Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2014
Keine Anti-EU-Partei

Gekürzt aus: antifaschistische nachrichten, Nr.7, 2014

Unter der Flagge der Ablehnung der EU fordert die Alternative für Deutschland (AfD) vor allem eine Radikalisierung des neoliberalen Programms.

Der Erfurter Parteitag der Alternative für Deutschland (AfD) am 22./23. März sollte zum Triumphzug für Parteisprecher Bernd Lucke werden. Eine neue Satzung lag auf dem Tisch, die ihm den alleinigen Vorsitz bescheren und dem Bundesvorstand mehr Mittel an die Hand geben sollte, um in die Geschicke der Landesverbände einzugreifen.

Doch es kam anders. Die Wahl Olaf Henkels in den Parteivorstand klappte nur knapp (gegen einen Vertreter des rechten Parteiflügels), und mit der vorgeschlagenen neuen Satzung mochte sich die Mitgliederversammlung nicht einmal befassen. Der Flügelkampf um die Nähe zu Rechtsextremisten ist im vollen Gang. Der NRW-Verband der Jungen Alternative sorgte für einen Eklat, als er den Vorsitzenden der rechtspopulistischen britischen United Kingdom Independent Party (UKIP), Nigel Farage, zu einer Veranstaltung nach Köln einlud, auf der auch Marcus Pretzell sprach. Gegen eine Zusammenarbeit mit der UKIP gibt es einen Vorstandsbeschluss. Pretzell ist der Shooting Star des rechten Parteiflügels. Ihm ist es gelungen, sich auf den aussichtsreichen 7.Platz der Europawahl-Liste setzen zu lassen. In Erfurt wurde er sogar in den Bundesvorstand gewählt.

Trotz dieser Querelen gelang es der AfD in Erfurt, ein Programm für die Europawahl aufzustellen. Es ist ihre erste ausführlichere programmatische Positionierung zu dem Thema.

Sämtliche Gremien, alle Beschlüsse, Abkommen und Verordnungen aus «Brüssel» misst die Partei einzig daran, ob sie Deutschland nützen – wobei alle Deutschen gleichgesetzt und unterschiedliche soziale Interessen nicht wahrgenommen werden.

Wirtschaftspolitisch will die AfD den neoliberalen Kurs radikalisieren. Im europäischen Binnenmarkt soll der Wettbewerb gestärkt werden, «um die Mitgliedstaaten wirtschaftlich leistungsfähiger zu machen». Das heißt auch, «bisher geschützte Wirtschaftsbereiche dem Wettbewerb zu öffnen» und staatliche Monopole «auf den unverzichtbaren Dienstleistungskern» zu reduzieren. Dafür fordert sie: «Ungerechtfertigte Wettbewerbsbeschränkungen auf dem Europäischen Binnenmarkt müssen durch die europäische Gewerbeaufsicht aufgehoben werden» – hier ist sie auf einmal für EU-Eingriffe in die staatliche Hoheit.

Eine solche Radikalisierung des neoliberalen Ansatzes würde bedeuten, Staatsbetriebe bis auf wenige Ausnahmen aufzulösen und nahezu alle Wirtschaftsbereiche dem Wettbewerb zu öffnen. Auskömmliche Löhne und Gehälter sind aus AfD-Sicht ein Schaden für «die Wirtschaft». Mindestlöhne lehnt sie in Deutschland ausdrücklich ab. Die exorbitant hohe Jugendarbeitslosigkeit in den südeuropäischen Krisenländern liegt aus ihrer Sicht an den «unzureichenden Reformen der dortigen verkrusteten Arbeitsmärkte», konkret seien «Beschäftigungsverhältnisse in den Krisenländern über Gebühr zulasten der jungen Generation bestandsgeschützt. Ebenso verhindern dortige Mindestlohnregelungen den Zutritt von Berufsanfängern zum Arbeitsmarkt». Übersetzt heißt die Krisenlösung der AfD: Weg mit Mindestlöhnen und Erleichterung von Entlassungen.

Die AfD ist keine Anti-EU-Partei, vielmehr verlangt sie, den deutschen Einfluss in der EU massiv auszubauen. Wahrheitswidrig behauptet sie, «der tatsächliche Einfluss Deutschlands auf die Geschicke Europas [sei] immer geringer» geworden. Dem will sie entgegentreten: «Die AfD will Deutschlands Rolle in der EU wieder stärken. Deutschland muss entsprechend seiner Einwohnerzahl und seiner ökonomischen Bedeutung entsprechend ein größeres Gewicht in den europäischen Institutionen zugestanden werden.»

Der deutsche Einfluss im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) soll entsprechend dem Kapitalschlüssel auf 27% der gewichteten Stimmen angehoben werden. Nicht nur wäre Deutschland damit in diesem Gremium das mit Abstand stimmgewaltigste Land, die AfD fordert zudem, dass «grundlegende Entscheidungen nur mit einer qualifizierten Mehrheit von 75% getroffen werden können». Damit hätte Deutschland eine Sperrminorität.

Offenkundiger noch setzt die sächsische AfD in ihrem Landtagswahlprogramm auf Deutschtümelei: Sie fordert etwa Quoten für deutschsprachige Musik im Radio, einen Geschichtsunterricht, der ein «positives Identitätsgefühl» vermitteln soll, und das Singen der Nationalhymne an Schulen. Sie verlangt Volksabstimmungen bei Neubauten von Moscheen mit Minarett – will also per Volksabstimmungen Minderheiten ihrer Grundrechte berauben.

An den deutschen Außengrenzen sollen wieder dauerhaft Güter- und Personenkontrollen eingeführt werden, um eine Einwanderung nach Deutschland zu unterbinden.

Seit Monaten macht die AfD Propaganda gegen die «Masseneinwanderung in die Sozialsysteme». Andererseits wird sie nicht müde zu fordern, Deutschland müsse das Recht haben, sich die Einwanderer selbst auzussuchen. Nur wer gebraucht werde, dürfe rein. EU-Bürger sollen erst nach fünfjähriger Berufstätigkeit in Deutschland Anspruch auf Sozialleistungen haben.

Der Nationalismus scheint die Rolle eines Kitts zu spielen, der die unterschiedlichen Strömungen in der Partei zusammenhalten soll. Die eher liberale Strömung hat kaum Aussichten sich durchzusetzen und wird nach und nach die Partei verlassen.

 

 

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