Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2014
Manifest für eine akzelerationistische Politik

von Ale Schmitz

Wer sind die Akzelerationisten? Akzeleration heißt Beschleunigung. Das neueste Denk-Ding einer minoritären, akademischen Linken. Erstmal sind darunter nur die Autoren eines typischen Büchleins aus dem Berliner Merve-Verlag zu verstehen: chic, reißerisch, fragmentarisch, aber immer: hoppla, jetzt kommen wir! Über dieses Büchlein wird gegenwärtig verstärkt geschrieben und geredet, so wie vor ein paar Jahren noch über «Das unsichtbare Komitee» aus Frankreich und dessen Buch Der kommende Aufstand, von dem die deutsche Ausgabe im Nautilus-Verlag erschien. Und wie bei diesem «Komitee» gibt es auch bei den Akzelerationisten zeitdiagnostische, kulturkritische Passagen, die sehr treffend, ja unterhaltsam sind. Natürlich wird den Linken mal wieder vorgeworfen, sie wären zu wenig links. Logisch. Warum? Weil sie zu wenig los machen.

Im Kern geht es in dem Merve-Bändchen um ein 20seitiges Pamphlet, «#Accelerate. Manifest für eine akzelerationistische Politik»*, geschrieben von den beiden Londoner Politikwissenschaftlern Nick Srnicek und Alex Williams. Dieser Text ist viel weniger postmodern als das Gelaber darüber, mit dem die restlichen Seiten angefüllt werden. Die angehängte Diskussion des Themas ist immer einen Zacken rechter und blöder als der Haupttext. Auch das ist typisch Merve.

Der Ausgangspunkt bei Srnicek und Williams ist selbstverständlich Alarmstufe rot. Die «bevorstehenden Apokalypsen» (Klimawandel, Ernährungskrise, Finanzkrise) machen die herkömmlichen politischen «Normen und Organisationsstrukturen ... zu einem Witz». Insbesondere die Linken seien in 30 Jahren Neoliberalismus ihrer «radikalen Ideen» beraubt worden. Sie quatschen am liebsten von früheren Erhebungen, während sich «die algorithmische Automatisierung durch die Sphären der affektiven und intellektuellen Arbeit frisst». Bestenfalls versacken linke Initiativen in einem «folkloristischen Lokalismus», der sich darin bescheide, «provisorische Kleinst-Räume für nichtkapitalistische Sozialbeziehungen zu errichten». Die alten Parolen von Basisarbeit, Autonomie und Organisation von unten bitte alle mal auf den Müllhaufen werfen. Sie erscheinen Srnicek und Williams zu minimalistisch.

Es bleibt nur die Grundidee, weniger arbeiten zu wollen. Um das zu erreichen, soll die technogische Entwicklung ihrer «kapitalistischen Versklavung» entrissen werden. Denn auch der Kapitalismus steht sich erstaunlicherweise selbst im Wege: Durch «Patentkriege und Ideen-Monopolisierung» würden die «fortschrittlichen Kräfte der Technik» gehemmt. Im Alltagsleben habe sich «lediglich die Unterhaltungselektronik marginal verbessert». Dumm gelaufen. In der Konsequenz wollen die Akzelerationisten offensiv technikaffin «verborgene Produktivkräfte» freisetzen. Die Umleitung von Kapitalströmen hierzu sei «unabdingbar». Die «bestehende Infrastruktur» möchten sie nicht zerschlagen, sie begreifen sie als «Sprungbrett zum Postkapitalismus». Hierzu bedürfe es im Prinzip nur Planung und Leninismus, der aber nicht so genannt wird, sondern «legitime, vertikale Autorität». Damit werden dann die «Versprechen der Raumfahrtprogramme des 20.Jahrhunderts» eingelöst, denn merke: «wir müssen eine neue Zukunft bauen». Arbeiterklasse, Prekäre, neue soziale Bewegungen – all inclusive, als «Pluralismus aus Kräften». Klingt gut, aber dieser «Pluralismus» ist wohlgemerkt eher gedacht als geplant und geführt. Srnicek/Williams nennen dies die Entwicklung einer «sozialtechnologischen Hegemonie».

Zu bedenken ist allerdings, daß die größten Massenmobilisierungen der radikalen Linken in der BRD um basale Themen kreisten, die technikfeindlich artikuliert wurden: gegen Atomkraft und gegen Rüstung. Irgendwie soll also nach Srnicek/Williams die WARP-Energie im Linksradikalismus freigeschaltet werden. Wenn es sie überhaupt gibt. Formuliert wird sie als sozialealistische Science-Fiction.

Nein, die Akzelerationisten sind nicht die neuen Futuristen. Sie heiligen nicht den Krieg und möchten auch keine Menschen zu Maschinen machen. Sie fabulieren nicht von der «Schönheit der Geschwindigkeit» und besingen nicht wie Tommaso Marinetti «den Laufschritt, den Salto Mortale, die Ohrfeige und den Faustschlag». Und auch nicht den Computer. Aber einen technologischen Fortschritt ohne Kapitalismus. Wie der vonstatten gehen soll, das müssen die Kommunisten und Sozialisten schnell herausfinden – wenn sie dafür mal Zeit haben sollten.

*#Akzeleration (Hrsg. Armen Avanessian). Berlin: Merve, 2013. 95 S., 10 Euro.

 

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