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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2014

Sparmaßnahmen der Troika gescheitert

von Ingo Schmidt

Hohe Zinsen, knappes Geldangebot. So kennt man die EZB. So hat sie die Inflation bekämpft, also diese schon im Sumpf anhaltender Stagnation untergegangen war. Jetzt übt sie sich in unkonventionellen Maßnahmen.

Der Zins auf Einlagen bei der Zentralbank wurde Anfang Juni auf –0,1% gesenkt. Der Leitzins, zu dem sich Banken bei der EZB frisches Geld, den «Rohstoff» ihrer eigenen Kreditvergabe, verschaffen können, wurde von 0,25 auf 0,15% gesenkt. Damit zielt die EZB aber bestenfalls auf Schadensbegrenzung. Das Ziel der Inflationsbekämpfung hat sie schon lange erreicht. Und keine noch so großzügige Geldversorgung kann einen Konjunkturaufschwung auslösen. Dafür bedarf es steigender Nachfrage von Unternehmen, privaten Haushalten oder Staat. Genau daran fehlt es, und daran kann die EZB weder mit konventionellen noch mit unkonventionellen Maßnahmen etwas ändern.

Deflationsgefahr in der Eurozone

Im vergangen Jahr stagnierte die Wirtschaft in der Eurozone. Die Wachstumsrate betrug exakt 0,0%. 2012 war sie um 0,5% geschrumpft. Deutschland wird in den Medien zwar oft als Wachstumsvorbild dargestellt, vor der Großen Rezession und der Eurokrise wären Wachstumsraten von 0,7% (2012) und 0,4% (2013) allerdings eher als Stillstand denn als Ausdruck wirtschaftlichen Aufbruchs bezeichnet worden.

Mit der Stagnation der Wertschöpfung geht der Niedergang der Inflation einher. Das Auf und Ab des Ölpreises, die den Wechsel von Spekulationsgelüsten und Ängsten vor weltpolitischen Krisen ziemlich genau abbilden, beeinflusst die Inflationsrate zwar auch. Rechnet man diese Schwankungen aber heraus, ergibt sich ein ziemlich eindeutiger Trend von niedriger Inflation vor der Krise in Richtung Nullinflation und Deflation seit Ausbruch der Krise. Griechenland ist bereits bei einer Inflationsrate von –0,8% angelangt, in Spanien sind es nur noch 0,2%.

Haushalte, deren reale Kaufkraft und Ersparnisse in der Vergangenheit von steigenden Preisen unterminiert wurden, mögen in sinkenden Preisen einen Fortschritt sehen. Für jeden hart verdienten Euro können sie sich jetzt mehr kaufen. Wenn sie mit dem Kaufen noch etwas warten, können sie sich später allerdings noch mehr kaufen – vorausgesetzt, die Preise sinken weiter. Wenn genügend Haushalte die Anschaffung langlebiger Konsumgüter in der Erwartung sinkender Preise zurückstellen, sinken freilich auch gesamtwirtschaftliche Nachfrage und Beschäftigung. Einige Haushalte werden die Einkommen, auf die ihre künftigen Einkäufe berechnet waren, dann gar nicht mehr beziehen. So erfreulich sinkende Preise im Einzelfall sind, so zerstörerisch sind sie für die Gesamtwirtschaft.

Die zerstörerische Wirkung einer Deflation wird noch dadurch verstärkt, dass sie zu einer realen Aufwertung ausstehender Schulden führt. In Zeiten der Inflation erhalten Gläubiger, die gutes Geld verliehen haben, mehr oder minder wertloses Geld zurück. In einer Deflation verhält es sich umgekehrt: Für die Schuldner wird es immer schwerer, die anstehenden Tilgungen und Zinsen zu zahlen. Wenn die Preise über längere Zeit sinken, werden schließlich auch die Nominaleinkommen sinken. Dennoch muss der ursprüngliche, auf einen höheres Einkommen berechnete Kredit vollständig zurückgezahlt werden. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit des Zahlungsausfalls. Statt sich über die Kaufkraft des zurückgezahlten Kredits freuen zu können, geht der Gläubiger leer aus. Gegen diese Gefahr richten sich die jüngsten Maßnahmen der EZB. Wie es scheint mit Erfolg: Südeuropäische Staatspapiere finden bei Investoren reißenden Absatz. Vor einigen Jahren galten sie als unverkäuflich.

