Eine Kontroverse
Die Entwicklung in der Ukraine bewegt viele Menschen. Mehrere tausend Menschen sind in den letzten Wochen auf Initiative der «Friedensbewegung 2014» auf der Straße gewesen. Mit der Zuspitzung des Ukrainekonflikts wächst die Sorge vor einem militärischen Konflikt, in den auch Deutschland mit hineingezogen werden könnte. So nimmt es nicht Wunder, dass es eine Stimmung zum Protest gegen die Kriegsgefahr gibt. Um die Haltung zu dieser neuen Bewegung gibt es allerdings innerhalb der breiteren Linken wie auch der Partei DIE LINKE Streit. Bahnt sich hier eine neurechte Bewegung an oder müssen Linke hier eingreifen? Wir dokumentieren eine Stellungnahme von Volkhard Mosler (Marx21) sowie von Farbio Montale und Michael Prütz (NaO Berlin).«Friedensbewegung» 2014 und die Linke
von Volkhard Mosler
Mit der Zuspitzung des Ukrainekonflikts wächst die Sorge vor einem militärischen Konflikt, in den auch Deutschland mit hineingezogen werden könnte. So nimmt es nicht Wunder, dass es eine Stimmung zum Protest gegen die Kriegsgefahr gibt. Seit einigen Wochen hat eine Initiative «Friedensbewegung 2014» (FB 2014) einigen Zuspruch. Ihre Kurzplattform ist: «Friedlicher Widerstand! Für Frieden in Europa! Auf der Welt! Ehrliche Presse! Gegen die tödliche Politik der Federal Reserve!»
Wer sich der Mühe unterwirft, die wichtigsten Auftritte ihrer Sprecher (Mährholz, Popp, Elsässer, Jebsen, Schrang, Schurig, Albrecht u.a.) auf dem Internet zu verfolgen, wird zu dem Ergebnis kommen, dass die letzte Forderung gegen die FED die zentrale Botschaft der «Friedensmahnwachen» ist. «Immer wenn ihr Krieg denkt, müsst ihr FED denken!», rief Mährholz vor Publikum aus. Verantwortlich für alle Kriege der letzten hundert Jahre sei die FED. Die FED wiederum werde durch das internationale Finanzkapitals gesteuert. Die Nazis hätten noch das Adjektiv «jüdisch» eingefügt. Da das in Deutschland nicht mehr «geht», nennen die Redner stellvertretend immer mal Namen von jüdischen Bankern und Kapitalisten. Elsässer nannte Rothschild, Soroz und Chodorkowski, Mährholz die Warburg Bank, die gegenwärtig auf Platz 76 (!) der Rangliste deutscher Banken steht und deren Besitzer 1933 vor den Nazis fliehen musste. Weitere zentrale Botschaften sind, dass Deutschland kein souveräner Staat sei, dass das System des Zinseszins abgeschafft werden müsse, dass das Denken in Links-rechts-Kategorien überholt sei.
Mit dem Kampf um die volle Souveränität Deutschlands geht die Bildung eines Allklassenbündnisses des ganzen deutschen Volkes einher. In Anlehnung an Occupy sagte z.B. Jürgen Elsässer auf einer Kundgebung in Berlin: «Wir sind die 99 Prozent.» Er knüpfte damit an eine Formel von Occupy an. Aber im Unterschied zur Klassenorientierung der Occupy-Formel, die mit dem einen, verbliebenem Prozent die herrschenden Klassen des jeweils eigenen Landes meinte, sieht Elsässer in dem «einen Prozent» eine fremde Macht, nämlich eine «internationale Finanzoligarchie», die vermittels der amerikanischen Zentralbank, der FED, auch Deutschlands Eliten kontrolliert.
