Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2014
Vorspiel für Kriege zwischen den "Blöcken"?

von Angela Klein

Nein, Putin ist kein Demokrat, schon gar kein «lupenreiner» (Schröder). Er führt in Russland ein autokratisches Regime, das Oppositionelle verfolgt und kritische Meinungsäußerungen unterdrückt, wenn es ihm opportun erscheint. Er sieht sich nur einem Ziel verpflichtet: Russland wieder zu einer Großmacht zu machen. Putin hat am Zusammenbruch der Sowjetunion nie kritisiert, dass die sowjetische Führung das Land der Plünderung durch kapitalistisch gewendete Staatsbürokraten überlassen hat, nur dass ein russisches Großreich damit untergegangen ist. Das war für ihn «die größte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts»: «Millionen unserer Mitbürger blieben außerhalb des russländischen Territoriums zurück» erklärte er 2005. Deshalb werde Moskau versuchen, das «zurückzuholen, was mit dem Auseinanderbrechen der UdSSR verloren gegangen» sei. Im Inland geht das Großmachtbestreben mit einem Erstarken des russischen Nationalismus einher. Das Russland von heute ist nicht mehr die Sowjetunion, es ist eine kapitalistische und imperiale Macht.

Von der Art, wie der Westen seine imperialen Interessen verkauft, hat Putin durchaus gelernt. Etwa dass man sich tunlichst auf seine «Schutzverantwortung» beruft, wenn man eine Begründung für einen Machtwechsel braucht – und den hat es auf der Krim wie in der Ukraine gegeben.

Obwohl das alles so ist, sehe ich keinen Grund, in den Chor derer einzustimmen, die jetzt laut schreien, Russland habe auf der Krim das Völkerrecht verletzt und verdiene deshalb Strafe. Erstens haben die, die da laut schreien, selber soviel Dreck am Stecken, dass es einem die Schamesröte ins Gesicht treibt. Alt-Kanzler Schröder hat dankenswerterweise an den Kosovo erinnert, man könnte auch den Irak nennen, den Vietnamkrieg, den Koreakrieg, die Liste ist endlos und es waren immer Westmächte, die diese Kriege angezettelt haben. Und was ist mit Palästina, dieser permanenten, alltäglichen Völkerrechtsverletzung, wo seit Jahrzehnten einem Volk ein eigener Staat verwehrt wird?

Zweitens aber kann Putin seinen eigentlichen Grund, die Krim «heim ins Reich» zu holen – die Sicherung des russischen Flottenstützpunktes im Schwarzen Meer – um ein Vielfaches besser verkaufen als der Westen: Er kann sich nämlich darauf berufen, dass seit den Tagen Katharinas der II. die Krim «von nun an und für alle Zeiten» (1783) als russisch gilt. Und er kann sich auf eine Volksabstimmung stützen, die wegen dieser jahrhundertealten Zugehörigkeit mit einer Wahlbeteiligung von 80% und einer Zustimmung von 96,6% eindeutig zugunsten eines Beitritts der Krim zu Russland ausgefallen ist. Das wagen nicht einmal westliche Kommentatoren zu bezweifeln. Die Briten haben weniger gute Gründe, die Malvinas vor den Küsten Argentiniens besetzt zu halten.

Die westlichen Regierungen aber besitzen die Chuzpe, dieses Votum nicht anzuerkennen, obwohl bislang keiner berichten konnte, die Abstimmung sei gefälscht oder die Bevölkerung zu ihrem Votum gezwungen worden; dessen bedurfte es nicht. Die Gründe, die für eine Verletzung des Völkerrechts ins Feld geführt werden: der Aufmarsch russischer Soldaten; die einseitige Propaganda für den «Anschluss»; die Behinderung von Beobachtern der OSZE; die Medienzensur..., treffen alle zu, können an diesem Grundtatbestand aber nichts ändern.

Vielleicht hat deshalb Norbert Röttgen in «Hart aber fair» das bemerkenswerte Argument bemüht: Erstens wurde in den Jugoslawienkriegen kein Völkerrecht gebrochen, und zweitens, selbst wenn es so wäre, darf man das nicht gegeneinander aufrechnen. Sprich: Wir dürfen das, ihr nicht.

