von Jochen Gester
Im Dezember 2013 fand eine Sonderkonferenz der südafrikanischen Metallarbeitergewerkschaft (NUMSA) statt, die einen Wendepunkt für die Arbeiterbewegung des Landes bedeuten kann.Die NUMSA ist mit 338000 Mitgliedern die größte Gewerkschaftsorganisation im Rahmen des Dachverbands COSATU und zugleich die größte Gewerkschaft in der Geschichte des afrikanischen Kontinents. Die Delegierten auf der Sonderkonferenz im Dezember sahen es als Verpflichtung an, das Erbe Nelson Mandelas dadurch zu wahren, dass sie verstärkt für seine Ideale kämpfen: Freiheit, Würde, Demokratie und vollständige soziale und wirtschaftliche Gleichheit für alle Menschen.
Die Konferenz erinnerte an eine Botschaft Mandelas auf dem Sonderkongress zwanzig Jahre zuvor, 1993: «Ihr müsst wachsam sein. Wie oft hat eine Arbeiterbewegung eine Befreiungsbewegung unterstützt, nur um sich am Tag der Befreiung verraten zu finden? Es gibt viele Beispiele dafür in Afrika. Wenn der ANC diesen Weg geht, müsst ihr mit ihm genau so umgehen, wie ihr es mit dem Apartheidregime gemacht habt.» Generalsekretär Irvin Jim bekräftigte deshalb jetzt: «Wir müssen den ANC stürzen, wie die Apartheid gestürzt worden ist – wenn er seine Verpflichtungen nicht erfüllt.»
Grund für die Einberufung des Sonderkongresses war die politische Entwicklung innerhalb des Regierungsbündnisses, das vom ANC, der SACP (South African Communist Party) und dem Gewerkschaftsverband COSATU getragen wird. Nach Ansicht der NUMSA-Führung verlangt sie eine Entscheidung, für die ein Sonderkongress der COSATU und ein neues Mandat der Gewerkschaftsmitglieder notwendig ist.
Auf Distanz zum ANC
Auf dem Sonderkonferenz der NUMSA am 19.Dezember verabschiedeten die Delegierten einstimmig eine programmatische Resolution zur Politik der Dreierallianz. In ihr wird festgehalten, dass die Strukturen des Bündnisses paralysiert sind. Obwohl es jeden Tag und überall Proteste im Land gebe, sei die Allianz kein Instrument der kämpfenden Massen. Sie lasse diese Kämpfe ohne Führung und werfe die Arbeiterklasse auf sich selbst zurück. Die Freiheitscharta, eine Minimalplattform des Regierungsbündnisses, spiele keine Rolle mehr und werde einer rechtslastigen und neoliberalen Politik geopfert. Die Allianz existiere nur in Wahlkämpfen und degradiere die Arbeiterklasse zu Stimmvieh für den ANC.
Diejenigen, die sich für die Arbeiterklasse und die Armen einsetzten, würden isoliert oder hinausgesäubert. Der ANC verweigere sich einer Politik, die von ihren Bündnispartnern gemeinsam formuliert wird. Er allein bestimme die Agenda. Die Resolution verweist auch darauf, dass dies kein südafrikanisches Phänomen ist: «In vielen postkolonialen und nachrevolutionären Situationen haben sich Befreiungsbewegungen gegen Arbeiterbewegungen gewendet, die mit ihnen gekämpft hatten, sie unterdrückt, marginalisiert, gespalten, ihre Unabhängigkeit geraubt, ihnen jede Art von bedeutender Rolle in der Politik abgesprochen.»
Das letzte Gipfeltreffen der Allianz sei daran gescheitert, sich auf fundamentale Änderungen im Regierungsprogramm zugunsten der Arbeiterklasse und der Armen zu einigen. Es gebe keine Chance, die Allianz wieder zu dem zu machen, wofür sie ursprünglich ins Leben gerufen wurde: zu einem Hebel für einen gesellschaftlichen Transformationsprozess auf Basis der Freiheitscharta.
Auch die SACP sei in den Staat eingebettet und keine Avantgarde der Arbeiterklasse. Letztere benötige jedoch eine politische Organisation, die sich in Theorie und Praxis dem Sozialismus verpflichtet fühlt.
Die Sonderkonferenz forderte den Dachverband COSATU auf, alle Verbindungen zur Regierungsallianz zu kappen. Die Mitgliedsbeiträge der NUMSA an die COSATU will sie einbehalten, um ultimativ einen Sonderkongress der COSATU durchzusetzen.
Die NUMSA möchte eine neue gemeinsame Front aufbauen, die in der Lage ist, Kämpfe zu koordinieren, und eine ähnliche Rolle spielen kann wie die «Demokratische Front» (UDF) in den 80er Jahren.
Gleichzeitig soll erforscht werden, wie eine «Bewegung für den Sozialismus» in Südafrika entstehen kann. Dafür ist 2015 eine Konferenz vorgesehen. Zu ihrer Vorbereitung ist eine gründliche Diskussion über die geschichtlichen und aktuellen Sozialismusversuche geplant. Verschiedene Parteitypen werden auf den Prüfstand gestellt: Namentlich genannt werden die Erfahrungen in Brasilien, Venezuela, Bolivien und Griechenland. Schließlich will die Gewerkschaft prüfen, mit Hilfe welcher Koalitionen sie ihre Ziele bei den kommenden Wahlen verfolgen kann.
Marikana
Eine besondere Rolle auf der Konferenz spielte das Massaker an den Minenarbeitern in Marikana, das als Wendepunkt im politischen und sozialen Lebens des Landes begriffen wurde. Die NUMSA hat keinen Zweifel daran, dass das Massaker eine gut vorbereitete und unterstützte Operation des Staates gewesen ist, um die Profite der Minenbesitzer zu verteidigen.
Die Delegierten des Kongresses sprachen sich für eine objektive und vollständige Untersuchung des Tathergangs aus und forderten den Rücktritt des verantwortlichen Polizeikommissars General Riah Phiyega. Gegen die Minenbosse, denen die volle Verantwortung für den Tod der Arbeiter zugewiesen wurde, müsse strafrechtlich ermittelt werden. Für den Fall, dass diese Forderungen von der Regierung nicht ernst genommen werden, kündigte die Gewerkschaft einen internationalen Aktionstag an. Für die Familien der ermordeten Arbeiter wurde eine Hilfsfonds eingerichtet.
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