Seit 30 Jahren findet zwischen Weihnachten und Neujahr der Chaos Communication Congress statt. Er hat angefangen als ein Arbeitstreffen des Chaos Computer Clubs, ist stetig gewachsen und hat inzwischen Zulauf von einer internationalen Community, die sich mit den Problemen der Informationstechnologien und ihren gesellschaftlichen Auswirkungen befasst.
Der 30C3, wie die Abkürzung lautet, im Dezember 2013 stand stark im Zeichen der Enthüllungen Edward Snowdens und der Debatte, was zu tun wäre. Überraschend trat auch die Wikileaks-Mitarbeiterin Sarah Harrison auf, sie hat den US-Geheimdienstenthüller Edward Snowden auf seiner Flucht begleitet. Sie betonte, Wikileaks werde trotz des Drucks der US-Regierung weiter arbeiten: «Wir setzen unsere Veröffentlichungen fort.» Aus Angst vor Strafverfolgung könne sie derzeit aber nicht nach Großbritannien zurückkehren. «Deswegen bleibe ich in Deutschland», sagte Harrison, der die Zuhörer stehend applaudieren.
Mit Constanze Kurz, der Sprecherin des CCC, sprach Rolf Euler.
Weitere Infos auf der Seite des CCC: www.ccc.de. Von Constanze Kurz gibt es eine Kolumne unter www.faz.net/aktuell/feuilleton/aus-dem-maschinenraum.
Vom 27. bis 30.Dezember 2013 fand zum dreißigstenmal der Kongress des Chaos Computer Clubs statt. Glückwunsch, dass ihr solange durchgehalten habt!
Danke. Als der Kongress zum erstenmal durchgeführt wurde, hätte niemand geglaubt, dass er solch eine Tradition begründen würde und schon gar nicht, dass die Teilnehmerzahlen von ein paar Dutzend Leuten zu diesmal 9000 Leuten explodieren würden. Die Themen waren breit aufgefächert: es gab über 150 Vorträge. Und alles wurde gestreamt und aufgezeichnet, das sind noch mal viele tausend Leute, die sich das runterladen.
Die hohe Beteiligung lag sicher an Edward Snowden…
Nein. Seine Enthüllungen waren natürlich ein Hauptthema, doch die Zunahme an Aktiven ist einer langjährigen Arbeit geschuldet, nicht nur dem Snowden-Hype. Es war schon immer unser Vereinszweck, Wissensvermittlung auch an die Gesellschaft zu betreiben. Das ist sicherlich wichtiger geworden, eine Stimme zu haben, die parteipolitisch oder finanziell unabhängig ist und sich zu den aufgeworfenen technischen Problemen äußert. Auch früher gab es ja schon Informanten und Whistleblower, der Unterschied ist nur, dass Snowden eine Menge Dokumente herausgetragen hat, d.h. er kann belegen, was er behauptet.
Machen seine Enthüllungen eine Neubewertung des gesamten Internets nötig oder belegen sie, was man schon länger vermutet?
Teils, teils. Was Snowden veröffentlicht hat, war teilweise vorher schon bekannt, teilweise wurde es nur vermutet. Dennoch müssen wir, gerade im Hinblick auf die strukturelle Unterminierung der Sicherheitsmechanismen im Netz durch die Geheimdienste, einiges neu bewerten. Vor allem stellt sich uns die Frage, wie wir in Zukunft mit den Netzen und mit der Kommunikation über die Netze umgehen wollen. Hier hat es einen Einschnitt gegeben, der in der Geschichte des Netzes nichts qualitativ Vergleichbares kennt.
Heute gibt es technische Möglichkeiten, Stichwort Google oder NSA, die weit über das hinausgehen, was früher überhaupt denkbar war.
Wir stehen heute vor der Frage: Was können wir noch nutzen, und wie wollen wir in Zukunft technische Systeme gestalten, ohne das Schnüffeln der kommerziellen wie der nachrichtendienstlichen Spione dulden zu müssen? Diese Frage birgt ziemlich viele technische Aspekte, die in der Hackercommunity, die sich mit den Systemen näher befasst, intensiv debattiert werden. Fast ein Viertel der Vorträge haben sich direkt oder indirekt auf solche Fragen bezogen.
