Über die Unschuld des Narendra Modi
von Dominik Müller
Kaum war der Wahlsieg der BJP am 16.Mai verkündet, sprachen die Regierungen in Washington und Berlin dem künftigen Premierminister Narendra Modi freundliche Einladungen aus. Zwei Jahre zuvor wäre eine Einreise des Hindunationalisten Narendra Modi in die USA oder in die EU noch undenkbar gewesen. Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen und Berichterstatter der Vereinten Nationen werfen ihm seine Rolle bei den Massakern 2002 in Gujarat, einem indischen Bundesstaat, vor, den Modi als Chefminister regierte. Jetzt rollen westliche Regierungen dem umstrittenen Narendra Modi, der in wenigen Tagen vereidigt wird, den roten Teppich aus.
Seit Mitte Mai ist Narendra Modi einer der mächtigsten Politiker der Welt, er herrscht über 1,2 Milliarden Menschen. Die neue Gangart gegenüber Modi rechtfertigen diplomatische Kreise mit den Ergebnissen einer Sonderermittlungskommission, die vom höchsten Gericht eingesetzt wurde. Immerhin, so heißt es, sei Indien die größte Demokratie der Welt – da müsse man auch der Gerichtsbarkeit Respekt zollen.
Der im Mai 2012 veröffentlichte Abschlussbericht der Ermittlungskommission zu den Massakern 2002 diente Narendra Modi als Eintrittsticket in die nationale und internationale Politik. Im Bericht wird behauptet, es lägen keine Beweise dafür vor, dass der autoritäre Staatenlenker selbst die Feindseligkeit gegenüber der muslimischen Minderheit gefördert oder das Eingreifen der Sicherheitskräfte unterbunden habe. Vielmehr habe er immer wieder an die Bevölkerung appelliert, friedlich zu bleiben, und sich sogar um die Rehabilitierung und medizinische Versorgung der Opfer in den Flüchtlingslagern gekümmert.
Das klang wie Hohn in den Ohren der Opfer und ihrer Angehörigen, von denen bis heute viele in Ghettos leben müssen und im Bundesstaat Gujarat, den Narendra Modi seit 2001 ununterbrochen regiert, als Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Die Empörung der Opfer gründet aber nicht nur auf ihren Alltagserfahrungen, sondern auch auf dem offensichtlich fehlenden Interesse der ermittelnden Behörden, Modi zur Rechenschaft zu ziehen.
Viele Belastungszeugen wurden gar nicht erst angehört, andere eingeschüchtert, einer sogar von Unbekannten erschossen. Die Befragung von Narendra Modi durch die Ermittlungskommission war kein Verhör, sondern ein Gefälligkeitsinterview, bei dem wichtige Fragen ausgespart wurden, die zu seiner Belastung hätten führen können. Beweismaterial wurde ignoriert, darunter zahlreiche Text-, Ton- und Bilddokumente: Sie zeigen u.a. einen Narendra Modi, der auf seinen Kundgebungen die Pogrome im nachhinein rechtfertigte.
Ein Zugbrand in Godhra, bei dem 58 hinduistische Pilger ums Leben kamen und dessen Ursache bis heute ungeklärt ist, war Auslöser für die schlimmsten Pogrome seit der indischen Unabhängigkeit. Modi bezeichnete den Zugbrand sofort als eine geplante terroristische Attacke von Muslimen. Noch bevor der Tatort kriminalistisch untersucht werden konnte, wurden verkohlte Leichen aus dem Zug in die nahegelegene Millionenstadt Ahmedabad transportiert. Dort wurden sie von Anhängern des radikalen Weltrats der Hindus in einer öffentlichen Prozession durch die Stadt getragen, um den Zorn der hinduistischen Mehrheitsbevölkerung zu schüren.
Daraufhin kam es zu Plünderungen, Brandschatzungen, Vergewaltigungen und Morden. Unter den etwa 2000 Toten waren fast ausschließlich Muslime. Mehrere Tage dauerten die Pogrome gegen die Minderheit an. Obwohl die Täterschaft von hochrangigen Mitgliedern seiner Partei, der Polizei und zahlreicher hindunationalistischer Organisationen hinreichend belegt ist, leugnet Modi bis heute jede Verantwortung. Mittlerweile verurteilte Täter konnten unter seiner Regierung im Anschluss an die Pogrome sogar Karriere als Minister machen.
Aber wen interessiert das heute überhaupt noch? Modi steht für zweistelliges Wirtschaftswachstum und großzügige Investitionsbedingungen. Da können schon mal beide Augen zugedrückt werden.
Von Dominik Müller erschien gerade: Indien. Die größte Demokratie der Welt? Marktmacht, Hindunationalismus & Widerstand. Berlin: Assoziation A, 2014.
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