Elsässer fügte hinzu: «Warum soll es Antisemitismus sein, wenn man darüber spricht, dass Geldaristokraten die Federal Reserve benutzen, um die ganze Welt ins Chaos zu stürzen?» Das ist fast O-Ton Adolf Hitler: «Der Völkerstreit und Hass untereinander wird gepflegt von ganz bestimmten Interessen. Es ist eine kleine wurzellose, internationale Clique, die die Völker gegeneinander hetzt, die sich überall zu Hause fühlt … die überall ihre Geschäfte macht.»
Und Elsässer wurde noch deutlicher, als er dann rhetorisch fragte, wer denn dieser Finanzoligarchie angehöre und nannte dann neben zwei Königshäusern (englisches und saudi-arabisches) noch «die Herren Rockefeller, Rothschild, Soros, Chodorkowski». Ist es ein Zufall, dass es sich bei drei der vier Genannten um Menschen jüdischer Herkunft handelt? Elsässers Rede ist ein Dokument einer nationalistischen und rassistischen Deutung des Ukraine-Konflikts. Elsässers Rede wurden weder von Mährholz noch sonst einen der Organisatoren von FB 14 öffentlich kritisiert. Seine Argumentationsmuster finden sich auch bei Andreas Popp, Lars Mährholz und in abgeschwächter Form bei Ken Jebsen wieder.
Viele, der Teilnehmer an den Veranstaltungen von FB 14 mögen aus Sorge um den Weltfrieden auf die Straße gehen. Der Charakter einer Bewegung wird allerdings nicht nur durch die Motivation ihrer (in diesem Fall passiven) Basis bestimmt, sondern durch ihr politisches Erscheinungsbild, das wiederum wesentlich geprägt wird durch die Parolen, Stellungnahmen und Reden ihrer Sprecher. Die wesentlichen Merkmale dieser Bewegung sind eine Mischung von krudem Antiamerikanismus, Krypto-Antisemitismus, Nationalismus und unkritischer Putin-Verehrung. Sie ist nicht Teil der Friedensbewegung, sie ist eine diffuse kleinbürgerlich-nationalistische Protestbewegung gegen die «herrschenden Verhältnisse», gegen das «System» usw. Die Propaganda für Frieden ist der Propaganda für nationale Befreiung Deutschlands untergeordnet, sie ist die eigentliche politische Botschaft. Sie ist daher wie geschaffen für den parallelen Europawahlkampf der AFD.
Das Problem besteht nicht darin, dass Rassisten (AFD) und Nazis (NPD) diese Initiative inzwischen unterstützen. Faschisten sind auch in der Vergangenheit nicht davor zurückgescheut, ökologische, soziale und andere an sich emanzipatorische Bewegungen zu «unterstützen». Ein bekanntes historisches Beispiel ist der Berliner Verkehrsstreik von 1932, der von der NSDAP unterstützt wurde. Auch zu den Montagsdemonstrationen gegen Schröders Hartz-Gesetze und zur Occupy-Bewegung hatten rechte und faschistische Gruppen aufgerufen. Aber im Unterschied zu diesen war die FB 14 vom ersten Tag an unter der straffen Kontrolle von Mährholz und seinen Freunden, die keinerlei demokratische Strukturen schufen wie bei Occupy (tägliche Vollversammlungen, gewählter Sprecherrat).
Die Metapher von der Überholtheit des Links-rechts-Schemas ist als Absage an Klassendenken zu verstehen, nicht nur als Angebot einer breiten politischen Front von ganz links bis ganz rechts. Das Bemühen um ein breites Volksbündnis aller Klassen und «aller politischen Lager» (Mährholz) schließt die rassistische und faschistische Rechte durchaus mit ein und deshalb besteht die Gefahr, dass die FB 14 dieser hilft, aus ihrer politischen Isolation auszubrechen.
Elsässer konnte nach der Unterstützung durch mehrere Bundestagsabgeordnete der LINKEN triumphieren: «Eure Hetze, von wegen wir seien alle Antisemiten und Rechtsradikale, ist blamiert.»
