von Bernard Schmid
Das Land drohte im Chaos zu versinken, aber das Machtkarussell war nicht defekt. Es drehte sich im Januar dieses Jahres gleich zweimal hintereinander: Am 10.Januar 2014 gab der seit knapp zehn Monaten amtierende «Übergangspräsident» der krisengeschüttelten Zentralafrikanischen Republik, Michel Djotodia, auf und warf das Handtuch. Er akzeptierte, ins westafrikanische Benin, aus dem seine Frau stammt, ins Exil zu gehen.
Als sein Nachfolger wurde daraufhin am Rande eines Regionalgipfels in der Hauptstadt des Tschad, N’Djamena, der neue Interimspräsident, Alexandre-Ferdinand Nguendet, bestellt. Aber auch er blieb nicht lange auf seinem Sessel, amtierte nur anderthalb Wochen. Ausgeguckt wurde nun die bisherige Bürgermeisterin der Hauptstadt Bangui, die in Frankreich Versicherungsrecht studiert und für eine Filiale der deutschen Allianz-Versicherung gearbeitet hat sowie bei Nichtregierungsorganisationen für Frauenrechte aktiv war; sie schien vielen eine gute Kompromisskandidatin, v.a. weil sie die «ethnische Vielfalt» des Landes in ihrer Person verkörpert. Sie wurde im Tschad geboren, ist aber – anders als die Bevölkerungsgruppen im Norden der Republik und an der Grenze zum Tschad, die überwiegend muslimisch sind – Christin, spricht aber gleichwohl Arabisch. Ihre relative politische Unerfahrenheit wird von vielen als Vorteil, von anderen als Nachteil ausgelegt.
Unterdessen droht das Land seit Monaten in den Bürgerkrieg zu rutschen, der immer stärkere Züge eines Kampfes zwischen Bevölkerungs- und Religionsgruppen annimmt.
Operation Sangaris
Allein im Dezember 2013 und Januar 2014 starben mindestens tausend Menschen bei gewalttägigen Konflikten. Am 5.Dezember vergangenen Jahres begann die militärische Intervention Frankreichs, die den Codenamen «Operation Sangaris» trägt und derzeit 1600 französische Soldaten mobilisiert hat.
Frankreich mischt seit langem aktiv in den inneren Angelegenheiten der Zentralafrikanischen Republik mit, die formal 1960 unabhängig wurde. Im Jahr 1979 etwa wurde der selbsternannten «Kaiser» Jean-Bédel Bokassa, der zuvor mit französischer Hilfe Präsident geworden war und später dem Größenwahn verfiel, durch eine französische Intervention unter dem Codenamen «Operation Barracuda» gestürzt. Seinen Amtsnachfolger und Cousin David Dacko brachten die Franzosen gleich selbst im Flugzeug mit. Das Interesse an der Zentralafrikanischen Republik hängt unter anderem mit ihrem immensen Rohstoffreichtum wie Diamanten, Gold, Erdöl oder Uran zusammen.
Der Gewaltzyklus in der Republik ist seit Beginn der Intervention kaum unterbrochen worden. Eine Million Menschen, ein Fünftel der Bevölkerung, sind inzwischen inner- oder außerhalb der Landesgrenzen auf der Flucht.
Hintergrund der wachsenden Gewalt ist die Konfessionalisierung des Konflikts, bei dem sich mittlerweile ganze Bevölkerungsgruppen bekämpfen. Zuerst betrieben bewaffnete Rebellen, die Séléka, begünstigt von Frankreich, im März 2013 den Machtwechsel; aus ihren Reihen kam der Übergangspräsident Djotodia. Da sie in Teilen jedoch eher Banditen als politische Opponenten waren, häuften sich bald Plünderungen, Überfälle und Vergewaltigungen. Anders als frühere Rebellionen verwaltete ihre Führung aber nicht einfach irgendwie das Land, sondern es gab überwiegend keine Verwaltung, es wurde nur drauflos geplündert. Dies führte zu heftigen Abwehrreaktionen.
Teile der ländlichen, später auch der städtischen Bevölkerung schlossen sich zu Selbstverteidigungsgruppen gegen die Milizen der Séléka zusammen, sie werden als Antibalaka bezeichnet. Séléka bedeutet so viel wie «Bündnis», während Antibalaka oft mit «Gegen die Machete» übersetzt wird. Der Name bedeutet aber auch «Gegner mit der Machete» – alle Bilder belegen, dass Kämpfer der Antibalaka selbst mit den gefährlichen Schneidewerkzeugen patrouillieren.
Die Séléka rekrutierte ihre Mitglieder vorwiegend aus muslimischen Bevölkerungsgruppen, die an der Grenze zum Tschad und zum Sudan wohnen. Ihr Erfolg wäre ohne die Unterstützung der tschadischen Diktatur, der stärksten Militärmacht in der Region, undenkbar gewesen. Auch in der Hauptstadt Bangui leisteten Händler aus diesen Bevölkerungsgruppen, die in Bangui selbst minoritär und von der politischen Macht ausgeschlossen sind, finanzielle Unterstützung für die Séléka. Angehörige der christlichen und animistischen Bevölkerungsgruppen im Zentrum und im Süden der Republik gingen in den letzten Monaten daraufhin zu einer oft pauschalen Feindseligkeit gegen Muslime über, es kam zu Übergriffen auf Zivilisten der jeweils anderen Konfession.