Geht es da u.a. um bessere Verschlüsselung?
Erst einmal geht es um die Analyse: Was ist nicht unterminiert worden, was ist und wie unterminiert worden? Wo sind Hintertüren, aber auch: Was gibt es eigentlich für Alternativen, nicht nur für uns, für die Hackercommunity, sondern dass alle Leute das nutzen können?Das Bedürfnis, die eigene Kommunikation zu schützen, hat enorm zugenommen. Dafür braucht es Werkzeuge, die zu bauen die Hackercommunity als Teil ihrer Aufgabe betrachtet.
Wie lässt sich denn in der «überwachten Republik» (ein Stichwort auf dem Kongress) politischer Druck erzeugen, um Änderungen herbeiführen zu können?
Politischer Druck wird 2014 zum einen dadurch entstehen, dass die Enthüllungen weitergehen werden, wir haben da noch einiges zu erwarten. Zum anderen verstärkt sich aber auch die Frage: Wie verhält sich der einzelne Bürger, wie gestaltet er sein eigenes Kommunikationsverhalten? Und vor allem: Wie wird sich die Wirtschaft verhalten, an der ja der Skandal auch nicht vorbeigeht. Wir wissen ja alle, dass es bei einem Großteil der NSA-Aktivitäten um Industriespionage geht. So wird sich politischer Druck aufbauen.Mir scheint jedoch, dass zumindest von der aktuellen Regierung wenig zu erwarten sein wird. Wir sollten unseren Blick vielleicht eher aufs EU-Parlament richten, das hat deutlich mehr Aktivität gezeigt und zahlreiche Anhörungen durchgeführt. Daneben gibt es natürlich auch noch die rechtliche Ebene. Der Chaos Computer Club führt ja selber, zusammen mit anderen, Beschwerde vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gegen die britischen Geheimdienste. Wir müssen mit allen Waffen schießen, die wir so haben.
Dass die jetzige Regierung keine besonderen Anstrengungen auf diesem Feld unternimmt, zeigt schon, wen sie zur Datenschutzbeauftragten ernannt hat.
Die CDU-Politikerin und Bundestagsabgeordnete Andrea Voßhoff war von Anfang an umstritten. In Peter Schaar hatte sie einen Vorgänger, der sich immer wieder politisch zu Datenschutzfragen äußerte. Das hat das Amt geprägt, es hat heute eine ganz andere Bedeutung als früher. Es ist deswegen natürlich ein Zeichen, dass die Bundesregierung nun eine Person nominiert hat, die sich als Parlamentarierin in ihrem Abstimmungsverhalten explizit gegen den Datenschutz ausgesprochen hat und datenschutzrechtlich ein No-Name ist. Ich empfinde diese Entscheidung als sehr kontraproduktiv.
Mich bewegt noch etwas anderes: Sicher waren tausende auf dem Kongress und ist das mediale Interesse an der Überwachungsfrage sehr groß. Aber wir haben inzwischen hunderte Millionen Smartphones in Betrieb, die mit dem Google-Betriebssystem Android laufen; wir haben Milliarden Computer, die mit Windows-Systemen laufen – also eine große Menge von Leuten, die diese Dinge ebenso alltäglich benutzen wie das Fahrrad, das Auto, das Brotmesser. Die sind zwar schockiert darüber, was alles gegen sie angestellt werden kann, aber die Technik, sich dagegen zu schützen, ist für sie nicht so leicht zu handhaben.
Im Alltag stehen die normalen Nutzer vor mannigfaltigen Problemen, und die Hersteller machen es ihnen mit ihren Betriebssystemen auch nicht unbedingt leichter. Daten sind nun mal zu einem Wirtschaftsgut geworden. Ich beobachte aber durchaus, dass Leute ihr Verhalten überdenken. Sie verabschieden sich nicht unbedingt von allem, aber wenn sie neue Dienstleistungen nutzen, fangen sie schon an darüber nachzudenken, ob die Firma, deren Service sie da nutzen wollen, eine akzeptable Datenpolitik hat. Oder sie legen sich ein paar Verschlüsselungsprogramme zu. Der Snowden-Schock, wenn ich ihn mal so nennen darf, wird zu Verhaltensänderungen führen, es wird nur nicht sehr schnell gehen.