Ja, wir müssen die Menschen erreichen, die aus Sorge vor einem Krieg auf die Straße gehen. Wir werden sie aber politisch nicht gewinnen auf dem Weg der Zusammenarbeit und Aktionseinheit mit den Mährholz, Jebsen, Popp, Albrecht, Elsässer, Schurig, Schrang & Co. Wir können sie nur erreichen durch den Aufbau einer linken Friedensbewegung, die den Namen verdient.
Die Frage, die wir als Marxisten beantworten müssen, ist nicht, ob wir nur in lupenreine antikapitalistischen Bewegungen arbeiten. Die Frage ist vielmehr, ob wir eine Bewegung unterstützen sollten, deren Charakter nicht nur von den bürgerlichen Medien sondern von großen Teilen der Linken – zu recht – als national und antisemitisch wahrgenommen wird und deren Führung aus rechten Verschwörungspolitikern besteht.
Volkhard Mosler ist Redakteur von Theorie 21.
Gerechtfertigte Rebellion
von Farbio Montale und Michael Prütz*
Dies ist ein Diskussionsbeitrag von zwei Genossen der NaO. Er drückt nicht die Haltung der NaO aus. In der NaO ist dieses Thema bisher nicht diskutiert worden.
Es ist bizarr: Zwischen Masse und politischen Eliten geht ein Riss in Deutschland – und einem Großteil der antagonistischen Linken in Deutschland fällt nichts besseres ein, als sich von einem Teil des daraus hervorgehenden Politisierungsprozesses, also den Montagsdemonstrationen, zu distanzieren. Diese seien obskur, ja deutlich rechts. Das ist ein politisches Armutszeugnis und sagt mehr über den Zustand der radikalen Linken als über den der realen Bewegung aus.
Es wird gesagt: Die Organisatoren und Sprecher der Montagsdemos seien Teil der politischen Rechten. Ja, das stimmt wohl größtenteils. Jürgen Elsässer verfolgt seit Jahren eine Querfrontstrategie, die einfach gestrickte linke Antiimperialisten mit rechten Populisten (Gauweiler etwa) verbünden will. Diese Strategie und diese Politik gilt es von links zu bekämpfen. Aber das tut man nicht, indem man ihr das Feld überlässt.
Bei Ken Jebsen liegen die Dinge wohl etwas anders. Eine durchdachte rechte politische Orientierung können wir bei ihm nicht erkennen. Er verbindet richtige Dinge (gegen den drohenden Krieg zu sein etwa) mit falschen Utopien (der Natur als Vorbild), die organizistisch sind und daher eher in die Gedankenwelt des rechten Konservativismus, der konservativen Revolution oder gar des Faschismus gehören. Aber Ken Jebsen ist kein Frontmann der organisierten Rechten. Man kann sagen: Er redet dummes Zeug, versucht richtige Forderungen mit falscher Theorie zu verbinden. Dadurch werden seine Aussagen nicht besser, antidemokratische Ressentiments können befeuert werden. Aber die konkrete Analyse einer konkreten Situation sollte auch hier Widersprüche und Differenzen so offenlegen, dass sie uns als Linke handlungsfähig machen – und uns nicht auf bequeme Plattitüden zurückwerfen.
Aber was ist eigentlich mit den Leuten, die an den Montagsdemonstrationen teilnehmen? Jeder, der es will, kann wissen, dass es in den letzten Jahren immer Montagsdemos gegeben hat. Nicht selten hatte die MLPD ihre Finger im Spiel, bei anderen (etwa in Kassel) rechte Spinner. Aber ist das identisch mit dem, was da heute vor sich geht? Wir wissen natürlich auch nicht genau, was alle, die da hingehen, in ihren Köpfen haben. Aber das wissen auch all diejenigen nicht, die die Demonstrationen als durch und durch rechte Veranstaltungen diffamieren. Woher denn? Weil Ken Jebsen für Unsinn Applaus bekommt? Beide hier verantwortlich zeichnenden Autoren haben bereits für revolutionäre Agitation Massenapplaus erhalten – ohne zu glauben, daraus auf die revolutionäre Geisteshaltung der Applaudierenden schließen zu können. Man kann höchstens Anschlussfähigkeit ausmachen. Welchen Applaus etwa ein Bernd Riexinger bei der Berliner Montagsdemo erhalten würde, werden wir wohl nie erfahren.
