von Helmut Born
Die diesjährige Tarifrunde im öffentlichen Dienst für den Bund und den Kommunen fand unter veränderten Bedingungen statt. Es war die erste Tarifrunde nach der Bildung der Großen Koalition und die bedeutendste in der diesjährigen Tariflandschaft.Die Forderungen die von Ver.di und den anderen DGB-Gewerkschaften im öffentlichen Dienst – GEW und GDP sowie der Deutsche Beamtenbund – beschlossen worden waren, hatten es in sich:
– 6 Wochen Urlaub für alle;
– 70 Euro extra für die Beschäftigten des Öffentlichen Personennahverkehrs;
– unbefristete Übernahme der Auszubildenden.
Von einer Rücksichtnahme auf die SPD in der Regierung konnte bei diesem Forderungspaket keine Rede sein. Vor allem die Forderungen nach 100 Euro Festbetrag und die unbefristete Übernahme der Auszubildenden waren eine deutliche Kritik an der Koalitionsvereinbarung, die ja weder eine Entlastung für Beschäftigte mit geringem Einkommen, noch eine Eindämmung prekärer Beschäftigung vorsah. Die Strategie von Ver.di in dieser Tarifrunde sah vor, bis Anfang April mit ausgedehnten Mobilisierungen schon in den ersten Verhandlungsrunden zu einem vertretbaren Ergebnis zu kommen.
So kam es dann auch. Innenminister De Maizière erklärte die Forderungen der Gewerkschaften zunächst für «unbezahlbar» und lehnte es in den ersten zwei Verhandlungsrunden ab, ein Angebot vorzulegen. Darauf anworteten die Gewerkschaften, zuvörderst die am stärksten mobilisierende Kraft, Ver.di, in der dritten Märzwoche mit breiten, regionalen oder örtlichen, ganztägigen Streikaktionen, die zwar Warnstreiks genannt wurden, aber tatsächlich richtige Streiks waren. Schon hier zeigte sich, dass die Bereitschaft der Kolleginnen und Kollegen sehr hoch war, sich an den Streiks zu beteiligen. Nachdem es in den letzten Tarifrunden immer Diskussionen um die Beteiligung der Beschäftigten im öffentlichen Personennahverkehr gegeben hatte, waren sie diesmal, wie zu alten ÖTV-Zeiten, von Anfang dabei und sorgten in unzähligen Städten für entsprechendes Chaos. Aber auch die Erzieherinnen in den städtischen Kitas beteiligten sich wieder in großer Zahl, genauso wie die Müllwerker, die Beschäftigten kommunaler Stromversorgungsbetriebe, Raumpflegerinnen und städtische Angestellte.
Als es auch in der anschließend stattfindenden Verhandlung zu keinem Ergebnis kam, mobilisierten die Gewerkschaften vor der nächstern Verhandlungsrunde am 31.3./1.4. massiv. Nun riefen sie zweitägige Warnstreiks aus, damit die «Arbeitgeber» den Ernst der Lage erkennen mochten. Wiederum beteilgten sich hunderttausende, was ihre Entschlossenheit zur Durchsetzung der Forderungen deutlich unterstrich. Aber nicht nur auf Arbeitgeberseite war man überrascht von der Mobilisierungsfähigkeit der Gewerkschaften, auch den Skeptikern auf Gewerkschaftsseite gingen die Argumente aus. Wer wollte noch bezweifeln, dass mit soviel Kampfbereitschaft ein gutes Ergebnis erzielt werden konnte?
Genau um noch massivere Aktionen zu vermeiden, schwenkte die Arbeitgeberseite Ende März dann ein. Man einigte sich auf das folgende Ergebnis:
– 3% Lohnerhöhung, mindestens aber 90 Euro ab dem 1.3.2014;
– zusätzlich 2,4% ab dem 1.3.2015;
– 6 Wochen Urlaub für alle Ausgelernten;
– 28 Tage Urlaub für Auszubildende;
– 40 Euro mehr Ausbildungsvergütung 2014, zusätzlich 20 Euro mehr 2015.
Das Ergebnis wird in der bis zum 25.4. laufenden Befragung der Gewerkschaftsmitglieder sicherlich eine ausreichende Mehrheit bekommen. Trotzdem bleibt einmal mehr kritisch festzuhalten, dass wiederum ein Abschluss für zwei Jahre abgeschlossen wurde und die Erhöhung für das zweite Jahr erheblich unter der vom ersten Jahr bleibt. Außerdem gibt es für das zweite Jahr keinen Festbetrag. Die Forderung nach unbefristeter Übernahme ist komplett unter den Tisch gefallen, und Azubis bekommen zwei Tage weniger Urlaub als Ausgelernte. Ebenfalls unter den Tisch gefallen ist der Extrabetrag für die Beschäftigten des öffentlichen Personennahverkehrs von 70 Euro, die aber wesentlich an den Mobilisierungen beteiligt waren.
Außerdem bleibt festzuhalten, dass die Gewerkschaftsführungen es wieder einmal vermieden haben, für ein besseres Ergebnis in den Streik zu treten. Das ist für die Entwicklung des Bewusstseins der Kolleginnen und Kollegen mehr als eine Schwachstelle. Es ist eben ein Unterschied, ob es ein paar «Warnstreiktage» gibt oder ob die Gewerkschaften in einen unbefristeten Streik gehen.
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