von Gerhard Klas
Seit eineinhalb Jahren berichten Medien immer wieder von Vergewaltigungen in Indien. Mit Pink Sari Revolution ist nun ein Buch erschienen, das den Widerstand von einfachen, armen Frauen gegen die alltägliche Gewalt und Unterdrückung am Beispiel der Gulabi Gang beleuchtet, die in Zentralindien aktiv ist.Amana Fontanella-Khan will keine Geschichten schreiben, in denen Frauen einfach nur Opfer sind. Die Journalistin und Buchautorin will über Frauen berichten, die sich wehren. Dabei ist sie auf die Gulabi Gang mit ihren mehreren zehntausend Frauen gestoßen, die im zentralindischen Bundesstaat Uttar Pradesh aktiv sind.
Neu ist die Frauenbewegung keineswegs in Südasien: Bereits Anfang des 20.Jahrhunderts engagierte sich dort die Sozialarbeiterin und Schriftstellerin Roquia Sakhawat Hussain in Bengalen für die Gleichberechtigung der Frauen. Sie kam aus der dortigen Oberschicht und wird bis heute für ihr Engagement geehrt. Aus der gut gebildeten Ober- und Mittelschicht stammten auch die Aktivistinnen der indischen Frauenbewegung der 70er Jahre.
Die Gulabi Gang ist anders. Sie hat sich erst Anfang dieses Jahrhunderts gegründet und ihre Mitstreiterinnen kommen aus der einfachen, armen Bevölkerung des ländlichen Indien.
Die Autorin von Pink Sari Revolution hat pakistanisch-irische Wurzeln, wuchs in Österreich auf und wohnt heute in Brüssel. Die Journalistin lebt in einer Welt, die sich völlig von der ihrer Protagonistin Sampat Pal, Kopf und Gründerin der Bande in Pink, unterscheidet. Die 52jährige Sampat Pal spricht Hindi und ist bisher nur selten aus ihrem Distrikt herausgekommen – die 30jährige Autorin Amana Fontanella-Khan hingegen fühlt sich in vielen Regionen der Welt zu Hause und spricht mehrere Sprachen. Von Anfang an war sie fasziniert von Sampat Pal, ihrer lauten Stimme, physischen Präsenz, ihrer Persönlichkeit und ihrem Organisationstalent.
Amana Fontanella Khan, heute Ehrenmitglied der Gulabi Gang, war mehrere Monate zusammen mit Sampat Pal und ihren Anhängerinnen unterwegs. Wo immer Frauen Gewalt angetan wird oder Ungerechtigkeiten geduldet werden, marschiert die Gulabi Gang auf: in der Regel Dutzende, manchmal Hunderte Frauen in rosa Saris, bewaffnet mit Holzstöcken. Sie stellen nicht nur prügelnde Ehemänner, sondern auch korrupte Politiker und Polizisten zur Rede, die ihre Macht missbrauchen – auch dann, wenn Männer ihre Opfer sind. Sampat Pal ist selbst bereits als Kind verheiratet worden, in einem Dorf, in dem Unrecht gegen Frauen, untere Kasten und die Armen zum Alltag gehörte. Überleben konnte dort nur, wer sich ohne Murren in die Hierachien fügte.
Vor diesem Hintergrund erscheint Sampat Pal, die Protagonistin des Buches, als Ausnahmeerscheinung. Sie hat mit ihrer forschen, selbstbewussten Art die männerdominierte Welt im zentralindischen Distrikt Bundelkhand auf den Kopf gestellt. Ihre Gulabi Gang ist eine Selbstschutzorganisation, die anderen Frauen Hoffnung macht und wie ein Magnet auf sie wirkt.
Amana Fontanella-Khan beschreibt detailliert die vielen Wortgefechte und seltenen physischen Auseinandersetzungen, in die sich Sampat Pal und ihre Gang hineinbegeben. Anlässe gibt es viele: Kinderheirat, Mitgift, Diskriminierung von Witwen, Vergewaltigung und Gewalt gegen Frauen bis hin zum Mord – dagegen wehrt sich die Gulabi Gang.
Brachiale Gewalt gegen Menschen lehnen Sampat Pal und ihre Bande ab, ebenso wie Todesstrafe oder Lynchjustiz. Das unterscheidet sie auch von der legendären Bande um Phoolan Devi, die im gleichen Bundesstaat wie die Gulabi Gang auf einem blutigen Rachefeldzug gegen Vergewaltiger war. Das war in den 70er und Anfang der 80er Jahre, noch bevor Amana Fontanella-Khan geboren war.
Mit ihren einfühlsamen Reportagen hat Amana Fontanella-Khan eine Brücke geschlagen zwischen der Welt der arrivierten, weltläufigen Mittelschicht und den Frauen in einer der ärmsten Regionen Indiens. Ihr Buch wirft einen sensiblen Blick auf die Gewalt, der die Frauen tagtäglich ausgesetzt sind. Und es zeigt einen Weg, dieser Gewalt entgegenzutreten und den Alltag der Frauen entscheidend zu verändern: durch Selbstorganisation, die allerdings – so Amana Fontanella-Khan – ohne Sampat Pal nie so weit gediehen wäre.
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