von Hans-Dieter Hey
Eine Fotoausstellung des Kollektivs R-mediabase versucht, dem bildlichen Exhibitionismus der Armut etwas entgegenzusetzen.
Die Wirtschaft brummt, die Kassen klingeln, Deutschland steht vor der Vollbeschäftigung. Den meisten Menschen geht es gut in einem der reichsten Länder der Welt. So jedenfalls der Mainstream der bürgerlichen Presse. Doch das positive Bild bröckelt. Inzwischen ist von einer dramatischen Zunahme der Kluft zwischen arm und reich die Rede, den Tafeln fällt es schwer, die wachsende Kundschaft zu versorgen. Immer mehr Menschen holen sich Nahrungsmittel aus den Mülleimern. Die Obdachlosigkeit steigt drastisch.
Nun soll an dieser Stelle nichts weiter über Armut ausgeführt werden, die dem kritischen Betrachter ohnehin bekannt ist. Wohl aber darüber, wie mit diesem Skandal bildmedial umgegangen wird. Denn die «stark zunehmende Armut wird von Publizisten wie Politikern weiterhin verharmlost und verdrängt» (Christoph Butterwegge). Dabei wissen wir, dass die Medien eine große Verantwortung tragen, weil es ihr gesetzlicher Auftrag ist, mit den Möglichkeiten der Bebilderung uns eine immer kompliziertere Welt anschaulich zu vermitteln. Und ich schiebe sofort ein, dass sie dieser Verantwortung nicht gerecht werden, ja, sogar die der Presse eingeräumte Freiheit missbraucht wird.
Infotainment statt gesellschaftliche Relevanz
Regelmäßig finden wir daher bildliche Armutsdarstellungen in Einzelschicksalen und Katastrophenbildern veranschaulicht wie «Florida-Rolf» und seine trügerischen Idylle, einen Obdachlosen, oder wenn umstrittene Meinungsäußerungen prominenter Politiker öffentliches Aufsehen erregen wie im Falle von Franz Müntefering, Guido Westerwelle, Thilo Sarrazin oder aktuell Horst Seehofer. Damit wird die Auseinandersetzung mit sozialen und politischen Themen «unter der Perspektive des ‹Infotainments› in der Tendenz verstärkt boulevardisiert», schreibt eine Studie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Doch die bildliche Darstellung einer Suppenküche sagt noch nichts über den Suppenküchenstaat aus, ein Flaschensammler nichts über Altersarmut, Kinder ohne Markenkleidung nichts über Kinderarmut und ein Obdachloser nichts über Obdachlosigkeit. Die gesellschaftliche Relevanz und die Ursachen bleiben vor der Tür. Dazu meinte Berthold Brecht einst provokatorisch, dass es «nicht gestattet sein sollte, Fotos zu veröffentlichen, damit sie gerührt angeglotzt werden». So «ist es gelungen, selbst tiefste Armut auf eine modische, technisch perfekte Weise zu einem Gegenstand der Genusses zu machen», äußerte Walter Benjamin schon 1934. Armutsbilder werden auf diese Weise konsumierbar. Dabei ginge es darum, die gesellschaftlichen Zusammenhänge hervorzuheben, Bilder müssen Partei ergreifen und zum Handeln auffordern.
Die Herausforderung ist hoch, denn wir leben in einer Welt unendlich vieler vor Belanglosigkeit strotzender Bilder, gemacht von Bildbesessenen. Durch die Digitalisierung ist das Bild zum billigen Massenartikel der Kultur- und Freizeitindustrie geworden, deren Ergebnis schließlich auf der Müllhalde der Kulturvergessenheit landet. Wie im Film oder in einer Diaschau folgt ein Bild dem nächsten und macht das vorherige bedeutungslos. In den Social Media wird der Exhibitionismus sozial Verarmter auf die Spitze getrieben. Und zwar ohne die notwendige Bindung an eine bedeutungsstützende kollektive Wirklichkeit. Denn der Konsum gehört dem Individuum, die Deutung der Bilder aber dem Kollektiv. Wahrscheinlich gelingt die Erschütterung der bürgerlichen Sehnsuchtsbilderwelt, gar die Zertrümmerung ihrer Scheinaura, nicht. Aber es muss der Bildkunst um die Rückgewinnung der Politisierung gehen, wie schon Walter Benjamin forderte.
Die Evolution des Sozialen in Bildern
Der Evolution des Bildes muss endlich eine Evolution des Sozialen erfolgen. Vielleicht gelingt das, wenn sich die digitale Bilderwelt mit der analogen arrangiert. Digitale Bilderwelten erhalten erst ihren Wert, «wenn sie mobil durch Netze jagen, sich nicht isolieren, sondern sich dialogisch mit im Hypertext des Internets vernetzen», meint Andreas Schelske. Inhaltlich verbunden mit analogen Fotografien, erhalten sie nicht nur einen kommunikativen Wert, sondern auch den angemessenen Platz für die historische Erinnerung.
Analoge Bilder enthalten die notwendige «wohltemperierte Ruhe» (Schelske) für den Betrachter. Die bekommt man nicht im Internet, sondern in der direkten Kommunikation an sozialen Orten wie Ausstellungen und Veranstaltungen. Denn «herausgehoben durch die Kamera bleibt die Not der Zeit vor uns stehen, sieht uns an und verlangt ein Zwiegespräch», so Berthold Beiler in seinem epochalen Fotowerk Die Gewalt des Augenblicks. Ausstellungen zwingen den interessierten Betrachter, gedanklich zu verweilen und Auge in Auge zu kommunizieren.
In dem Projekt «Armut in Deutschland» des Fotoverbandes R-mediabase wird versucht, ein solches Konzept zu verwirklichen. Lange vor der Ausstellungseröffnung in der Bergischen Universität Wuppertal im November 2013 wurde die Entwicklung des Projekts im Netz begleitet, in Form von Fotografien und Filmen veröffentlicht und so zur Diskussion angeboten.
Dabei war den Fotoaktivisten wichtig, die Fotoausstellung zu Beginn in den intellektuellen Rahmen der Universität und der Veranstaltung «Die nützliche Armut» der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW zu setzen. Der Kontakt zur Basis über die DGB-Bildungseinrichtung in Hattingen war nicht weniger wichtig.
Das Konzept der Ausstellung fordert den weitestgehenden Verzicht auf Klischeevorstellungen, ohne auf den appellativen Charakter zu verzichten und das inzwischen permanent Unerträgliche zu zeigen. Die Bilder sollen dabei die Würde der Betroffenen nicht verletzen. Auf eine ästhetische Überhöhung wurde verzichtet, um die Politik nicht zu entlasten.
Die Ausstellung ist zur Zeit im städtischen Treff «Kick» in Hattingen zu sehen (www.kick-unruhe.de). Weitere Orte folgen.
Weitere Informationen auf: http://r-mediabase.eu/?view=category&catid=209, http://r-mediabase.eu/infos-aktuelles/156-armut-in-deutschland-ausstellungseroeffnung-in-wuppertal.
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