Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2014

Die AfD ist mehr als eine Partei gegen den Euro

von Manuel Kellner

Schon kurz nach ihrer Parteigründung im April 2013 zog die Alternative für Deutschland (AfD) mit den Piraten gleich und erzielte bei Wahlumfragen 3%. Bei den jetzigen Europawahlen erzielte sie 7%. Darüber hinaus scheint klar zu sein, dass sie bei Landtagswahlen oder bei der nächsten Bundestagswahl die 5-Prozent-Hürde nehmen kann – ihre Umfrageergebnisse haben sich über 5% stabilisiert. Damit wird das politische Spektrum in Deutschland deutlich nach rechts gedrückt – mit unabsehbaren Folgen.In der öffentlichen Wahrnehmung steht die AfD hauptsächlich für eine Ablehnung der Rettungsschirme der Europäischen Union (EU) zur Aufrechterhaltung des Euro. Das war von Anfang an ihr Profil. Ihr Sprecher Bernd Lucke, ein marktradikaler neoliberaler Professor der Volkswirtschaftslehre, stand auch schon an der Spitze der Vorläuferorganisation der AfD, der Wahlalternative 2013. Am 28. Februar 2013 kündigte er die Gründung der neuen Partei an und fasste ihre Ziele folgendermaßen zusammen: «Die Alternative für Deutschland wird die Auflösung des Euros zugunsten nationaler Währungen oder kleinerer Währungsverbünde fordern. Sie wird sich für ein Ende der milliardenschweren Rettungsschirme und gegen eine europäische Transferunion aussprechen. Sie wird sich auch für eine Verschlankung und Entbürokratisierung der Europäischen Union durch Rückverlagerung von Kompetenzen auf die nationale Ebene einsetzen.»

Da diese Aussage gegen den großen Konsenses steht, der von den Unionsparteien und der FDP über die SPD bis hin zu den Grünen reicht, erscheint sie als aufmüpfig. Die Positionierung der gegen den Euro und ihre Forderung, die EU zurückzubauen, entspringt einer wohlstandschauvinistischen Haltung und will die Interessen Deutschlands gegen die Bevölkerung der wirtschaftlich schwächeren Länder der EU durchsetzen. Doch erst seit dem Frühjahr 2010 konnte sie das Thema aufgreifen, als die Zivile Koalition e.V., eine der Brutstätten der heutigen AfD, die Parole ausgab: «Kein Steuergeld für Griechenlands Schulden.»

Wohlstandschauvinismus

Arbeiterinnen, Arbeiter, kleine Angestellte, Erwerbslose und Benachteiligte in Deutschland sollten lieber nicht glauben, dass die AfD zu ihren Gunsten und zulasten ihrer griechischen, spanischen, portugiesischen, rumänischen, bulgarischen Kolleginnen und Kollegen Geld retten will. Schon im Jahr 2005, als die EU-Rettungsschirme noch nicht Thema waren, unterzeichnete der spätere AfD-Sprecher Bernd Lucke den Hamburger Appell, der sich für weitere Einschnitte ins soziale Netz und gegen übermäßige Lohnerhöhungen aussprach. Hans-Olaf Henkel, die weitere prominente Führungskraft der AfD, früher Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie, vertritt nach wie vor Unternehmerinteressen gegen Beschäftigte und Erwerbslose – aus reinem Klassenbewusstsein, dafür braucht man ihn nicht zu bezahlen.

Sieht man sich die Listen von Unterzeichnern der AfD-Gründungsaufrufe oder von Kandidaten auf ihren Listen an, dann erscheint etwa ein freiberuflicher Rechtsanwalt als kleiner Mann in einer Gesellschaft von Unternehmern, Wirtschaftsprofessoren und höheren Angestellten. Das Großkapital und die großen Unternehmerverbände hat die AfD nicht hinter sich, denn die unterstützen in Sachen EU-Politik Angela Merkel und ihre große Koalition, wohl aber Familienunternehmer-Verbände, die Stiftung Familienunternehmen und den Bund der Steuerzahler. Die AfD vertritt also nicht nur höhere Mittelschichten, sondern durchaus auch eine bestimmte Kapitalfraktion, einen Teil der Unternehmerschaft. Die Bild-Zeitung wirbt bislang übrigens nicht für die AfD, wohl aber die andere überregionale Springer-Tageszeitung, die Welt. In der extrem rechten Jungen Freiheit lassen sich AfD-Leute gern interviewen, auf der AfD-Website ist dieses Blatt auch prominent verlinkt.

 

Plebiszite statt Demokratie

Bei den Vorläufern, Gründern und Förderern der heutigen AfD stößt man auf extrem elitäre und reaktionäre Leute. Eine gewisse Beatrix Herzogin von Oldenburg, inzwischen Beatrix von Storch, Ehefrau des Sven von Storch, gründete 1996 einen Göttinger Kreis – Studenten für den Rechtsstaat e.V., dessen Sprecherin sie wurde. Dieser Kreis setzt sich für die Rehabilitierung der ostelbischen Junker ein und dafür, dass die Nachkommen der von 1945 bis 1949 in Ostdeutschland enteigneten Großgrundbesitzer ihr Erbe übereignet bekommen. Sie führt zusammen mit ihrem Mann die «Zivile Koalition» an, ein vielgestaltiges Kampagnennetzwerk, mit dem seit 2006 gegen «galoppierende Staatsverschuldung» und «Bürokratie», für «Direktwahl der Abgeordneten», «Förderung der Familie» und «mehr Freiheit» agitiert wird. Feindbild sind zum Beispiel «Atomkraftgegner» und «Gewerkschaften», die «jeden Gedanken an etwas mehr Freiheit und Eigenverantwortung mit der sozialen Gerechtigkeitskeule niederbrüllen».

