von Hartwig Otto
Mit der Liberalisierung des Postmarkts Anfang 2004 entstanden eine Vielzahl von Unternehmen, die Postdienstleistungen anboten. Wie bei allen sich neu am Markt etablierenden Firmen gab es bei ihnen keine gewerkschaftliche Interessenvertretung und so auch keinen anerkannten Tarifvertrag. Ihr Unternehmensmodell bestand im wesentlichen aus drei Elementen: Billiglohn, fehlenden Sozialleistungen und ungeregelten Arbeitsverhältnissen. Viele, die in diesen Unternehmen arbeiteten, mussten ergänzende Sozialhilfe beantragen.
Dank der Unterstützung vieler Medienkonzerne entwickelte sich die PIN AG zum stärksten Unternehmen der Branche. Sie zahlte etwas höhere Löhne als die Klitschen, doch war auch sie nicht bereit, mit der Gewerkschaft einen Tarifvertrag abzuschließen. Sie weigerte sich auch dann noch mit Ver.di ernsthaft über Tarifverträge zu verhandeln, als sie in einer Ausschreibung den Zuschlag für die Zustellung der gesamten Berliner Behördenpost bekam.
Die Post, die durch die Vergabe dieses Großauftrags aufgeschreckt war, nutzte zusammen mit Ver.di das sog. Entsendegesetz, um Untergrenzen für die Löhne der Branche festzulegen. Im November 2007 wurde ein entsprechender Tarifvertrag abgeschlossen. Er sah vor, dass für Sortierkräfte mindestens 8 Euro und für Zusteller 9,80 Euro gezahlt werden müssen. Die PIN AG hielt sich, wenn auch widerwillig, an diese Richtbeträge. Nicht zuletzt deshalb, weil der rot-rote Senat darauf bestand. Nach zwei Jahren zähen Rechtsstreits wurde die Regelung zum Postmindestlohn wegen eines Formfehlers für ungültig erklärt. Die PIN AG zahlte wieder die alten Entgelte, orientierte sich aber an den Vorgaben des Senats, der für behördlich vergebene Aufträge einen Mindestlohn von 7,50 Euro vorsieht.
Der erste Anlauf
Die Beschäftigten der PIN AG forderten nun Ver.di auf, für sie einen Tarifvertrag auszuhandeln. Ver.di verlangte, dass zunächst 50% der Beschäftigten in die Gewerkschaft eintreten müssten. Als dies erreicht war, forderte die Gewerkschaft die PIN AG auf, Tarifverhandlungen aufzunehmen.
Das Unternehmen stimmte zwar Gesprächen zu, sagte den vereinbarten Termin aber kurzfristig ab. Da der bei Ver.di zuständige Fachbereich 10 auf diesen Konfrontationskurs nicht vorbereitet war und selbst keine Konfliktstrategie für eine solche Situation entwickelt hatte, stand er mit leeren Händen dar. Hunderten von Mitgliedern traten daraufhin aus Ver.di aus. Im Betriebsrat kam es zu nicht enden wollenden Streitereien über die Frage, wie man zukünftig im Betrieb die Interessen der Kolleginnen und Kollegen vertreten solle. Mehrfach fanden Neuwahlen des Gremiums statt.
Der Neuanfang
Im Herbst 2012 verlangten die Beschäftigten auf einer Betriebsversammlung erneut von Ver.di, für sie einen Tarifvertrag abzuschließen. Zwischenzeitlich hatte sich für sie nichts gebessert. Der Lohn stagnierte seit etwa zehn Jahren. Sonstige Leistungen waren tarifvertraglich nicht abgesichert und damit auch nicht einklagbar. Deren Zahlung hing von Lust und Laune der Vorgesetzten ab.
Da der Fachbereich 10 sich nicht erneut eine Niederlage erlauben konnte, übertrug er das Verhandlungsmandat dem Landesbezirk von Ver.di. Deren stellvertretender Vorsitzender Roland Tremper nahm die Arbeit auf. Im Zentrum der Forderungen stand eine Lohnerhöhung von mindestens 10%. Ferner wurden eine Vereinbarung von Lohntabellen mit Dienstzeitstufen, die Abschaffung der Anwesenheitsprämien, die Zahlung von Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie klare Regelungen zur Arbeitszeit verlangt.
