von Uwe Bitzel
Knapp 4000 Dortmunder haben bei der Kommunalwahl ihre Stimmen einer rechtsextremen Partei gegeben. In vier Bezirksvertretungen sitzen jetzt Vertreter von NPD oder der Rechten. Das Ergebnis feierte die Schlägertruppe der «Rechten» mit einem Sturm aufs Rathaus.Der Schlag kommt frontal ins Gesicht und geradezu bilderbuchmäßig fällt die grüne Landtagsabgeordnete und Dortmunder OB-Kandidatin, Daniela Schneckenburger, nach hinten. Christian Gebel, Spitzenkandidat der Piraten, trifft eine Flasche an der Schläfe; er wird später im Krankenhaus behandelt. Es sind zwei von einem knappen Dutzend Menschen, die verletzt wurden, als die Neonazis der Partei «Die Rechte» am Abend der Kommunalwahlen die Wahlparty im Dortmunder Rathaus stürmen wollten.
Dortmunds sozialdemokratischer Oberbürgermeister Ullrich Sierau kommentierte den Vorfall als «Angriff eines Überfallkommandos. Das hat eine neue, nicht akzeptable Qualität.» Ulla Richter vom «Bündnis gegen Rechts» fühlte sich an den Naziüberfall auf die 1.Mai-Demonstration des Dortmunder DGB im Jahre 2009 erinnert.
Zuvor hatten die Neonazis wochenlang kräftig im Wahlkampf mitgemischt. Weit über Dorstfeld und Huckarde hinaus – Stadtteile, die sie ihre Hochburgen nennen – waren sie mit Infoständen und deutlich sichtbar mit Plakaten präsent. Der Rechtsextremismusforscher Dierk Borstel von der Fachhochschule Dortmund sprach von einem «engagierten Wahlkampf». Gemessen daran war ihr Ergebnis bescheiden. Im Vergleich zu den letzten Kommunalwahlen haben die Neonazis sogar 900 Stimmen verloren. Allerdings punktete die Partei Die Rechte, faktisch eine Nachfolgeorganisation des verbotenen «Nationalen Widerstands Dortmund», zulasten der NPD. Das ist eine Stimmenwanderung innerhalb des rechtsextremen Lagers hin zu einer besonders radikalisierten Gruppe.
Ziel der «Rechten» war es, im Rat vertreten zu sein. Und das ist ihr, wenn auch knapp, gelungen. Zusätzlich zieht die Partei mit jeweils einem Vertreter in vier Bezirksvertretungen ein.
Zusammen mit ihrem Frontmann und künftigen Ratsvertreter, dem mehrfach vorbestraften Siegfried Borchardt («SS-Siggi»), zogen 27 Neonazis am Wahlabend um 22 Uhr Richtung Rathaus. Die (konservativen) Ruhrnachrichten schrieben am folgenden Tag: «Seine Unterstützer hatten sich gelbe Shirts angezogen und traten extrem aggressiv auf.» Mit dabei soll nach einigen Berichten der ebenfalls mehrfach verurteilte Sven Kahlin gewesen sein, der vor neun Jahren den Punk Thomas Schulz ermordet hat. Minuten zuvor hatten zwei aus der Truppe die Lage ausgespäht und waren dabei von Mitgliedern des antifaschistischen «BlockaDO»-Bündnisses beobachtet worden. So vorgewarnt, stellten sich rund 100 Besucher der Wahlparty den Nazis entgegen.
Die Antifa war damit deutlich besser auf Zack als die Dortmunder Polizei. Kurz zuvor hatten sich nämlich Beamte des Staatsschutzes nach Hause verabschiedet, weil «die Situation ruhig ist und keine weiteren Aktionen zu erwarten» seien. Das war eine gründliche Fehleinschätzung. So klagte der evangelische Pfarrer Friedrich Stiller vom Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus, man habe die Verantwortlichen schon zehn Tage vorher über die Möglichkeit eines Naziüberfalls informiert. Nach einem eilig abgesetzten Notruf war Minuten später dann lediglich die Besatzung eines einzigen Funkstreifenwagens vor Ort. Eine ganze Stunde dauerte es, bis rund hundert Polizisten aus insgesamt elf Ruhrgebietsstädten im Einsatz waren. Selbst auf dem polizeiinternen Blog Copzone wurde kommentiert: «Wundert mich bei so einer großen Stadt. Solche Veranstaltungen gehören besser geschützt. Wenn vorher kaum Erkenntnisse vorliegen, reicht es dennoch nicht, im Ernstfall nur FuStrW (Funkstreifenwagen, der Autor) vor Ort zu haben.» Der Dortmunder Polizeipräsident Gregor Lange räumte in einer Pressemitteilung selbstkritisch ein: «Hinsichtlich der Einsatz- und Kommunikationsstruktur aus diesem Anlass habe ich deutlichen Aufklärungsbedarf. Ich habe deshalb eine Überprüfung unter Beteiligung aller Fachdienststellen und externem Sachverstand veranlasst.»
Und jetzt? Jetzt dominiert in Dortmund eine Mischung aus Entsetzen, Vorwürfen gegen die Polizei und Ratlosigkeit. «Tief erschüttert» sind die Dortmunder Jusos. Der (bürgerliche) Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus beklagt «die Bedrohung der öffentlichen Ordnung», die Grünen verlangen «Aufklärung», das linke Bündnis gegen Rechts bezeichnet die Nazis als «kriminelle Gewalttäter» und der SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow ist «schockiert» und fordert juristische und politische Konsequenzen.
Nur welche? Schnell können sich alle auf die zwar richtige, dennoch hilflose Forderung nach dem Verbot der Partei Die Rechte einigen. Doch allen ist – mit Blick auf künftige Sitzungen des Stadtrats und der Bezirksvertretungen – auch klar, was die Dortmunder Rechtsdezernentin Diane Jägers formulierte: «Wir haben keine Möglichkeiten, einem gewählten Mandatsträger den Zugang zu verwehren.» Der bereits zitierte Rechtsextremismus-Forscher Borstel erwartet im Rat und in den Bezirksvertretungen sowohl Provokationen der Neonazis als auch deren «konsequente Oppositionsarbeit». Borstel weiter: «Das wird nicht SS-Siggi sein, sondern ein paar führende Köpfe, die Spaß daran haben, die Demokratie vorzuführen.» Die Antifa hat auf jeden Fall bereits angekündigt, Auftritte der Nazis zu stören. Und die Partei Die LINKE hat CDU und SPD schriftlich zu einem gemeinsamen «Minimalkonsens» aufgefordert, «der in der Praxis so aussehen könnte, dass (wir) die Sitzungssäle verlassen, wenn ein Nazi das Wort erhebt». Eine Antwort darauf gibt es bisher nicht.
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