Der Machtwechsel, den der Westen in der Ukraine betrieben hat, steht legitimatorisch auf weit schwächeren Füßen. Denn wenn es auch so ist, dass er ohne den antioligarchischen Massenaufstand nicht zustande gekommen wäre, so hat es doch pfundweise illegitime Beeinflussung des inneren Geschehens durch westliche Politiker geregnet: angefangen von den grotesken Auftritten der Außenminister Westerwelle, Sikorski, Kerry und Bildt auf dem Maidan; über die Anheizung eines antirussischen, ukrainischen Nationalismus und die Duldung bewaffneter faschistischer Kräfte, die unliebsame Gegner bei Gelegenheit verprügelt und Parteibüros angezündet haben; bis hin zur Finanzierung der Klitschko-Partei durch die Konrad-Adenauer-Stiftung. Man stelle sich vor, Russland wäre in dieser Weise in Mexiko-Stadt aufgetreten, oder in Paris…

Anders als auf der Krim spricht der Machtwechsel in Kiew auch nur einem Teil der ukrainischen Bevölkerung aus der Seele; er hinterlässt das Land gespaltener, als es vorher war. Über ihm hängt das Odium, dass die EU mit ihrem Beharren auf einem Freihandelsabkommen, das den gleichzeitigen Beitritt der Ukraine zu der von Russland betriebenen Eurasischen Zollunion ausschloss, das Land erst in die Situation getrieben hat, sich entscheiden zu müssen.

Last but not least: Die Bevölkerung auf der Krim durfte wenigstens entscheiden. Die Bevölkerungen der EU durften nie darüber entscheiden, ob sie der EU beitreten wollen oder nicht. Und wenn schon mal Iren oder Franzosen über EU-Verträge abstimmen konnten – und sie prompt ablehnten –, mussten sie die Wahl unter erheblichen finanziellen Drohungen so oft wiederholen, bis das Ergebnis «stimmte». Das Votum der Bevölkerung hat unsere «demokratischen» Politiker noch nie sonderlich interessiert. Jedenfalls hat der jetzige Beitritt der Krim zu Russland mehr Legitimität als das «Geschenk», das Chruschtschow 1954 der Ukraine machte.

Die westliche Diplomatie hat in der Ukraine ein Personal an die Regierung gebracht, das einen scharfen antirussischen Konfliktkurs fährt und unverantwortliche Reden hält, etwa wenn der neue Ministerpräsident erklärt, der Konflikt sei, nachdem die militärischen Stützpunkte auf der Krim von der russischen Armee übernommen wurden, «von der politischen in die militärische Phase übergegangen» (SZ, 20.3.). Das ist geradezu eine Aufforderung an faschistische und paramilitärische Banden, in der Ostukraine – nach Möglichkeit auch auf der Krim – einen Guerillakrieg zu entfesseln, der das Land nur noch mehr ins Chaos stürzen kann. Der Westen schreitet dagegen nicht ein, obwohl er es könnte. Die erste Maßnahme der NATO nach dem Regierungssturz war ihre Zusage an die Übergangsregierung, die ukrainische Armee kräftig aufzurüsten; die Rüstungsindustrie freut sich, das Land wird mit Waffen überschwemmt werden. Es ist immer dieselbe Spur der Zerstörung, die imperialistische Einmischung in das politische Geschehen anderer Staaten hinterlässt.

Im Zuge der Krise in der Ukraine ist im Westen ein antirussischer Propagandakrieg entfesselt worden, der an die Hetze im Kalten Krieg, aber auch an die verzerrten Feindbilder im Vorfeld des Ersten Weltkriegs erinnert. Er steht in einem deutlichen Missverhältnis zu seinen realen Handlungsmöglichkeiten, aber auch in scharfem Kontrast zur realen wirtschaftlichen Lage. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (9.März) etwa rechnet ganz entspannt vor: «Deutschland muss sich keine Sorgen machen [wegen russischer Erdgaslieferungen]. Die Reserven sind größer als gedacht.» Die «Gaswaffe» könnte überdies Russland mehr schaden als der EU. Und die Krim ist «nicht wirklich einen Krieg wert».

Warum also das Kriegsgeschrei? Es wird enger im Kampf um die Vorherrschaft auf den Weltmärkten. Die USA und die EU stehen dabei gegen Russland und China. Da muss eine mentale Bereitschaft zur Aggression geschaffen werden, wir sollen wieder Angst vor dem russischen Bären bekommen. Der Propagandakrieg beschwört eine existenzielle Gefahr herauf, die den Menschen Angst machen und sie zur leichten Beute aufgeputschter Stimmungen soll, statt dass sie mit kühlem Kopf denken. Man schaue sich nur die Titelseiten mancher «seriöser» Medienerzeugnisse an… Putin der Gewaltmensch, Putin bedroht die Weltordnung, Putin der Irre, ja sogar wieder der «Hitler» (Hillary Clinton) – all diese Zutaten, die den letzten sog. «humanitären Kriegen» vorangingen, wurden auch diesmal wieder bemüht, wenn auch gedämpft. Es sieht so aus, als sei die Ukraine eines von vielen noch kommenden Vorspielen für eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen den beiden «Blöcken».

Die Ukraine hat nur eine Chance, wenn sie außenpolitisch neutral bleibt. Weder Moskau, noch Washington, noch Berlin!

 

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