Ich glaube eher, es kommt etwas in Gang, das mit der ökologischen oder Nachhaltigkeitsbewegung vergleichbar ist. Es braucht eine Weile, ehe es ins Bewußtsein der Bevölkerung sickert, dass sie die gesamte Kommunikation im Netz anders denken muss, weil uns im Prinzip auf Schritt und Tritt einer über die Schulter guckt und von der Politik da erstmal keine Abhilfe zu erwarten ist. Unter diesen Bedingungen kann Veränderung erst einmal nur vom Handeln der einzelnen kommen.
Die «überwachte Republik» wird aber auch von inländischen oder europäischen Stellen betrieben, und man kann schlechterdings nicht empfehlen, mit den Datenverbindungen Deutschland- oder EU-intern zu bleiben.
Das glaube ich auch. Eine Zeitlang gab es in den Medien die Debatte, quasi ein nationales Netz zu bilden. Das ist auch technisch Unsinn, als nationales Netz hat es auch niemand gefordert. Aber auch das sog. Schengen-Netz – ohne die Briten, die spielen ja sowieso nicht mit – halte ich für keine praktikable Lösung, schon deshalb, weil die Dienstleistungen, die wir selbstverständlich nutzen, von dominierenden amerikanischen Unternehmen stammen. Insofern war der Vorschlag eher ein Marketinggag der Telekom. Dennoch müssen wir darüber debattieren, wie wir in Zukunft souveräner gegenüber gesetzlichen Regelungen anderer Länder agieren können. Darauf gibt es keine einfachen, naiven Antworten. Über die Gefahren der Überwachung wird ja nicht nur bei uns diskutiert, sondern auch in den USA und Großbritannien. Die Antwort kann nur aus den Zivilgesellschaften kommen.
Im vergangenen September haben viele wieder zur Demonstration «Freiheit statt Angst» aufgerufen. Das ist doch ein Element des öffentlichen Protestes gegen Überwachung.
Natürlich. Ich finde es auch richtig zu protestieren, gar keine Frage. Dennoch glaube ich, es wird wichtig sein, dass ein großer Anteil der Menschen sein Verhalten umstellt und dass alle Varianten des Protestes und auch alle Möglichkeiten des Aktivismus genutzt werden. Das Problem ist so groß, dass man keinen Weg des Widerstandes weglassen sollte.
Auf dem Kongress wurde auch ein Aufruf vorgestellt, dass Angestellte und Dienstleister das Whistleblowing wieder aufnehmen, dass sie aufdecken, was dort geheim gehalten wird.
Ich finde das eine Selbstverständlichkeit und eigentlich traurig, dass man das heute betonen muss. In Verwaltung und Behörden wie auch in Privatunternehmen und überhaupt im Leben sollte man die Courage haben, Missbräuche und Missstände aufzudecken. In demokratischen Gesellschaften, wo nicht sofort schlimme Repressionen drohen, sollte das das Normalste von der Welt sein. Natürlich ist das auch eine Folge der sehr harten Vorverurteilung von Snowden oder der hohen Strafe gegen Chelsea Manning, weil sie Wikileaks Dokumente zugespielt und damit über Kriegsverbrechen der USA informiert hat. Auch der Bundestag hat es noch immer nicht hingekriegt, eine gesetzliche Regelung für Whistleblower zu schaffen.
Inzwischen sitzt Edward Snowden in Moskau fest – wo ist da eine Lösung?
Eine Lösung wäre sehr einfach: ein europäisches Land müsste den Hintern in der Hose haben und ihm Asyl gewähren, und es wäre definitiv politisches Asyl, denn er wird politisch verfolgt. Ich denke, wir Europäer schulden ihm eine Menge, denn wir sind nachweislich die Hauptziele dieser Überwachung. Wir sollten ihm selbstverständlich politisches Asyl gewähren.
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