von Paul Grasse
Ich weiß, eine Kolumne ist parteilich und zugespitzt. Das Haudrauf-Prinzip auf alle Kräfte, die das Feld erhalten und die Rundumbebauung des Senats verhindern wollen, finde ich allerdings, gelinde gesagt, besserwisserisch, engstirnig und von Ignoranz geprägt. Ich will nur einige Aspekte anführen.
Man kann froh sein, dass Birger Scholz seinen Text gegen das Tempelhofer Feld nur in der SoZ und nicht in der B.Z. veröffentlicht hat. Leider findet seine späte Rache am der bürgerlichen Romantik ihren politischen Niederschlag aber auch in der Positionierung der NaO. Scholz’ Traum scheint erst erfüllt, wenn die letzte Brache industrialisiert und der letzte Baum gefällt wurde, dann ist die Romantik am Boden, die Industrialisierung hat vollumfänglich gesiegt und wir können endlich mit dem Klassenkampf um eine betonierte und verdreckte Welt beginnen, auf der es keine Zitronenbäumchen mehr gibt. Umweltschutz? Reaktionär! Saubere Luft? Was für Spießer! Scholz behauptet, der Senat plane «an den Rändern» 4700 Wohnungen, und das Feld freizulassen. Das ist Quatsch, denn in der Mitte des Feldes befindet sich ein Vogelschutzgebiet. Doch das Feld soll um ein riesiges Betonbecken bereichert werden und es soll eine Aufforstung statt finden, Erdwälle werden aufgeschüttet etc. Frei bleibt also so gut wie nichts. Auch die angeblichen Investitionen in die Infrastruktur sind vor allem Erschließungskosten für die Bebauung – in Höhe von mindestens 600 Mio. Euro. Das wird den Kaufpreis für die Grundstücke bestimmen – auf denen nämlich keineswegs der Senat selber bauen wird.
Eine rentable Bebauung wird bei dem Preis nicht ohne 10-Stöcker auskommen, die Struktur des Bezirks wird also radikal verändert werden. Ein Bezirk, der ohnehin schon seit Jahren unter massiver Gentrifizierung leidet, mit Mietverdopplungen innerhalb weniger Jahre etc. Weiter träumt Scholz von einer Klaus-Wowereit-Gedächtnis-Bibliothek für fast 300 Mio. Euro. Doch eine solche Zentralbibliothek ist darauf angewiesen, ihre Bestände aus den lokalen Berliner Bibliotheken zu holen. Sie ist für arme und alte Menschen nicht erreichbar. Bezirksbibliotheken werden hingegen seit Jahren geschlossen. Stadtentwicklungssenator Müller habe zugesagt, dass die Wohnungen von städtischen Gesellschaften und Genossenschaften errichtet werden.
Warum steht davon nichts im Gesetzentwurf? Warum privatisiert der Senat weiter Wohnungen, während er von der Notwendigkeit des sozialen Wohnungsbaus faselt? Warum bebaut der Senat nicht erst mal die Hunderte Hektar, die bereits erschlossen sind – insgesamt hat Berlin Platz für 220000 Wohnungen, ohne das Tempelhofer Feld zu bebauen? Warum wachsen bei Wohnungsnot überall ganze Viertel mit Stadtvillen? Scholz glaubt, dass die Hälfte der Wohnungen zu «sozialen Preisen» von 6 bis 8 Euro vermietet werden. Woher nimmt er die Sicherheit? Weiß er, dass 8 Euro kalt weit über dem liegen, was sich der Neuköllner leisten kann? Weiß er, dass nur 18% der zu bauenden Wohnungen als «Sozialwohnungen» gebaut werden sollen?
Scholz hat ein merkwürdiges Bild vom Berliner Mietmarkt, wenn er 12 Euro pro Quadratmeter als «üblich» ansieht, Recht hat er, wenn er Gebiete meint, durch die die Gentrifizierungswalze schon durch ist wie Pankow, Prenzlauer Berg etc. Das aber sollte keine Perspektive für Neukölln sein. Bezüglich der von Scholz behaupteten Vorverträge mit Wohnungsbaugesellschaften scheint er der einzige zu sein, der ein solches Wissen besitzt und außerdem einer von wenigen, die solchen «Vorverträgen» Verbindlichkeit zuschreiben. Dass die Bebauung zu weiteren Mieterhöhungen im Umfeld führen wird, gibt Scholz sogar zu, aber für das Resultat seiner Argumentation spielt das keine Rolle. Scholz’ Kolumne ist ein schönes Beispiel dafür, wie man ohne Anbindung an die Bewegung den politischen Boden unter den Füßen verliert und dafür, wie man mit vorgeblich linken Argumenten rechts rauskommt – nämlich bei effektiver Unterstützung der Politik des Berliner Senats aus SPD und CDU. Und weil wir es besser wissen als er und die NaO, werden wir für 100% Tempelhofer Feld stimmen und auf der richtigen Seite der Geschichte stehen
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