von Gaston Kirsche
Die rechtskonservative Regierung Spaniens reagiert in der anhaltenden Wirtschaftskrise zunehmend mit Repression gegen soziale Bewegungen und versucht, der Gesellschaft per Gesetz und Verordnung ein reaktionäres Rollback zu verordnen. Zuletzt flammten Proteste in der Stadt Burgos auf.Mit dem «Gesetz zur Sicherheit der Bürger» wurde die Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt; neue Tatbestände werden dabei zu Ordnungswidrigkeiten erklärt und mit unbezahlbaren Geldstrafen belegt. Und mit dem «Gesetz für die Rechte der schwangeren Frauen» wurde das Recht auf Selbstbestimmung über die sexuelle Reproduktion nahezu aufgehoben (siehe SoZ 2/2014). Abtreibungen sollen wieder so stark kriminalisiert werden wie zu Zeiten der Franco-Diktatur. Dagegen regt sich breiter Protest – nicht nur der feministischen Bewegung.
Auch andere widerständige politische Strömungen erleiden zunehmend Repressionen, etwa radikale linke Gewerkschaften wie die Landarbeitergewerkschaft in Andalusien, die Bewegung der Indignados, die Bewegung gegen die Zwangsräumungen von Wohnungen, PAH – sie alle werden mit Geldstrafen, Ermittlungsverfahren und sogar Gefängnisverfahren überzogen.
Weiterhin hart trifft die staatliche Repression auch die baskische Unabhängigkeitsbewegung, obwohl die ETA seit zweieinhalb Jahren den bewaffneten Kampf eingestellt hat. Mittlerweile werden die in der Bekämpfung des politischen Umfelds der ETA erprobten Strafgesetze zunehmend auch auf andere politische Bewegungen angewandt. Konservative Politiker beschuldigten die PAH im abgelaufenen Jahr, «terroristische Mittel wie die ETA» zu nutzen: Sie hatten es gewagt, friedlich vor den Wohnhäusern von konservativen Politikern zu protestieren, weil sie die andauernden, täglichen Räumungen von Wohnungen, deren Bewohner die Raten für den Wohnungskauf nicht mehr aufbringen können, zu verantworten haben.
Demgegenüber sind die Anläufe, Banker und korrupte Politiker vor Gericht zu bringen, noch nicht weit gekommen und finden im postfrankistischen Justizapparat nur selten Gehör. Es knirscht an vielen Ecken in Spanien, nicht nur in den großen Städten.
Erfolgreiche Nachbarschaftsproteste
Im Gamonal, einem Stadtteil des nordspanischen Burgos, wehren sich Anwohner gegen ein prestigeträchtiges, überteuertes Bauprojekt. An normalen Werktagen läuft viel Verkehr über die Nationalstraße, die von Vitoria durch Gamonal ins Zentrum von Burgos führt. Es ist ein typischer barrio obrero, ein Arbeiterstadtteil mit 30000 Wohnungen. Die Häuserblocks sind mindestens achtgeschossig und reichen fast bis an die Fahrbahn heran. Bäume sind eine Rarität. Der Gamonal war lange stadtplanerisch uninteressant. Das änderte sich, als die von der konservativen Volkspartei (PP) beherrschte Stadtverwaltung auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, befreundete Bauunternehmer mit größeren Bauvorhaben zu beauftragen, hier fündig wurde.
Schon 2005 hatte der damalige Bürgermeister Juan Carlos Aparicio von der PP vorgeschlagen, in der Straße Eladio Perlado im Gamonal eine riesige Tiefgarage zu bauen, die über Parkgebühren finanziert werden sollte. Das gigantische Projekt scheiterte bereits in der Planungsphase am langanhaltenden Widerstand der Einwohner von Gamonal, die sich auch durch neun Verhaftungen nicht einschüchtern liessen.
Im letzten Jahr forcierte der derzeitige Bürgermeister Javier Lacalle, mit einer absoluten Gemeinderatsmehrheit der PP im Rücken, einen neuen Plan: Bis April 2014 soll die Nationalstraße auf einer Länge von 800 Metern im Zentrum von Gamonal zu einem Boulevard umgebaut werden, die kostenlosen Parkplätze am Straßenrand sollen verschwinden. Wieder wird eine gigantische Tiefgarage geplant, deren Baukosten durch die Parkgebühren refinanziert werden sollen. 19800 Euro würde ein Stellplatz für 40 Jahre kosten, so die Planung, mehr als das durchschnittliche Jahreseinkommen im Gamonal.
