Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2014
von Ingo Schmidt

Auf dem ZK-Plenum der KP Chinas im November vergangenen Jahres präsentierte der neue Staatspräsident Xi Jinping Eckpunkte seiner neuen Wirtschaftspolitik. Dabei liegt ihm besonders die Privatisierung von Agrarland am Herzen.

Bislang gibt es in China kein Privateigentum an Agrarland, nur in den Städten gibt es private Immobilienmärkte. Agrarland ist nach wie vor öffentliches Eigentum, Bauern haben aber Nutzungsrechte, die ihnen eine Existenzsicherung unabhängig vom Verkauf ihrer Arbeitskraft an kapitalistische Unternehmer erlauben. Im Umland der großen Städte und Industriezentren hat die Verdrängung von Bauern durch Neubausiedlungen in den letzten Jahren immer wieder für Konflikte gesorgt. Ohne Eigentumstitel hatten die Bauern gegenüber örtlichen Bürokraten und Immobilienunternehmen aber keine legale Handhabe zur Verteidigung ihrer Interessen. Mit solchen Konflikten und mit der Bekämpfung der Korruption begründet die KP-Fraktion um Xi die Einführung privaten Landeigentums auch außerhalb der Städte.

Beim Verweis auf die Korruption von Teilen des Staats- und Parteiapparats geht es freilich weniger um die Existenz der armen Bauern, er ist vielmehr Bestandteil eines Fraktionskampfs, der mittlerweile entschieden ist. Darüber wurde Bo Xilai, der als ehemaliger Handelsminister und Mitglied des Politbüros eine Führungsfigur der Parteilinken war, zu lebenslanger Haft verurteilt und politisch kaltgestellt. Die Privatisierungsfraktion um Xi störte allerdings weniger, dass Bo korrupt war, sondern dass er weiteren Privatisierungen im Wege stand. Diese werden nicht nur von Xi, sondern auch von westlichen Firmen als unabdingbar zur Aufrechterhaltung von Wirtschaftswachstum und Profiten, aber auch der sozialen Stabilität angesehen.

Ob die Rechnung aufgeht, ist zweifelhaft. Auch wenn es gelingt, durch die Privatisierung von Agrarland für weiteres Wachstum zu sorgen, was durchaus plausibel erscheint, dürfte dies die sozialen und möglicherweise auch politischen Konflikten verschärfen.

Ende eines Wachstumsmodells?

Die Integration der chinesischen Industrie in den Weltmarkt ab dem Beginn der 90er Jahre beruhte zu einem erheblichen Teil auf billiger Arbeitskraft. Die niedrigen Löhne verdankten sich nicht allein der Abwesenheit unabhängiger Gewerkschaften und der politischen Repression, sondern auch einer Agrarverfassung, die den Bauern einerseits Nutzungsrechte gewährte, ihnen aber gleichzeitig den Umzug in die Stadt verbot. Infolgedessen zogen Arbeitskräfte, die zur Bewirtschaftung des Bodens nicht gebraucht wurden, zeitweise oder dauerhaft, in beiden Fällen aber illegal, in die Städte, wo sie insbesondere im Bausektor entscheidend zum explosionsartigen Wachstum beitrugen. Wie überall sonst auf der Welt, sorgte die Existenz massenhaft verfügbarer, illegaler Arbeitskraft auch in China dafür, dass das Lohnniveau gedrückt wurde. Die Möglichkeit, städtische Arbeiter, die sich seit Mao Zedongs Zeiten sozialer Mindestsicherungen erfreuten, durch meist illegale Zuwanderer vom Lande zu ersetzen, war ein entscheidender Faktor für den Aufbau chinesischer Weltmarktfabriken.

Von deren Erfolgen hängen aber die Profite westlicher Investoren ebenso ab wie die politische Macht der Privatisierungsfraktion in der KPCh. Dabei kommt es immer wieder zur Rangeleien. So sehr einige westliche Unternehmen die Profite Made in China schätzen, so sehr klagen andere Unternehmen und westliche Politiker immer wieder über die Niedriglohnkonkurrenz aus Asien, die ihre Handelsbilanzen belastet und regelmäßig als Ursache der Arbeitsmarktprobleme des Westens präsentiert wird.