Im Europawahlkampf ist die AfD u.a. durch die Forderung nach mehr Demokratie durch Volksentscheide aufgefallen – auf dem entsprechenden AfD-Wahlplakat mit der feinsinnigen Anspielung auf die Volksabstimmung in der Schweiz, die sich gegen vermehrte Zuwanderung ausgesprochen hatte («Die Schweiz ist für Volksentscheide. Wir auch»). Ihre Forderungen klingen sehr radikaldemokratisch – neben Volksabstimmungen fordert sie auch die Direktwahl des Bundespräsidenten, des Bundeskanzlers, der Abgeordneten (oder wenigstens des Großteils der Abgeordneten) des Bundestags – doch geht es ihr dabei vor allem um die der Anprangerung des «Parteienstaats» und ein größeres politisches Gewicht für die «Elite», nicht um mehr Demokratie.

Elitenherrschaft

Ein Mitbegründer der AfD wie Alexander Gauland bezieht sich dabei positiv auf Bismarcks berühmte Rede, in der dieser «Blut und Eisen» als Alternative gegen «Majoritätsentscheidungen» beschwor. Das alles passt nur zu gut zusammen. Hermann Behrend, der neue AfD-Sprecher in NRW, verlangt in seiner Schrift über die «Mandative Demokratie» vom Dezember 2011 direkt gewählte Regierungen, damit Streikrecht und Kündigungsschutz abgeschafft, die Mitbestimmung eingeschränkt und Arbeitszwang für Erwerbslose durchgesetzt werden können. Damit will er gegen «Arbeitsscheue» und die «Migration der Falschen» angehen. Weiter träumt er von einer Dienstverpflichtung für 18jährige, die als «Ordnungsdienst» gegen Demonstranten eingesetzt werden können. Andere aus AfD-Kreisen verlangen die Abschaffung des passiven Wahlrechts für Erwerbslose, sprechen von einem Aufstand der «Geber» (der gut Betuchten) gegen die «Nehmer» (die auf Sozialleistungen angewiesen sind).

Die demokratisch klingenden Forderungen bemänteln eine demokratiefeindliche Gesinnung. Sachwidrig behaupten die AfD-Ideologen, Unternehmer und andere Männer der Praxis wären heutzutage unterrepräsentiert wären und hätten zuwenig zu sagen. Sie wollen ein autoritäres politisches System, eine vorgebliche Meritokratie, eine Elitenherrschaft mit plebiszitären Ergänzungen, wo die Massen, denen keinerlei Mitsprache und Einmischung in die eigenen Angelegenheiten zugestanden werden soll, gelegentlich zu Fragen «Ja» oder «Nein» sagen können, die eine Elite für sie vorformuliert und deren Entscheidung sie nach eigenem Geschmack durch die in den Medien veröffentlichte Meinung vorbereitet hat.

Sozialdarwinismus

Mit ihrer Kampagne gegen die «Einwanderung in die Sozialsysteme» hat die AfD keine andere Wahlkampfaussage gemacht als etwa auch die CSU – und heute bereitet die Regierung der großen Koalition ein Gesetz zur Einschränkung der Einwanderung aus EU-Länder gegen Menschen vor, die die Freizügigkeit angeblich «missbrauchen». Rassismus und Sozialdarwinismus gehen bei vielen AfD-Mitgliedern jedoch viel weiter. Die AfD ist geradezu die «Sarrazin»-Partei, wenn auch Thilo Sarrazin, für den die Intelligenz von den Genen abhängt, bislang nicht mitmacht und sagt, in der Partei müsse erstmal aufgeräumt werden – gerade erst wurden führende AfD-Funktionäre in Sachsen-Anhalt wegen diverser Gewalt- und Drogendelikte angeklagt und sind zurückgetreten (die AfD fordert ja auch schärferes Vorgehen gegen Kriminelle).

Natürlich gibt es ausgesprochene «Rechtspopulisten» auf den Listen der AfD, und natürlich können sich Rechtsextremisten und Neonazis aller Art in ihrem Windschatten freier und stärker fühlen. Die Idole der AfD sind neoliberale Ikonen wie August von Hayek, auf den sich Margret Thatcher, Ronald Reagan und Augusto Pinochet beriefen. Das Spezifische aber, das der wahlpolitische Aufschwung dieser politischen Formation zum Ausdruck bringt, ist die Verrohung eines Teils des Bürgertums seit der Krise von 2008 und die von ihr beflügelten Urängste in den Mittelschichten – die verstärkte Bereitschaft, gegen die da unten vorzugehen, sie zu entrechten und zu unterdrücken und die eigenen Privilegien mit allen Mitteln zu verteidigen.

Quelle: Andreas Kemper: Rechte Euro-Rebellion. Alternative für Deutschland und Zivile Koalition e.V. Münster: edition assemblage, 2013. 122 S., 12,80 Euro.

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