Die Sparmaßnahmen, die von der Troika zur Wiederherstellung der Kreditwürdigkeit erzwungen wurden, sind sämtlich gescheitert. Sie haben die Krise massiv verschärft und die Staatsverschuldung der betroffenen Länder durch krisenbedingte Einnahmeausfälle weiter in die Höhe getrieben. Ein Investorenschreck sind diese Schulden dennoch nicht mehr. Ist die Nachfrage nach südeuropäischen Anlagen Vorbote eines allgemeinen Investitions- und Wirtschaftsaufschwungs? Oder eine Verzweiflungstat, weil Investoren nichts Besseres mit ihrem Geld anzufangen wissen?

Kreditmangel oder Nachfragemangel?

Die EZB geht davon aus, dass der Wirtschaft in der Eurozone nicht genügend Kredit zur Verfügung steht, um zusätzliche Käufe zu finanzieren und damit einen Konjunkturaufschwung auszulösen. Als Reaktion auf die Finanzkrise, die aus der Rezession vor sechs Jahren erst eine Große Rezession gemacht hat, sind die Eigenkapitalvorschriften für den Bankensektor verschärft worden. Eine bestimmte Kreditsumme muss nun mit einer größeren Summe Eigenkapital unterlegt werden, um das Risiko des Zahlungsausfalls einzuschränken. Deshalb ist die Annahme, Banken hielten sich angesichts dieser schärferen Auflagen mit der Vergabe neuer Kredite zurück, durchaus naheliegend. Die EZB versucht nun, die Banken trotz dieser Auflagen zur Ausweitung ihres Kreditangebotes zu bewegen. Angesichts seit Jahren stagnierender Kreditvergabe ist die Strategie nachvollziehbar aber nicht unbedingt erfolgversprechend. Dass Banken nicht mehr Kredite vergeben, muss ja nicht daran liegen, dass sie dazu nicht in der Lage sind. Es kann ebenso gut daran liegen, dass die Nachfrage nach Krediten beschränkt ist.

Private Haushalt fassen kreditfinanzierte Ausgaben nur ins Auge, wenn sie ihrer Einkommen einigermaßen sicher sind. Angesichts der Zunahme ungesicherter und schlecht bezahlter Jobs stellt sich die Frage solcher Ausgaben für eine wachsende Zahl von Haushalten aber gar nicht. Und viele, die noch ordentliches Geld verdienen, sorgen sich, dass es damit bald ein Ende haben könnte. Angesichts dieser Unsicherheit halten sie sich mit kreditfinanzierten Ausgaben zurück. Öffentliche Haushalte nehmen zwar ebenso wie Privatleute ständig neue Kredite auf, weil bestehende Kreditverträge auslaufen. Dadurch entsteht aber weder eine zusätzliche Nachfrage nach Krediten noch eine nach hierdurch finanzierten Gütern oder Dienstleistungen. Schuldenbremse und Fiskalpakt haben einer expansiven Finanzpolitik einen Riegel vorgeschoben.

Bleiben private Unternehmen. Sie fassen kreditfinanzierte Investitionen ins Auge, wenn sie erstens steigenden Absatz erwarten, zweitens die zur Befriedigung dieser Nachfrage notwendigen Investitionen nicht aus ihren Gewinnen finanzieren können. Die industriellen Kapazitäten in der Eurozone waren 2013 aber nur zu 78% ausgelastet. 2007, dem letzten Jahr vor Ausbruch der Großen Rezession, lag dieser Wert noch bei 84,2%. Gerade Großunternehmen, deren Gewinne dank Umverteilungspolitik auch in Zeiten der Stagnation kräftig sprudeln, stehen daher keineswegs vor dem Problem, Kredite zum Zwecke der Investitionsfinanzierung zu beschaffen. Sie suchen vielmehr Anlagemöglichkeiten jenseits ihres industriellen Kerngeschäfts. Und die finden sie auch: auf den Finanzmärkten. Ebenso wie reiche Haushalte, die trotz aufwändiger Lebensführung nur einen Teil ihres Einkommens für Konsumzwecke ausgeben, stecken sie ihr Geld in Finanzanlagen. Damit treiben sie die Börsenkurse in die Höhe und hoffen, dass ihre Wette auf die zukünftige Wertschöpfung irgendwann doch aufgeht.

Diese Entwicklung war schon vor den jüngsten EZB-Beschlüssen in vollem Gange und ist durch diese noch weiter befeuert worden. Wenige Tage nachdem die EZB ihre Negativzinsen verkündete, meldete die Frankfurter Börse einen neuen Rekord: Zum ersten Mal seit seinem Bestehen erreichte der DAX einen Wert von über 10000 Punkten.

Spekulationsblasen, deren Platzen konjunkturelle Krisen in die Nähe eines wirtschaftlichen Totalschadens führt? Davon ist schon längst keine Rede mehr. Spekulationsblasen sind die letzte Hoffnung einer kapitalistischen Ökonomie, die die Folgen der letzten Finanzkrise noch nicht überwunden hat.

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