von Manuel Kellner
David Schraven hat tausende Seiten offizieller Dokumente gesichtet und mit einer Reihe von deutschen Soldaten gesprochen. Die gewonnenen Erkenntnisse verarbeitete er nicht zu einer klassischen Reportage, sondern machte daraus zusammen mit dem Zeichner Vincent Burmeister einen Comic.*
«Soldaten sind keine Brunnenbauer. Soldaten sind Soldaten. Sie tragen Waffen. Sie töten, wenn es sein muss. Und sie nehmen zivile Opfer in Kauf, wenn es nicht anders geht.» Das stellt David Schraven in einer Nachschrift zu seiner grafischen Reportage «Kriegszeiten» klar.
Er wendet sich gegen die offiziellen Verniedlichungen, die über viele Jahre hinweg dazu geführt haben, dass Deutschland in fernen Ländern Krieg führt, obwohl die meisten Deutschen sich nicht als Teil einer kriegführenden Nation empfinden. Von «Friedensmissionen» war immer die Rede, von Aufbauhilfe und Sanitäterdiensten. Die Wirklichkeit sah und sieht anders aus.
Schravens und Burmeisters Buch ist in düsteren Farben gehalten, fast grau in grau mit ockerfarbenen und rostroten Tönen, irritierend nüchtern, ohne aufdringliche Schreckensbilder – es ist eher sperrig als eingängig, und der größte Teil des Textes besteht aus wörtlichen Zitaten von deutschen Kriegsteilnehmern.
Aufmarsch
Im ersten Teil des Buches, der den Titel «Aufmarsch» trägt, präsentiert sich der Autor nicht als Gegner des Afghanistankriegs von Anfang an – im Gegenteil. Den Auftakt macht der Anschlag auf das World Trade Center in New York: «Tausende sind in den Türmen verbrannt. Man fand nur wenige Leichen. Die meisten wurden zu Staub. Ich habe den Staub geatmet…» Die Kriegserklärung des US-Präsidenten erscheint als dessen logische Folge: «Jeder, der in New York dabei war, wusste, dass der Krieg begonnen hatte. Der Feind saß in Afghanistan.» Doch dieser Krieg wurde dann über zehn Jahre lang geführt und «Frieden ist nicht wirklich in Sicht».
Deutschland ist mit dabei, zusammen mit seinen Bündnispartnern von der Nato: «Aus einer Bürgerarmee zur Verteidigung Deutschlands wurde eine Berufsarmee – weltweit einsatzbereit. Mit modernen Waffen.» Lange Zeit beschäftigte sich David Schraven nicht mit dem Krieg in Afghanistan, er nahm ihn nur als «Hintergrundrauschen im täglichen Fernsehprogramm» wahr. Aber irgendwann wollte er genauer wissen, wie die Sicherheit der Deutschen am Hindukusch verteidigt wird und wofür schon über 50 Bundeswehrsoldaten gefallen waren, im «Kampf um die Freiheit».
Anfangs, im zerstörten Kabul, sieht Hauptfeldwebel Gerd Thomas Elend, obdachlose Kinder, «viele verlorene Seelen», und besorgt sich bei Händlern das Material, um das große Camp Warehouse aufzubauen. Die Deutschen sollen für Sicherheit sorgen. Noch passiert nicht viel, noch sieht es so aus, als werde nur «Krieg gespielt».
«Die einzige echte Gefahr» geht vom Kommando Spezialkräfte aus. Diese «schweren Jungs» vom KSK sind bis an die Zähne bewaffnet, «Hilfskräfte der amerikanischen Militärmaschine» ohne klare Funktion, und sie bringen ihre schweren Waffen und ihre Granaten in die Unterkunft mit: «Ich hatte vor allem Angst, die sprengen sich selbst in die Luft, und uns gleich mit.»
Viele sind sehr arm in Afghanistan, aber einige sind sehr reich und werden durch den Krieg immer reicher. Kofferweise wird Bargeld verschoben. Drogenbarone organisieren und Warlords sichern den Opiumschmuggel. Die Regierung von Hamid Karzai bekommt laut dem damaligen Außenminister Westerwelle von Deutschland rund 430 Millionen Euro im Jahr. «Muhammed Atta und andere Warlords erhalten von uns für Polizei und Hilfstruppen Millionenbeträge.» Entwicklungshilfe fließt, unter Korruptionsverdacht stehenden Firmen werden lukrative Aufträge zugeschanzt. Insgesamt schaufelt der Westen jedes Jahr rund 3 Milliarden Euro nach Afghanistan.