In fast jeder Familie im Stadtteil gibt es mindestens einen Erwerbslosen, die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen liegt hier über 60%. Die Sparprogramme, der Arbeitsplatzabbau und die Ausdünnung staatlicher wie städtischer öffentlicher Einrichtungen sowie der Daseinsfürsorge trifft die Bevölkerung des Gamonal besonders hart. Die Umweltorganisation Ecologistas en Acción stellte klar, dass der angeblich zur Umweltverbesserung geplante Boulevard mit Tiefgarage weder die Verkehrsprobleme im Stadtteil lösen, noch Fahrradwege oder Parks schaffen kann – an beidem fehlt es schmerzlich. Vielmehr geht es bei der Planung darum, noch mehr Beton zu verbauen, damit große Bauunternehmen städtische Gelder einnehmen können.
Gamona ist von den Sparmaßnahmen bei der städtischen Grundversorgung besonders betroffen: Die Hälfte der Straßenlaternen wurde ausgeschaltet, Zebrastreifen kaum sind noch sichtbar, weil die Farbe nicht erneuert wird, die Fassade der Bücherhalle bröckelt seit Jahren. Doch die konservativ regierte Stadt Burgos gibt viel Geld für Großprojekte aus: einen neuer Industriepark, eine neue Kaserne für die Guardia Civil, ein neues privates Krankenhaus. Die Folge: Die Stadt ist mit 500 Millionen Euro verschuldet.
Von den städtischen Aufträgen profitieren die beiden großen Bauunternehmen der Stadt: Méndez-Ordóñez und Arranz Acinas. Der Namensgeber der zweiten Firmengruppe ist ebenso wie der Chef der ersten, Antonio Miguel Méndez Pozo, eng mit der lokalen Parteiführung der PP verbunden. Die konservative Volkspartei ist überall in Spanien für ihre enge Verstrickung mit der Bauwirtschaft bekannt, immer wieder werden Fälle von Korruption aufgedeckt.
Antonio Miguel Méndez Pozo ist der erste Bauunternehmer Spaniens, der wegen allzu offensichtlicher Bestechung der Stadtverwaltung von Burgos und der Fälschung von Baugenehmigungen 1994 zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde. Nach sechseinhalb Monaten konnte er das Gefängnis jedoch unter geringen Auflagen wieder verlassen. Nicht geschadet hat ihm dabei, dass er mit dem damaligen Spitzenkandidaten und späteren Ministerpräsidenten der PP, José María Aznar, befreundet ist und ihn schon in seinen politischen Anfängen mit Spenden und positiver Berichterstattung gefördert hat. Denn Pozo besitzt und kontrolliert mit seiner Familie neben einem Geflecht von 62 Baufirmen auch sieben lokale Tageszeitungen in und um Burgos sowie die Hälfte des regionalen Fernsehkanals.
Im Diario de Burgos werden nicht nur Pozo und seine Firmen als Wohltäter dargestellt, sondern auch die PP. Zudem ist Pozo Vorsitzender der örtlichen Handelskammer sowie zweier rühriger Stiftungen. Er hat jedoch aus seiner Verurteilung gelernt und versucht, seine Einflussnahme zu kaschieren.
Für den Bau des Boulevard und der Tiefgarage sollten die Firmen von Méndez Pozo und Arranz Acinas 15 Millionen Euro erhalten. Im November musste einer der beiden kommunalen Kindergärten im Stadtteil Gamonal, Río Vena, geschlossen werden, weil die Stadt für die notwendige Renovierung keine 13000 Euro bezahlen wollte. Die Proteste gegen die Schließung ignorierte die Stadt genauso wie die Forderung, die örtliche Bücherhalle Gonzalo de Berceo für 150000 Euro zu sanieren. Auch die Proteste gegen den prestigeträchtigen Bau des Boulevards ignorierte die Stadtregierung.
