NASIR MANSOOR ist stellvertretender Vorsitzender des pakistanischen Gewerkschaftsverbands National Trade Union Federation Pakistan. Die Gewerkschaft wurde am 1.Oktober 1999 gegründet. Sie arbeitet in allen möglichen Sektoren und allen Landesteilen. Sie arbeitet auch eng mit der Awami Workes Party zusammen. Anlässlich eines von Medico International organisierten Kongresses «Von Wohltätigkeit zu Solidarität», war Mansoor in Frankfurt am Main. Die Fragen stellte Theo Völkl.Der Nationale Gewerkschaftsverband NTUFP, für den du arbeitest, ist einer von mehreren Gewerkschaftsverbänden in Pakistan. Ihr steht im politischen Spektrum sehr weit links, seid nicht konfessionell gebunden und auch keiner großen Partei zugeordnet. Hat diese Aufsplitterung politische Gründe oder hat sie etwas mit der zunehmenden Islamisierung zu tun?
Gewerkschaften entstehen hier fast immer auf Betriebsebene. Manchmal schließen sie sich enger zusammen, und der nächste legale Schritt ist dann, einem Verband beizutreten. Da gewinnt dann die Stärke und politische Ausrichtung des Verbands an Bedeutung.
Es gibt kaum religiös ausgerichtete Gewerkschaften in Pakistan. Nur eine fundamentalistische Partei betreibt eine Gewerkschaft, aber die hat wenig Einfluss. Traditionell ist die Gewerkschaftsbewegung säkular. In ihrer langen Geschichte stand sie immer in der politischen Mitte bis weit links.
Bis heute ist die Arbeiterklasse im Umfeld von Fabrik und Arbeitsplatz kaum von religiösen Strömungen beeinflusst. Aber sobald die Beschäftigten in ihre Wohnviertel zurückgehen, ist das anders. Dort sind die religiösen Einflüsse sehr stark. Sie leben praktisch in zwei Welten. Die Gewerkschaftsbewegung war immer nur zwischen reformistischen und linkeren Strömungen gespalten. Aber alle sind säkular, das ist sehr positiv für die pakistanische Gesellschaft.
Wie stark sind denn die Gewerkschaften?
Die Gewerkschaften insgesamt sind sehr schwach. Pakistan hat 200 Millionen Einwohner, 60 Millionen davon sind Arbeiterinnen und Arbeiter. Aber nur etwas mehr als 2% davon sind in Gewerkschaften organisiert. Die NTUF gilt seit etwa fünf Jahren als der lebendigste, kämpferischste und stärkste Verband. Wir bestehen zur Zeit aus 62 Gewerkschaften mit zusammen über 100000 Mitgliedern. Und wir wachsen am schnellsten.
Warum seit ihr als relativ junger Verband erfolgreich?
Die meisten Gewerkschaften legen keinen Wert darauf, im Privatsektor zu arbeiten, denn die Mitgliedsbeiträge werden hier nicht kollektiv eingezogen und überwiesen wie in staatlichen Betrieben. In Privatfirmen wird viel mehr Einsatz von den Gewerkschaften gefordert, da es dort auch viel mehr Konflikte gibt.
Im öffentlichen Sektor haben alle Beschäftigten einen Arbeitsvertrag, Gewerkschaftsfunktionäre pflegen anerkannte Beziehungen zum Management, sie haben Pensionsanspruch und Krankenversicherung über den Betrieb und Einfluss auf die Einstellungen. Es ist einfach, dort eine Gewerkschaft zu gründen und zu erhalten, und auch einfacher, einen Kampf zu organisieren. Bei Konflikten ist der normale Weg, vor Gericht zu ziehen.
Im Privatsektor aber haben 95% der Beschäftigten keinen regulären Arbeitsvertrag, sodass es normalerweise keine juristische Konfliktlösung gibt. Eine Gewerkschaft muss immer erst einen Kampf organisieren.
Als es 2012 den großen Brand in einer Textilfabrik in Karachi gab, hat mich euer Auftreten auch mehr an eine NGO erinnert, die von außen agiert. Wie kam das?
Gerade im riesigen Textilsektor mit tausenden von Firmen war wegen der fehlenden Arbeitsverträge und der vielen, immer wieder neu rekrutierten Arbeitskräfte eine Organisierung kaum möglich. Aber wir waren die ersten, die sofort nach diesem schrecklichen Unglück mit all unseren Mitteln zu Hilfe eilten. Wir begannen sofort materielle, juristische und auch internationale Hilfe für die Betroffenen und ihre Angehörigen zu organisieren.
Für uns ist es bei so einem Unglück oder auch bei einem Arbeitskonflikt egal, ob die Arbeiterinnen in unserer Gewerkschaft sind. Viele hören da zum erstenmal überhaupt von einer Gewerkschaft. Heute, nicht mal zwei Jahre später, haben sich Arbeiterinnen aus einem Dutzend Textilfabriken in Karachi bei uns organisiert.