Schon vor der Großen Rezession forderten westliche Politiker die Chinesen auf, den Renminbi aufzuwerten, um die Kostenvorteile chinesischer Exporte einzuschränken. Der Rückgang des Welthandels im Zuge der Krise veranlasste die chinesische Führung unter Xis Vorgänger Hu Jintao zu einer stärkeren Orientierung an der Binnennachfrage. Dabei kam es aber nicht zu einer Ausweitung des Massenkonsums, wie die Kräfte um Bo gefordert haben, sondern zu einer massiven Zunahme vor allem der Investitionen in Infrastruktur und Immobilien. Die Immobilienmärkte in den chinesischen Großstädten gelten mittlerweile bei westlichen Investoren und chinesischen Bürokraten gleichermaßen als überbewertet und damit als absturzgefährdet. Höchste Zeit, neue Anlagemöglichkeiten zu finden. Auf den Feldern, die bislang noch von chinesischen Bauern unter den Pflug genommen werden, sollen in Zukunft die Profite sprießen.

Widersprüche der Agrarreform

Zur Begründung der Privatisierung von Agrarland wird die geringe Effizienz des chinesischen Agrarsektors angeführt. Nach der Auflösung der Volkskommunen Ende 1978 ist China zu einer kleinbäuerlichen Produktionsweise zurückgekehrt. Bei einer durchschnittlichen Betriebsgröße von kaum mehr als einem halben Hektar (zum Vergleich: Deutschland knapp 60 ha, USA fast 170 Hektar) sind dem Einsatz von Maschinen und der Realisierung von Skalenerträgen bei der Beschaffung von Saatgut und Düngemitteln bzw. bei der Vermarktung von Agrarprodukten enge Grenzen gesetzt. Ein erheblicher Teil der Agrarproduktion dient dem Eigenverbrauch und stellt damit eine wichtige soziale Absicherung gegenüber der Produktion für den Markt bzw. der Lohnarbeit dar. Befürworter der Privatisierung machen in der Regel keinen Hehl daraus, dass viele Kleinst- und Kleinbetriebe nicht überleben werden.

Mit steigender Betriebsgröße gehen Produktivitätssteigerungen und die Freisetzung von Arbeitskräften einher. Das ist durchaus gewollt. Der, von geringen Schwankungen abgesehen, seit gut zwei Jahrzehnten anhaltende Aufschwung der Industrieproduktion hat mittlerweile zur Entstehung einer neuen Arbeiterklasse geführt, die auch ohne Streikrecht und unabhängige Gewerkschaften zunehmend Druck auf die Unternehmer ausübt. Eine nahezu unablässige Serie kleinerer und größerer Streiks hat in den letzten Jahren Lokalpolitiker und Unternehmer immer wieder zu Zugeständnissen zugunsten der streikenden Arbeiter gezwungen.

Verstärkt wird der Druck auf die Unternehmer durch die Alterung der chinesischen Bevölkerung. Mit diesem Argument wird seit Jahren in allen Teilen der Welt die Verlängerung der Lebensarbeitszeit und die Kürzung der Renten begründet, obwohl die Arbeitslosigkeit, vor allem die Jugendarbeitslosigkeit, seit der Großen Rezession von Jahr zu Jahr neue Rekordmarken erreicht.

In China hat dieses, ansonsten ins Reich der Mythologie gehörende, Argument allerdings durchaus empirische Relevanz. Es beschreibt eine Folge der 1-Kind-Politik, die 1979 eingeführt wurde und zu einem abrupten Rückgang der Geburtenrate führte. Diese Politik soll nun in absehbarer Zeit gelockert oder ganz aufgehoben werden. Doch selbst wenn das geschieht und die Geburtenrate danach wieder steigen sollte, wird es noch lange dauern, bis die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter wieder signifikant ansteigt. In der Zwischenzeit soll die Privatisierung von Agrarland für profitable Investitionsmöglichkeiten sorgen und auch die Reihen der industriellen Reservearmee in den Städten wieder auffüllen.

Eine ökonomische Strategie mit politischen Risiken. Vielen Arbeitern, insbesondere den illegal in die Städte gewanderten, dient die Verbindung zum Land als Sozialversicherung. Ihr Pendeln zwischen Stadt und Land führt auch dazu, dass sich das Wissen über die Arbeitskämpfe in der Stadt und das dabei entstehende Selbstbewusstsein auch auf dem Land verbreiten. Zudem gelten die landwirtschaftlichen Nutzungsrechte der Bauern trotz aller sonstigen Vorbehalte als eine Errungenschaft der Revolution, die es zu verteidigen lohnt.

Wenn es für Xi und die hinter ihm stehenden Kapitalinteressen inner- und außerhalb Chinas schlecht läuft, kehrt die Linke in Gestalt einer Arbeiter-und-Bauern-Bewegung zurück.

 

 

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