Am 10.Januar sollte frühmorgens dessen Umbau beginnen, Nachbarn hatten ein provisorisches Protestlager mit Zeltplanen eingerichtet. Ein paar Jugendliche stellten sich den Baumaschinen entgegen: «Wir wollten eine kleine Menschenkette bilden.» Sogleich vertrieben sie Polizisten einer Aufstandsbekämpfungseinheit mit Knüppelschlägen. Während an den Tagen zuvor nur wenige hundert Anwohner gegen den geplanten Baubeginn demonstriert hatten, waren es an diesem Abend tausende. Einige warfen später am Abend Steine auf die Baufahrzeuge, immer mehr Polizisten in Kampfmontur wurden aktiv, jagten Jugendlichen hinterher, knüppelten und verhafteten sie. Die Fensterscheiben von Bankfilialen wurden eingeworfen, Müllcontainer angezündet.
Am nächsten Morgen stellten sich hunderte Menschen den Bauarbeitern entgegen, die sich weigerten, so zu arbeiten. Abends wurde demonstriert: «Nein zum Boulevard! Freiheit für die Gefangenen!» Die Route führte zum Polizeikommissariat, wo die Verhafteten waren, und zum Sitz des Diario de Burgos – aus Protest gegen die einseitige Berichterstattung: «Ihr seid gekauft, um Lügen zu verbreiten!», wurde gerufen, und: «¡Méndez Pozo al Calabozo!», ins Gefängnis! Zurück im Stadtteil griffen später am Abend einige Vermummt erneut die Baustelle an.
Wenn die Polizei die Demonstrierenden durch die Straßen jagte, gingen sofort Häusertüren auf. Von vielen Balkonen der neungeschossigen Häuser wurde aus Protest mit Kochtöpfen gelärmt, die Polizei beschimpft und mitunter beworfen, u.a. fiel eine massive Kloschüssel aus Porzellan vor heranstürmenden Polizisten auf die Straße. Die herbeigerufenen Aufstandsbekämpfungseinheiten aus Madrid und Valladolid gingen gegen alle Verdächtigen vor. An jeder Straßenecke stand den Tag über Polizei, wer an Protesten teilnahm, wurde fotografiert.
Spaltung des Protests misslungen
Spanische Medien berichteten ausführlich, insbesondere über die nächtlichen Auseinandersetzungen, und stellten verwundert fest, dass sich die Nachbarn und die Anwohnerinitiativen nicht von dem als gewalttätig klassifizierten, unerlaubten Widerstand distanzierten, sondern vielmehr die Freilassung aller Verhafteten und die Einstellung alle Verfahren forderten.
Am Protest war auch die örtliche Versammlung der Indignados, der Empörten, beteiligt. Die landesweit vernetzte Gruppe sorgte dafür, dass in 48 Städten Spaniens Solidaritätsdemos stattfanden, wobei es insbesondere in Barcelona und Madrid zu Polizeiübergriffen und Verhaftungen kam. Der Protest im Stadtteil Gamonal von Burgos ist zum Symbol für den Unmut über die PP-Regierung und die Abwälzung der Lasten der Wirtschaftskrise auf die ärmere Bevölkerungshälfte, auf Arbeiterfamilien und Rentner geworden.
Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy (PP) versuchte zu beschwichtigen und erklärte, in Burgos gehe es um ein lokales Verständigungsproblem. Die PP-Regionalregierung von Kastilien-León verurteilte die «Gewalt einiger Protestierer» und betonte gleichfalls, hier handele es sich um ein begrenztes, kommunales Problem. Der Bürgermeister von Burgos verkündete kurz darauf den endgültigen Baustopp für den Boulevard. Gleichzeitig erklärte Madrids rechtskonservative Bürgermeisterin Ana Botella: «Natürlich verurteile ich die Attentate von Burgos. Eine Sache ist der Bürgerprotest und eine andere Sache ist die Gewalt.» Als Vertreterin des rechten Flügels des PP hätte sie eine stärkere Repression gegen den Widerstand befürwortet.
Weil er sich nicht spalten und vereinnahmen ließ, entwickelte der Widerstand im Gamonal eine solche Stärke, dass selbst die PP mehrheitlich auf Beschwichtigung statt auf Konfrontation setzten musste.
Es ist spannend in Spanien.
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