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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2014
Kampf um Mindestlohn und gewerkschaftliche Solidarität

von Jochen Gester

Am 3.Januar des neuen Jahres befahl die Regierung des Königreichs Kambodscha ihrer Militärpolizei, auf eine Demonstration streikender Textilarbeiterinnen zu schießen. Es gab fünf Tote und Dutzende von Schwerverletzten. 39 Arbeiterinnen wurden verhaftet und an unbekanntem Ort inhaftiert. Angesichts der massiven staatlichen Gewalt haben die Gewerkschaften den Streik vorerst abgebrochen, halten jedoch an ihren Forderungen fest.
Die Textilindustrie ist mit einem Exportvolumen von fast 4 Mrd. US-Dollar eine zentrale Säule der Wirtschaft des Landes und nach Landwirtschaft und Tourismus ihr drittgrößter Sektor. In den 795 Fabriken der Textil- und Schuhindustrie sind etwa 600000 Arbeitskräfte beschäftigt, davon etwa 90% Frauen. Die Exporte gehen zu 70% in die USA. Die EU ist der zweitgrößte Abnehmer.

Obwohl die Arbeiterinnen hier nicht, wie in Pakistan und Bangladesh, in den letzten Jahren Opfer von Brandkatastrophen wurden, die von den menschenverachtenden Arbeitsbedingungen in den Fabriken ausgelöst wurden, sind die Arbeitsverhältnisse in Kambodscha nicht viel besser. Immer wieder fallen massenweise Näherinnen in Ohnmacht. Dafür verantwortlich sind chemische Substanzen, die die Kleidung haltbar machen sollen. Sie wirken zusammen mit unzureichender Luftzufuhr und mangelnder Ernährung – ein Ergebnis der Hungerlöhne, mit denen sich die Belegschaften über Wasser halten müssen. Die Beschäftigten sehen sich genötigt, am Essen zu sparen und sogar die Pausen noch durchzuarbeiten. Lange Arbeitszeiten und Überstunden tun ihr übriges.

Mindestlohn

Seit Jahren kämpfen die Arbeiterinnen in der Textilindustrie für eine Erhöhung der Mindestlöhne. Im letzten Jahr hat die Regierung einer Erhöhung von umgerechnet 58 auf 69 Euro im Monat zugestimmt, doch die ist völlig unzureichend: Bei einer 6-Tage-Woche und einem 9-Stunden-Tag würde das 29 Cent pro Stunde bedeuten. Während die Löhne in China, Vietnam und Indonesien in den letzten Jahren gestiegen sind, sind sie in Kambodscha gesunken, was die Attraktivität des Landes für die Einkäufer der großen Labels gesteigert und dazu geführt hat, dass selbst chinesische Lieferanten hier andocken. Die Gewerkschaft NIFTUC (National Independent Federation Textile Union of Cambodia) fordert eine Verdoppelung des Mindestlohns auf 116 Euro.

Die NIFTUC war die erste unabhängige Gewerkschaft, die sich Ende der 90er Jahre im Rahmen einer liberalisierten Arbeitsgesetzgebung registrieren ließ. Es gibt heute etwa 600 Gewerkschaften, was zum einen darauf beruht, dass die Gründung von Gewerkschaften relativ einfach ist und nicht, wie in anderen Ländern, einen anspruchsvollen Hürdenlauf voraussetzt. Zum anderen haben auch die Unternehmer zahlreiche Vereinigungen ins Leben gerufen mit dem Ziel, wirkliche Gewerkschaften abzuwehren.

Gewerkschaftliche Arbeit ist nicht ohne Bedrohung von Leib und Leben möglich. So wurde 2004 der populäre Gewerkschaftsführer Chea Vichea ermordet, andere Morde an Gewerkschaftsaktivisten sind nach wie vor unaufgeklärt.

Die Bewegung der Textilarbeiterinnen hat dies nicht unterdrücken können. Im Jahr 2010 gab es eine große Streikbewegung, an der sich nach Angaben der Gewerkschaften in der Hochphase rund 200000 Arbeiterinnen aus 90 Betrieben beteiligten. Am Ende forderte die Gewerkschaft CCADWU ihre Mitglieder auf, Reueerklärungen zu unterschreiben. So gelang es, die Zahl der Entlassenen von 1000 auf 140 zu senken. Als die Arbeitsbedingungen nach der Rückkehr der Streikenden jedoch weiter verschärft wurden, nahm die CCADWU ihre Empfehlung wieder zurück.

Generalstreik

2013 entwickelte sich die nächste große Streikwelle, zunächst beim Nike-Zulieferer Sabrina Garment Manufacturing. Für die Arbeitsniederlegung bei Sabrina verließen etwa 3500 der 5000 Beschäftigten ihren Arbeitsplatz und besetzten eine Straße. Das Unternehmen ließ sie gewaltsam von der Polizei räumen, eine schwangere Arbeiterin verlor dabei ihr Kind. Sabrina konnte auch davon profitieren, dass die Gewerkschaften gespalten waren. Die CCAWDU beteiligte sich am Streikbruch und erleichterte damit auch die Festnahme von Aktivistinnen der Freien Gewerkschaften Kambodschas (FTU).

Im September erfasste die Bewegung die SL Garment Processing, ein Textilunternehmen aus Singapur. Auch hier reagierte die Unternehmensleitung mit der Entlassung von 720 Textilarbeiterinnen, 5000 Werksangehörige wurden ausgesperrt. Doch nach vier Monaten, im Dezember 2013, gelang es der Belegschaft nach mehrstündigen Verhandlungen mit Vertretern der Regierung und der Bekleidungsindustrie, die meisten ihrer Forderungen durchzusetzen.

Am Ende des Jahres wurde dann der Generalstreik für die Verdoppelung des Mindestlohns ausgerufen; er führte nach Angaben des Wall Street Journal dazu, dass die Textilindustrie komplett lahmgelegt wurde. Der Arbeitgeberverband konterte auf gleicher Ebene und sperrte auch die nicht bestreikten Betriebe aus, sodass fast 600000 Lohnabhängige außer Arbeit gesetzt waren. Zudem forderte er die Regierung auf, den Streik gewaltsam niederzuschlagen. Der «geschäftsführende Ausschuss des Kapitals» waltete seines Amtes. Die New York Times berichtete, Spezialkräfte des Militärs seien mit Eisenstangen, Messern, AK47-Sturmgewehren, Zwillen und Knüppeln auf streikende Arbeiterinnen losgegangen.

Hauptprofiteur dieser Exzesse von Ausbeutung und Gewalt sind die großen Bekleidungsketten wie H&M, Zara, Levi’s, Walmart, Adidas, Puma, C&A oder Gap. Sie bestimmen die Preise. Eine Jeans, die bei uns für 100 Euro verkauft wird, hat einen Lohnkostenanteil in der Produktion von 1 Euro. Eine Verdoppelung des Mindestlohns und die Beendigung der elenden Arbeitsverhältnisse würde die Auftraggeber pro Kleidungsstück lediglich Centbeträge kosten.

Zur Unterstützung der kambodschanischen Textilarbeiterinnen haben IndustriALL, UNI Global Union, der Internationale Gewerkschaftsbund und der kambodschanische Gewerkschaftsbund eine Solidaritätskampagne initiiert. Sie haben die Regierung in Phnom Penh aufgefordert, die Gewalt zu beenden, die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wieder herzustellen, die festgenommenen Arbeiterinnen freizulassen und die Verhandlungen über den Mindestlohn wieder aufzunehmen. Die Hauptprofiteure bleiben bei dieser Kampagne leider außen vor.

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