Streitschlichter oder parteiische Macht?
Die Ankunft der französischen Truppen wurde deswegen von manchen mit Beifall oder zumindest Erleichterung aufgenommen. Tatsächlich nahm die Intensität bewaffneter Auseinandersetzungen nach ihrer Ankunft zunächst ab. Doch dies war nicht von Dauer. Zwar tritt Frankreich formal als neutrale äußere Macht auf, die eingreift, um mit ihrer Armee eine Art bewaffnete Puffertruppe zwischen den verfeindeten Parteien zu bilden. An der französischen Staatsspitze hatte man in den vorausgegangenen Monaten die Séléka als Freunde des eigenen Verbündeten, des Regimes im Tschad, eher positiv betrachtet.
Doch vor Ort sind viele christliche oder animistische Einwohner der Auffassung, Frankreich komme ihnen als notwendig befreundete, da «christliche», Nation zu Hilfe. Bei Übergriffen auf muslimische Bevölkerungsteile oder gar Lynchaktionen beriefen sich deswegen mancherorts Angehörige anderer, vor allem christlicher Bevölkerungsteile darauf, Frankreich stehe doch auf ihrer Seite.
Da viele französische Militärs in Kontakt mit christlichen Milizen kamen, die ihnen freundliche Aufnahme bereiteten und die Spitznamen ihrer Anführer kennenlernten, verstärkte dies bei den muslimischen Bewohnern den Eindruck einer Komplizenschaft zwischen den christlichen Milizen und den französischen Soldaten. Es waren Kämpfer der Séléka, die am 10.Dezember 2013 am Flughafen von Bangui auf François Hollande lauerten und ihm einen Hinterhalt stellten. Das Ziel der Entwaffnung der Milizen hat die französische Armee inzwischen aufgegeben – weil es kaum durchsetzbar erscheint, aber auch weil entwaffnete Personen riskieren, ihrerseits zum Opfer von Übergriffen zu werden. Frankreich versucht nur noch, die streitenden Parteien zu trennen, momentan mit geringem Erfolg.
Die Tatsache, dass die offene Gewalt im Laufe des März 2014 abgenommen hat, ist quasi ausschließlich darauf zurückzuführen, dass die «ethnisch-konfessionelle Säuberung» bis dahin zu einer quasi systematischen «Entmischung» der Bevölkerungsgruppen geführt hat. Am 7.März meldete die französische Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf die UN-Vizegeneralsekretärin Valérie Amos, von vormals 100000 muslimischen Einwohnern der Hauptstadt Bangui blieben «weniger als tausend» übrig. Die anderen flohen in den Norden der Republik oder über die Landesgrenze in den Tschad – für viele von ihnen ein völlig unbekanntes Land, obwohl die muslimische Bevölkerung von anderen Einwohnern der Republik derzeit systematisch als «Leute aus dem Tschad» bezeichnet wird. Sollten die Flüchtlinge oder Binnenflüchtlinge jemals wieder in ihre Häuser und Geschäfte und an ihre vormaligen Wohnorte zurückkehren wollen, müsste beim jetzigen Klima mit einem sofortigen Wiederaufflammen der Gewalt gerechnet werden. Festzuhalten bleibt zugleich, dass die manifeste Gewalt zwar etwas zurückging, doch konnte die französische Intervention diese «ethnische Säuberung» und ihre Ergebnisse keinesfalls verhindern.
Verbündete ohne Eifer
Am 20.Januar 2014 beschloss eine Zusammenkunft der EU-Außenminister in Brüssel, 500 Soldaten (theoretisch vor allem britische und deutsche) zusätzlich zu den französischen Truppen in die Zentralfrikanische Republik zu entsenden. Dies bedeutet eine signifikante politische Unterstützung für das Eingreifen Frankreichs, wie Präsident François Hollande sie auf dem EU-Gipfel am 19.Dezember in Brüssel eingefordert hatte – damals war die Entscheidung verschoben worden.
Militärisch wird sich dadurch vor Ort zunächst nichts ändern, dafür ist die Truppenzahl aus anderen EU-Ländern zu gering. In Wirklichkeit ging es Frankreich auch eher um eine symbolische und vor allem finanzielle Unterstützung als um eine entscheidende militärische Rolle der EU-Verbündeten. Diese hatten es ihrerseits bislang nicht sonderlich eilig, ihr Truppenversprechen wahr zu machen. Mitte März schlug die französische Regierung Alarm, weil die versprochenen Soldaten aus anderen EU-Staaten noch immer nicht eingetroffen waren. Am 20.März fehlten immer noch einhundert von ihnen. Das stärkste Kontingent stellt bislang Georgien, das kein Mitglied der EU ist, gefolgt von Estland, Lettland, Polen, Spanien und Portugal.
Weder britische noch deutsche Soldaten sind bis Redaktionsschluss dieses Artikels vor Ort. Die europäische Truppe «EUFOR RCA» wird von einem französischen General, Philippe Pontiès, befehligt. Die anderen führenden EU-Mächte scheinen es nicht eilig zu haben, sich unter französischem Oberkommando in einen politischen Schlamassel ziehen zu lassen.
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