Jahrelang hat die antagonistische Linke – ob nun revolutionär, radikal oder reformistisch – gepredigt: Es gibt eine Entdemokratisierung. Es gibt eine außenpolitische Normalisierung, die mit einer Militarisierung deutscher Außenpolitik gleichgesetzt werden kann. Es gibt eine Mehrheit von gewählten PolitikerInnen (eine große Koalition, die von SPD und Grünen bis CDU und FDP reicht), die ganz offensichtlich kapitalfreundliche Politik gegen die sozialen Interessen der Bevölkerungsmehrheit macht. Und dann gehen Leute, die mit linker Politik ansonsten soviel am Hut haben wie wir mit Scientology, auf die Straße – weil sie sich von «den Politikern betrogen» fühlen, weil sie Angst vor einem neuen Weltkrieg haben und die Lüge (ja, das ist es doch!) nicht glauben, die Schuld läge nun mal einfach bei der russischen Regierung, während «der Westen» zivilisatorische Friedenskraft sei, weil sie die wachsenden sozialen Verwerfungen nicht gut finden.
Was ist das? Unseres Erachtens ist das ein ideologischer Rohstoff, mit dem man Politik machen muss. Sind Erklärungen deshalb richtig, die die Wall Street beispielsweise als Ursache des Übels sehen? Nein, aber dass eine mächtige Institution des immer noch amtierenden Hegemons innerhalb eines nordatlantischen imperialistischen Bündnisses kritisiert wird, müsste die Linke eigentlich als Ausgangspunkt nehmen, um um Köpfe und Herzen der sich mobilisierenden Menschen zu kämpfen – und so die Elsässers und Nationaldemokraten dieser Welt zu bekämpfen. Das Alltagsbewusstsein der Menschen ist nun einmal in sich ungleich entwickelt, es ist widersprüchlich und enthält notwendigerweise Ideologien, die die bürgerliche Herrschaft reproduzieren helfen. Wäre das anders, dann würde Herrschaft dauerhaft instabil. Wer gewerkschaftlich aktiv ist, weiß das alles gut. Eine Kollegin kann absolut interessenbewusst sein, wenn es um die Verteidigung tariflicher Standards geht – und gleichzeitig einer Leistungsethik auf den Leim gehen, die in Utopien «fauler Erwerbsloser» münden. Oder ein Kollege kann strikter Vertreter eines kämpferischen Kurses dem Chef gegenüber sein, gleichzeitig aber glauben, dass ausländische Arbeitskräfte seinen Arbeitsplatz bedrohen. Sektiererisch wäre es, nicht gemeinsam für die gewerkschaftlichen Ziele zu kämpfen, sondern das Trennende als Grund zu nehmen, um den konkreten Klassenkampf zu verlassen. Opportunistisch wäre es, die strittigen Themen nicht zu diskutieren, sie nicht anzugreifen und die Kollegin und den Kollegen nicht von linken Alternativen zu überzeugen.
Das Elend der antagonistischen Linken ist, dass sie es nicht vermag, aus dem sich doch andeutenden Riss zwischen einem Teil der Massen und den politischen Eliten sozialistische Politik zu entwickeln. Wo war die gemeinsame Initiative unserer Organisationen (der IL, der Partei DIE LINKE, der DKP und und und… und auch unsere eigene, der Neuen antikapitalistischen Organisation), die eine linke Perspektive für diesen Riss aufgemacht hat? Das Problem sind nicht die Montagsdemonstrationen, sondern eine antagonistische Linke, die es nicht vermag, eine mobilisierungsfähige politische Orientierung und ein überzeugendes Handlungsangebot zu machen. Selbstkritik ist angesagt, Genossinnen und Genossen, Selbstkritik!
*Neue antikapitalistische Organisation, Berlin.