptischen Revolution, eine optimale Gelegenheit bietet, innezuhalten und zu betrachten, was alles geschehen ist in dieser turbulenten Zeit.
Der Film hatte am 24.1.2014 Kinostart, mehr dazu unter www.missingfilms.de.
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