von Thies Gleiss
Früher gab es in den Gewerkschaftszeitungen im Januar immer eine Doppelseite mit der Überschrift «Schenk dem Staat kein Geld». Da wurde neben Tipps zum Lohnsteuerjahresausgleich auch ungewollt die Botschaft vermittelt, «der Staat» seien gar nicht «wir», wie es sonst von Kindesbeinen auf eingetrichtert wird, sondern eine fremde Instanz, die uns ausplündert.Nicht gleich der «geschäftsführende Ausschuss der herrschenden Kapitalistenklasse», sein ideeller Gesamtkapitalist, wie es noch bei Marx und Lenin heißt, aber eine fremde Macht mit großen finanziellen Eigeninteressen sei der Staat schon.
Diese Praxis des «Steuern kann man steuern für den kleinen Mann» ist bei der Gewerkschaftspresse etwas aus der Mode gekommen. Sie hat sich weitgehend der «Bereichert euch»-Ideologie der neoliberalen Epoche des Kapitalismus unterworfen. Jetzt heißt es, jeder ist sein eigener Unternehmer, ob Konzernbesitzer oder Arbeitskraftbesitzer, der sehen muss, möglichst viel und möglichst schnell Geld anzuschaffen und zu vermehren.
Für diese ideologische Neuausrichtung war der Emporkömmling aus München, Ulrich Hoeneß, stets ein wichtiger Stammspieler, der zwar 1976 einen Elfmeter in den Nachthimmel schießen durfte, aber ansonsten nicht nur die Wurstfabrik besaß, mit deren Produkten das Volk bei Laune gehalten wurde, sondern auch freiwillig und ohne Rücksicht auf jede Peinlichkeit den Hanswurst der kapitalistischen Ideologie zu spielen bereit war. Zum Thema Steuern drosch er Sätze wie seinerzeit den Elfmeter: «Unsere Spieler kicken jetzt schon eine Halbzeit für das Finanzamt» und, fast als Eigentor: «Wir müssen weiterhin die Reichen hierbehalten, damit sie weiter gemolken werden können.»
Selbst für das ganz große Kino war er geeignet, wenn er zu den Forderungen der finanzschwächeren Fußballvereine, die Fernsehgelder gerechter zu verteilen, verkündete: «Dieser Sozialismus in unserer Haltung führt uns total ins Aus.» Das war auf Augenhöhe mit seinem Vorgänger aus der vor-neoliberalen Epoche des Kapitalismus, Uwe Seeler, der unübertroffen den Kommunismus als Gesellschaft geißelte, «in der der Faule dem Fleißigen das Geld aus der Tasche zieht».
Nun ist dieses Prachtexemplar der spätkapitalistischen Versöhnung von Gier und Charity, von Zocken und Zuschlagen abgestürzt. Schlappe 30 Millionen hinterzogene Steuern konnten nicht mehr unter den Tisch gedealt werden. Die dreieinhalb Jahre Knast sind dafür, so die juristischen Experten, äußerst großzügig. Es sollte für alle Beteiligten ein fixes Ende mit Schrecken organisiert werden. «Noch mehr soll nicht herauskommen, es soll nicht weiter recherchiert, es soll nicht weiter geforscht, es soll nicht weiter ermittelt werden», vermutet Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung, wahrscheinlich zurecht.
Und damit selbst der Absturz noch zu einem die bürgerliche Ideologie stabilisierenden Auftritt wird, durfte die gesamte Medienwelt für zwei Tage kübelweise Häme über Hoeneß ausschütten. Nach dem Motto «Teert und federt ihn», den, der so schmählich seinen Auftrag vergeigt hat. Und die ehrenwerte Gesellschaft in Politik und Wirtschaft übernahm im gleichen Augenblick das Sicherheitsnetz im Zirkuszelt: Sie zollt dem Uli, dem Ehrenmann, der ausgerutscht ist, der kein Verbrecher, sondern ein Steuersünder ist, Respekt, dass er seine Verurteilung annimmt. Wären wir so direkt wie Max Liebermann, würden wir sagen: Man kann nicht so viel fressen, wie man kotzen möchte, schon gar nicht die Würste vom Hoeneß.
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