Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2014
Reform und Revolution. (Hrsg. M.Kellner, E.Lieberam, R.Steigerwald.) Hamburg: Laika, 2013. 144 S., 12,80 Euro

von Thies Gleiss

Viermal trafen sich bislang Mitglieder der DKP, der Internationalen Sozialistischen Linken (ISL) und vom linken Rand der Partei Die LINKE in der Parteischule der DKP in Leverkusen, um Grundsatzfragen revolutionärer Strategie zu diskutieren. Dieses strömungsübergreifende Treffen ist angesichts der früheren Anfeindungen schon fast ein Selbstwert, der geeignet ist, unnötige Mauern innerhalb der Linken einzureißen. Die Einführungsreferate des letzten Treffens wurden jetzt vom Laika-Verlag als kleine Broschüre veröffentlich.

Das diesjährige Oberthema «Reform oder Revolution» wurde von den ISL-Führungsmitgliedern Angela Klein und Manuel Kellner; den DKP-Theoretikern Robert Steigerwald und Hans Peter Brenner; den bekannten Mitgliedern der LINKEN Edeltraut Felfe und Ekkehard Lieberam sowie von Karl Hermann Tjaden mit Referaten bearbeitet.

Die Frage ist wahrlich nicht neu in der Geschichte der Arbeiterbewegung: Wie geht der gesellschaftliche Wandel von einer krisengeschüttelten und unmenschlichen kapitalistischen Produktionsweise in Richtung einer humanitären, egalitären und Mensch wie Natur gleichermaßen schützenden und weiterentwickelnden sozialistischen Gesellschaft über die Bühne?

Für Marx und Engels war die Sache noch einigermaßen klar: Die politische Bewusstwerdung der Arbeiterklasse als Klasse ist in ihrer Gesamtheit die Herausbildung einer revolutionären Partei, des subjektiven Faktors einer revolutionären Umwälzung aller gesellschaftlichen Macht- und Besitzverhältnisse, die unvermeidlich auf die Tagesordnung kommt, wenn die objektiven Bedingungen in den Produktionsverhältnisse selbst reif für eine solche Revolution sind.

Der reale Gang der Geschichte hat die Sache dann doch erheblich komplizierter gemacht: Revolutionäre Aufbrüche entstanden nicht in den entwickelten Zentren des Kapitalismus, sondern vor allem in den am meisten ausgebeuteten, sowohl «unter»entwickelten als auch in ihrer Entwicklung von den reichen Zentren abhängigen Ländern. Gleichzeitig setzten die enormen Erfolge einer wachsenden Arbeiterbewegung: ihre Verbände, Gewerkschaften, ihre erstrittenen Rechte und ihre Vertretungen in Parlamenten bis hin zur Regierungsteilhabe – ab 1917 sogar ein eigener, mächtiger Staat – eine Dialektik der partiellen Errungenschaften in Gang, die immer wieder zu Spaltungen der Bewegung, zur Verselbständigung der Funktionärsschichten und zu Bürokratisierung mit den damit verbundenen Demokratieverletzungen und ideologisierenden Theorieverzerrungen führte. Die sich daraus ergebenen Debatten haben seit 150 Jahren zu einem «Marxismus des subjektiven Faktors» geführt, in dessen Spuren auch die Leverkusener Dialoge wandeln.

Ein weithin geachteter Großmeister des Marxismus des subjektiven Faktors war Ernest Mandel, dem Manuel Kellner sein Eingangsreferat widmete. Für ihn, wie für seine Koreferenten Steigerwald, Klein, Lieberam, Felfe und Tjaden, ist die unabhängige Klassenaktivität in Form von Streiks und anderer Formen der Gegenmacht, die Selbstermächtigung und Selbstorganisation in Räten die Basis für die Herausbildung eines neuen Trägers für den gesellschaftlichen Wandel. Ganz im Sinne von Marx ist die Revolution immer aus zwei Gründen erforderlich: Ohne sie sind die alten herrschenden Klassen und Eliten nicht zu stürzen und die unterdrückte Klasse nicht in der Lage, die «ganze alte Scheiße», wie Marx es nannte, oder, mit Lenin, die Muttermale der alten Gesellschaft abzustreifen.

So waren sich alle Teilnehmenden an der Konferenz einig, dass die Überwindung des Kapitalismus einen Bruch erfordert. Die naive Vorstellung, die in der reformistischen und reformerischen Linken vorherrscht, der Kapitalismus könne durch einzelne Reformen in den Sozialismus «hinüberwachsen», ist heute irrealer als noch zu Lenins, Luxemburgs und Trotzkis Zeiten.

Die großen inhaltlichen Pflöcke einer revolutionären Bewegung von heute bilden die Frage der Demokratie und der ökologischen Nachhaltigkeit einer neuen Produktionsweise. Gerade diese Fragen unterstreichen, dass eine solche Revolution nur international zu denken ist, doch mit Ausnahme eines Hinweises von Angela Klein auf die notwendige europäische Perspektive blieb dies seltsam unausgesprochen. Selbst die sich mit der skandinavischen Linken und der neuen lateinamerikanischen Linken befassenden Beiträge von Felfe und Lieberam beschränken sich jeweils auf diese Region.

Insgesamt ein lesenswertes Bändchen, bei dem allein der Beitrag von Hans-Peter Brenner herausfällt, der doch sehr in alter DKP-Tradition verharrt und die Geschichte weniger als Resultat konkreter Kämpfe denn als Bestätigung von Parteidideologien betrachtet.

 

 

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