Seit einem Jahr ist die Muslim League unter Sharif wieder an der Regierung. Wird sich etwas für die Arbeitenden ändern?
Ja, wie es aussieht zum schlechteren. Die Regierung der Peoples Party ist mit ihrem neoliberalen Privatisierungsprogramm nicht weit gekommen. Sie war wegen ihrer verheerenden Korruptheit völlig diskreditiert und schwach. Sharif gilt als sauberer und durch die Wahlen legitimiert. Er hat jetzt vor, die Privatisierungen in noch größerem Stil so schnell wie möglich voranzutreiben, z.B. bei der Eisenbahn. Er will den Vertrauensbonus nutzen, und tatsächlich ist die Öffentlichkeit im Moment weniger empört.
Die betroffenen Arbeiter nehmen diesen Angriff aber viel ernster, und es wird zu wirklich harten Kämpfen kommen. Als vor kurzem bekannt wurde, dass auch ein staatliches Stahlwerk privatisiert werden soll, gingen mehr als 5000 Arbeiter auf die Straße und besetzten tagelang den Ort und die vorbeiführenden Überlandstraßen. Das gab es zum erstenmal. Sonst wurden immer nur die betroffenen Betriebe einige Tage lang bestreikt.
Für die Beschäftigten in privaten Firmen wird sich nicht viel ändern, auch weil das Arbeitsrecht Sache der Provinzen ist. So darf in manchen Provinzen eine Gewerkschaft erst bei einer Belegschaft über 50 Beschäftigten gegründet werden, in anderen bei einer über 30 und anderswo gibt es gar keine Beschränkung.
Die Provinz Sindh hat endlich den Landarbeiterinnen das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung zuerkannt. Die Zentralregierung fühlt sich für die Lage und die Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter gar nicht zuständig.
Worum geht es bei den Privatisierungen, etwa bei der Eisenbahn? Kann damit jemand Geld machen?
Nein, weder mit der Eisenbahn noch mit dem Stahlwerk. Es geht nur um den Grund und Boden. Das ist das einzige, was die Käufer billig vom Staat wollen.
In den deutschen Zeitungen handeln die Nachrichten über Pakistan im Moment vor allem vom militärischen Konflikt mit den Taliban und den Friedensverhandlungen, die die Regierung ihnen versprochen hat. Wie siehst du die Entwicklung?
Echte Verhandlungen werden nicht stattfinden. Die Taliban wollen ein wenig Ruhe, um sich nach schweren Angriffen des Militärs neu aufzustellen, und das Militär will eine Atempause, um die nächste Offensive vorzubereiten. Jede Seite kennt die Absicht der anderen. Zudem sind viele fremde Mächte involviert, von den USA, Saudi-Arabien, über den Iran bis Indien.
Im Hinblick auf Afghanistan kommt es immer wieder zu verschiedenen Bündnissen mit Teilen der Taliban. Wir sehen im Moment wirklich keine positive Entwicklung. Wir lehnen auch eine weitere Islamisierung der Gesetze ab, die die Regierung bei Verhandlungen als Zugeständnisse in Aussicht stellt. Solche Gesetze erschweren die Selbstorganisation der Arbeiterklasse noch mehr, die zu immer größeren Teilen aus Frauen besteht.
Du bist ja öfter in Europa. Wie ist eure Erfahrung mit der internationalen Solidarität?
Wir haben sehr gute Beziehungen zu Medico International und anderen Nichtregierungsorganisationen wegen der Zustände in den Textilfabriken. Die NTUF ist auch Mitglied im weltweiten Gewerkschaftsverband IndustriALL Global Union. Die IG Metall spielt darin eine führende Rolle.
Leider sind unsere Erfahrungen mit dem Verband eher schlecht. E-Mails an die Zentrale oder das regionale Asienbüro werden meist gar nicht beantwortet, es ist einfach kein Durchkommen. Wenn es um materielle Notlagen geht, wie nach dem Brand in Karachi, ist die Solidarität der internationalen Gewerkschaften sehr gering.
Seit 2011 sitzen sechs unserer Kollegen im Gefängnis – sie wurden nach Antiterrorgesetzen zu insgesamt 594 Jahren verurteilt. Sie hatten den großen Weberstreik in Faisalabad angeführt, an dem sich 100000 Arbeiterinnen beteiligten. Wir unterstützen ihre noch anstehenden Prozesse vor höheren Instanzen. Wir brauchen für ihre Familien, die schon in Armut leben, je etwa 25 Euro monatlich. Es ist schade, dass es so schwer ist, für solche Fälle von der internationalen Gewerkschaftsbewegung Unterstützung zu bekommen.
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