Rendite machen und Gutes tun? Mikrokredite und die Folgen neoliberaler Entwicklungspolitik. Hrsg. Gerhard Klas, Philip Mader. Frankfurt a.M.: Campus, 2014. 217 S., 19,90 Euro
von Paul B. Kleiser
Eines der Ideologeme des Neoliberalismus besteht in der Vorstellung, jeder sei seines Glückes Schmied. Demnach brauchen arme Menschen vor allem im globalen Süden kein gutes Ausbildungs- und Gesundheitssystem, sondern «Mikrokredite» zur Herstellung von einfachen Produkten, die sie dann auf dem Markt mit Gewinn verkaufen und damit die Kredite zurückzahlen. Längerfristig würde dadurch in den Entwicklungsländern die Armut abgebaut, so die offizielle Propaganda.Mit solchen Krediten leisten wir langfristige «Hilfe zur Selbsthilfe», meinte der frühere Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann; natürlich hat auch sein Institut inzwischen dieses lukrative Geschäftsfeld entdeckt. Hier soll die im brutalen Überlebenskampf entstandene «Kreativität der Armen», ihr «unternehmerischer Geist» und ihre Anpassungsfähigkeit genützt werden. So würden aus Bittstellern «Architekten des eigenen Glücks», die auch noch eigenverantwortliche Entscheidungen treffen könnten. Diese Strategie befördere zudem «die Emanzipation der Frauen», die die große Mehrheit der Kredite zwischen 50 und 250 Dollar erhalten. Die Feministin Nancy Fraser spricht davon, durch die Mikrokredite werde «der Traum der Frauenbefreiung an den Motor der kapitalistischen Akkumulation gefesselt».
Der aus Bangladesh stammende Banker Muhammad Yunus, der 2006 sogar mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, hat mit seiner Grameen Bank die Mikrokredite zu seinem Geschäftsmodell gemacht und sich als «Banker der Armen» feiern lassen. In dem Land sollen über 38 Millionen Menschen, zu 90% Frauen, Mikrokredite aufgenommen haben. Neben Grameen gibt es dort drei weitere Banken, die sich den Markt im wesentlichen aufteilen; interessanterweise sind sie alle aus NGOs entstanden. Die Kehrseite der Entwicklung war der immer ausgeprägtere Rückzug des Staates aus seinen sozialen und Aufsichtspflichten, wie zahlreiche schreckliche Unfälle in den Schwitzbuden der Textilbranche beweisen.
Das Buch Rendite machen und Gutes tun? wurde von Gerhard Klas, der durch sein Standardwerk Die Mikrofinanzindustrie bekannt geworden ist, und dem Ökonomen Philip Mader herausgegeben. Sie versammeln ein gutes Dutzend Autorinnen und Autoren, die eine kritische Analyse der zahlreichen Aspekte der Mikrofinanz und ihrer Auswirkungen in verschiedenen Ländern vorlegen, wobei der Schwerpunkt auf Südasien liegt. Die Struktur der Mikrofinanz besteht aus drei Ebenen: den sog. «Investoren», zu denen auch solche wie Oikocredit gehören, die (vor christlichem Hintergrund) sozial engagiert ist, was aber nicht bedeutet, dass die Schuldner nicht letztlich doch hohe Zinsen (oder «Bearbeitungsgebühren») zu zahlen hätten. Dann kommen die Mikrofinanzinstitute (MFI), die die eigentliche Abwicklung der Kredite übernehmen, und die (wie im Fall Indiens Share Microfin und Asmitha) oft durch rüde Methoden des Geldeintreibens bekannt geworden sind. Auf der untersten Ebene findet man dann die inzwischen mehr als 200 Millionen Schuldner weltweit, die – wenn Krankheiten, Unfälle oder aber der Markt ihnen eine pünktliche (in der Regel wöchentliche) Rückzahlung der Schulden nicht erlauben – sich immer höher verschulden und irgendwann in den Ruin oder gar Selbstmord getrieben werden. Diese Kredite können also auch ein Werkzeug zur immer stärkeren Konzentration des Reichtums in den Händen von Wenigen sein.
Die meisten Autoren zeigen auf, dass die Mikrokredite keinen Bruch mit und kein Gegenmodell zur gescheiterten Entwicklungspolitik der «Strukturanpassungen» darstellen, sondern letztlich «integraler Bestandteil» davon sind. Die Banken sollen die «Kaufkraft der Armen» in ihrem eigenen Interesse nutzen: Laut der Weltbank-Tochter International Financial Cooperation gehe es um über 5 Billionen Dollar, die der «Privatwirtschaft zugänglich» gemacht werden sollen. Wer sich einen Überblick über die Erfahrungen und die Debatte zu den Mikrokrediten verschaffen möchte, ist mit dem vorliegenden Buch bestens bedient!
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