Der Infanterist Dirk Koszinski erzählt, wie er mit seinem Zug Aufbauarbeiten sichert. Albanische Subunternehmen bohren Brunnen, die oft von den Taliban gleich wieder zerstört werden. Hauptmann Siegmann erklärt das «Peacebuilding», den «Friedensaufbau» bei dem Schulen eingerichtet und Polizisten ausgebildet werden. «Alles, was brisant war, wurde geheim gehalten. Das Erstarken der Aufständischen, die Selbstmorde … das Parlament war außen vor.» Das «Klein-klein» lief «eigentlich gut», aber «niemand dachte darüber nach, mit wem wir zusammenarbeiteten. Wir haben einfach irgendwelche Banditen zu legitimen Herrschern gemacht. Ich habe Massengräber in der Wüste gesehen. Mit den Mördern wollten wir einen Staat machen.»
Festgefahren
Im zweiten Teil, «Festgefahren», ist «der Einsatz im Sumpf stecken geblieben». Es wird bekannt, dass die Familie des Präsidenten Karzai im Drogenhandel mitmischt. Die Korruption hat sich verallgemeinert. Jeder schmiert jeden. Die Wahlen werden gefälscht: «Alles gedeckt vom Westen, auch von uns Deutschen.»
Die deutsche Regierung hält das Bild vom «Entwicklungshelfer in Uniform» aufrecht. Aber es wird gestorben und getötet. Hauptmann Paul Gromzky erklärt, dass die Kämpfe mit den Taliban manchmal tagelang andauern. Der von Oberst Klein ausgelöste Luftangriff am 4.September 2009, durch den fast hundert Zivilisten umgebracht werden, ändert die öffentliche Wahrnehmung des Krieges in Deutschland. Aber der tadschikische Kommandeur Mohammed Atta wird weiter von den Deutschen «unterstützt mit allem, was sie haben.» Dabei soll er hinter den Todeslisten gegen seine alten paschtunischen Feinde stecken, die mit Hilfe der NATO «abgearbeitet werden».
Krise
Die Situation wird immer unhaltbarer. «Krise» heißt der dritte und letzte Teil der grafischen Reportage. Er beginnt mit der Londoner Konferenz 2009. Da ging es den westlichen Staatenlenkern um die Formulierung einer «Strategie» oder um die Frage, «wie man sich möglichst bald ohne Gesichtsverlust aus dem Staub machen kann»: Aufbau von Infrastruktur in Teilen des Landes, Bau von Schulen und Zählen der Mädchen, die da eingeschult werden, Ausbau der Stromversorgung, Werbung von «Abakis», von feindlichen Kämpfern für den Aufbau einer «Art gekaufter Polizeimiliz».
Es geht aber auch um einen «Kampfplan für neue Offensiven der ISAF-Truppen». Ganze Distrikte sollen erobert werden. Die Afghanistan-Karten, die im Comic gezeigt werden, verdeutlichen, dass es eigentlich nur um «Orte entlang der afghanischen Ringstraße» geht, die das Landesinnere einschließt. Nur da kommen die schweren Versorgungstrupps der Westmächte voran. «Niemand bezweifelt, dass die mächtigsten Armeen der Welt eine Straße erobern können. Aber schon wenige Kilometer… entfernt können die Aufständischen das Land übernehmen, die ISAF wird ihnen kaum folgen.»
In diesem letzten Teil wird von Schlachten berichtet, die die Bundeswehr im Rahmen einer viele Monate andauernden Offensive führte, mit Feuergefechten und Panzerangriffen. Sechzehnmal wird eine Panzerhaubitze abgefeuert: «Das Treffergebiet sieht aus wie eine Wüste. Danach ist Ruhe.» Zu den Opfern gibt es keine Angaben. Dafür entkorkt Verteidigungsminister Guttenberg einen neuen Begriff: «kriegsähnliche Zustände». Niemand weiß, wieviele Taliban gefallen sind und wieviele Gefangene der afghanische Geheimdienst gemacht hat. Man weiß aber, dass «Leute wie Dostum», ein mit dem Westen verbündeter Kriegsverbrecher, «Gefangene von Panzern überrollen und Tausende Taliban in Containern in der Wüste verrecken» ließ.
Der Comic endet mit den Worten: «Afghanistan ist nur der Auftakt für die neuen Kriegszeiten.» In seiner Nachschrift kommt David Schraven zu dem Schluss: «Der Krieg in Afghanistan ist verloren.» Dieser Krieg ist aber nicht vorbei. Mitte Januar 2014 wird offiziell vermeldet, dass die Gewalt im Bundeswehrgebiet eskaliert: 2013 wurden bis November im bewährten Verschleierungsdeutsch 1660 «sicherheitsrelevante Zwischenfälle» registriert – 35% mehr als im Jahr davor.
*David Schraven, Vincent Burmeister: Kriegszeiten. Eine grafische Reportage über Soldaten, Politiker und Opfer in Afghanistan. Hamburg: Carlsen, 2012.
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