von Birger Scholz
Der Zusammenbruch des «real existierenden Sozialismus» brachte nicht das Ende der Geschichte und auch keine «Pax Americana», sondern nur die Wiederkehr eines wohlbekannten Imperialismus, modernistisch Geopolitik genannt. In Asien war dies mit dem Aufstieg Chinas und der sich anbahnenden Konfrontation mit den USA und ihren Verbündeten schon längst sichtbar. In Europa verdeckte lange die Schwäche Russlands die neue Normalität. Über die schrittweise Einkreisung der Russischen Föderation durch die NATO ist viel geschrieben worden und auch darüber, dass dies dem Geist des 2+4-Vertrags diametral entgegenstand.
Während der Westen in Sonntagsreden weiterhin gerne das «Gemeinsame Haus Europa» (Michail Gorbatschow) beschwor, also einem fairen Interessenausgleich mit Russland das Wort redete, sahen die Taten anders aus. Kontinuierlich dehnten sich NATO und EU nach Osten aus und fanden sogar die Zeit, Serbien zu bombardieren, den wichtigsten Verbündeten Russlands. All das musste Moskau hinnehmen, auch weil die Westorientierung der ehemaligen Staaten des Warschauer Vertrags von klaren Mehrheiten in den Bevölkerungen getragen wurde. Ein Grenzfall waren aber schon die baltischen Staaten, die ihre russische Minderheit diskriminierten und ihr Staatsbürgerrechte verweigerten.
Kurz vor dem Georgienkrieg schienen die Westeuropäer, allen voran Kanzlerin Merkel, den Verstand einzuschalten und widersetzten sich den Wünschen der USA nach einer Ausdehnung der NATO nach Georgien und der Ukraine. Schon damals war Putin für den Westen der alleinige Aggressor. Der später von einem Schweizer Diplomaten im Auftrag der EU erstellte Untersuchungsbericht kam zu einem anderen Ergebnis: Russland hatte provoziert, aber Georgien, von den USA gezielt aufgerüstet, begann den Krieg mit einem Angriff auf russische Friedenstruppen in Südossetien.
Im gleichen Jahr nahm die EU mit der «orange» Ukraine Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen auf, wohl wissend, dass die Ukraine aus der wirtschaftlichen Integration mit Russland herausgebrochen würde. Und auch wissend, dass die Ukraine politisch, kulturell und ökonomisch ein tief gespaltenes Land ist. In seinem Bestseller Die einzige Weltmacht hatte Zbigniew Brzezinski bereits 1997 die Westbindung der Ukraine als den geopolitischen «Dreh-und Angelpunkt» und Ziel des Westens charakterisiert. Hieran entscheide sich, ob Russland den Status als eurasisches Reich behalte oder verliere. Er kam zum bemerkenswerten Schluss, dass die Russische Föderation die Einbindung der Ukraine in EU und NATO zwar nicht wolle, diese aber letztlich in ihrem ureigenen Interesse sei, wenn sie Teil Europas bleiben wolle. Anders formuliert: Russland kann nur Teil Europas sein, wenn es sich dem transatlantischen Hegemonieanspruch beugt.
Ganz im diesem Sinne ging die EU vor und ließ keinerlei Bereitschaft erkennen, in Absprache mit Moskau einen Sonderstatus für die Ukraine auszuhandeln. Dies aber hätte bedeutet, dass weder eine NATO-Mitgliedschaft noch eine reine EU-Assoziation möglich gewesen wären. Aber eben auch keine Einbindung des Landes in die von Russland geführte Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft. Ein Vorbild hätte bei allen Unterschieden die Rolle Finnlands während der Blockkonfrontation sein können.
Die EU aber wollte die ganze Beute und war ernsthaft empört, als sich Moskau widersetzte. Man kann über die Rolle der Faschisten, der Oligarchen und des Westens auf dem Maidan trefflich streiten. Zweifelsohne war der Maidan auch eine legitime Massenbewegung gegen Korruption und ökonomischen Niedergang. Dennoch war die zentrale Forderung der Bewegung die Unterzeichnung des EU-Abkommens, setzte gezielt auf Konfrontation, führte im Ergebnis zu einem westlich orchestrierten Staatsstreich und vertiefte die Spaltung des Landes. In einer solchen Situation ein umstrittenes Abkommen zu unterzeichnen und eine illegitime Regierung vorbehaltlos zu unterstützen, zeugt von einem bemerkenswerten Demokratieverständnis der EU. Um zu verhindern, dass bald NATO-Truppen auf der Krim stehen, gliederte Putin die Halbinsel lieber direkt ein. In der Logik der Geopolitik und in Anbetracht der Vorgeschichte geradezu nachvollziehbar.
Schon jetzt ist klar, dass den industriellen Kernen in der Ostukraine im Rahmen des EU-Freihandels eine schwere Zeit bevorsteht. Zudem müssen auch nichttarifäre Handelshemmnisse wie Subventionen abgebaut werden. Aber der Charakter des Abkommens ist noch weitergehender. So verpflichtet sich die Ukraine, eine funktionsfähige Marktwirtschaft zu etablieren, die Staatsfinanzen auszugleichen und die Außen- und Sicherheitspolitik schrittweise zusammenzuführen. Kurzum: Das Abkommen ist neoliberal und militaristisch, so wie es der Lissabon-Vertrag vorgibt. Wer erinnert sich noch an den Streit über das Europawahlprogramm der LINKEN?
Das böse Erwachen wird viele Aktivisten des Maidan bald ereilen. Die umfangreichen Kredite von Weltbank, IWF und EU bekommt die Ukraine nicht zum Nulltarif. Im Gegenzug hat sich die Regierung bereits zu «Strukturanpassungsmaßnahmen», also zu Renten- und Sozialkürzungen sowie Privatisierungen verpflichtet. Zumindest in der nächsten Dekade wird es mehr Verlierer als Gewinner geben. Auch die gescheiterte EU-Integration von Rumänien und Bulgarien sowie die EU-Austeritätspolitik in Südeuropa sprechen gegen die Hoffnung der Aktivisten des Maidan auf Wohlstand und Rechtsstaatlichkeit. Für das Binnenverhältnis in der EU ist die Krimkrise ebenfalls keine gute Nachricht. Denn mit der aggressiven Außenpolitik und Überdehnung der EU schwinden die Chancen auf einen Kurswechsel und sozialstaatliche Regulierung im Inneren.
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