Immerhin ließ sich die PIN AG nach anfänglichem Zögern auf Verhandlungen ein, war aber nicht bereit, sie mit einem Ergebnis abzuschließen. Nach dem Scheitern der sechsten Verhandlungsrunde am 26.November 2012 leitete Ver.di die Urabstimmung ein. 97,4% der Abstimmenden stimmten für einen unbefristeten Streik. Die Verhandlungen wurden von Juni 2013 an durch Streiks begleitet. Die PIN AG versuchte, mit einer Streikbruchprämie die Kollegen von Arbeitsniederlegungen abzuhalten.
Als Ver.di merkte, dass sie auch nach der Urabstimmung noch hingehalten wurde, stellte sie ein Ultimatum und verlieh diesem durch einen zweitägigen Ausstand von 230 der 700 Zusteller Nachdruck. Als Reaktion auf die massive Arbeitsniederlegung sperrte die PIN AG alle Beschäftigten, die dem Streikaufruf von Ver.di gefolgt waren, aus.
Dies irritierte nicht nur die Gewerkschaft. Auch die Öffentlichkeit und die mit der PIN AG zusammenarbeitenden Unternehmen waren sprachlos. In einigen Bezirken hätte es nach dieser Entscheidung des Vorstandes der PIN AG in den folgenden Tagen, vielleicht sogar Wochen, keine Zustellung geben. Viele Unternehmen sahen schon das für sie wichtige Weihnachtsgeschäft bedroht. Sie machten Druck.
Die PIN AG verfiel darauf in Panik. Säckeweise musste sie die bei ihr eingelieferten Briefe ihrem Konkurrenten der Post AG übergeben, was auch noch ziemlich teuer war. Ebenso überstürzt, wie sie die Aussperrung beschlossen hatte, nahm sie die Tarifverhandlungen wieder auf. In einer kurzfristig anberaumten Nachtsitzung wurden Abschlüsse zum Lohn und zu bestimmten Teilen eines Manteltarifvertrags vereinbart.
Demnach werden die Stundenentgelte der Beschäftigten in zwei Stufen angehoben: beginnend mit dem 1.Januar 2014 auf mindestens 8,90 Euro, für das Gros der Beschäftigten (Zusteller) auf über 9,30 Euro, bis zu einem Stundenlohn von 10,70 Euro. Die Anwesenheitsprämie wurde zwar nicht abgeschafft, aber in die Tarifstrukturen fest einbezogen. Entgelt- und Manteltarifvertrag haben eine Laufzeit von 24 Monaten.
Es wurden sogar die Beschäftigten tarifiert, die nicht in die Auseinandersetzungen einbezogen waren wie etwa die Kräfte in der stationären Bearbeitung. Und die vom Arbeitgeber für die Streikbrecher gezahlte Prämie in Höhe von 550 Euro wurde für die Streikenden in gleicher Höhe als Einmalbetrag vereinbart. Die Wochenarbeitszeit liegt zukünftig bei 40 Stunden, darf aber innerhalb von 24 Wochen zwischen 38 und 42 Stunden pendeln, ähnlich wie bei den Zustellern der Post.
Das Ergebnis
Ver.di konnte den größten Teil ihrer Forderungen durchsetzen, was bei Tarifverhandlungen schon lange nicht mehr zu beobachten war. Die Gewerkschaft hat alle Beschäftigten der PIN AG tarifiert und verhindert, dass sich zwischen Streikenden und Nichtstreikenden nach Ende des Konflikts ein tiefer Graben zieht. Diesmal gab es eine klare Konfliktstrategie. Der Ver.di Landesbezirk scheute sich nicht, in der für den Gewinn des Handels so wichtigen Weihnachtszeit zu streiken. Wahrscheinlich war diese Entscheidung ausschlaggebend für den Erfolg.
Hartwig Otto ist Ver.di-Aktivist in einer seit langem aktiven Betriebsgruppe bei der DHL/Deutsche Post in Berlin.
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