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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2014
... und Verschiebungen im linksliberalen Lager

von Matyas Benyik

Die regierende rechte FIDESZ-Partei errang bei den Europawahlen einen überragenden Sieg: 51,5% der Stimmen (12 Sitze von 21) bei einer Wahlbeteiligung von lediglich 28,9%. Das ist eine Stimmenzuwachs von rund 8 Prozentpunkten im Vergleich zu den Parlamentswahlen im vergangenen April. Die rechtsextreme Partei Jobbik kam mit 14,7% auf Platz 2 (3 Sitze).
Die Wahlbeteiligung war die bislang niedrigste, obwohl Premierminister Viktor Orban darauf verwies, sie sei unter den sechs mitteleuropäischen Ländern die höchste. Unter den Mitgliedsparteien der Europäische Volkspartei (EVP) erzielte FIDESZ das beste Wahlergebnis. Laut Orban müssen die Euro-Parlamentarier die Interessen der Ungarn vertreten. «Jeder soll kämpfen, ich erwarte (Freiheits-)Kämpfer.» Er rief alle Abgeordneten dazu auf, Ungarn ehrenvoll zu dienen.

Eine richtige Überraschung bereiteten jedoch die linksliberalen Kräfte: Die sozialdemokratische MSZP (Ungarische Sozialistische Partei) erreichte gerade einmal 10,9% der Stimmen und rutschte damit auf Rang drei (2 Sitze), während die «Demokratische Koalition», eine Abspaltung von der MSZP unter der Führung des früheren Premierminister Ferenc Gyurcsány, 9,8% erreichte, was große Überraschung auslöste. Die Demokratische Koalition wurde in Budapest und an zahlreichen anderen Orten stärkste Partei und errang zwei Sitze im EP. Der ehemalige Premierminister Gordon Bajnai, Vorsitzender der linksliberalen Allianz «Together 2014-PM», kam mit 7,2% auf einen Sitz.

Der Parteichef der MSZP, Attila Mesterházy bot seinen Rücktritt an: «Traurig haben wir die Wahlresultate zur Kenntnis genommen, wir sind enttäuscht und haben uns bessere Ergebnisse erhofft.» Eine Sache ist sicher: Das Ergebnis wird auch die Kommunalwahlen im September beeinflussen. Die Ergebnisse von Budapest zeigen, dass die MSZP ihre Position als führende Oppositionskraft in der Hauptstadt verloren hat. Innerhalb des linksliberalen Spektrums haben sich die Machtverhältnisse somit deutlich verschoben.

Am Abend der EU-Wahl meinte Ferenc Gyurcsány mit Blick auf die Kommunalwahlen: «Wenn wir den Bürgermeister Budapests oder einer anderen wichtigen Stadt stellen wollen, müssen wir uns zusammentun.»

Es sei nicht leicht gewesen, die MSZP zu schlagen, meinte Gábor Vona, der Vorsitzende von Jobbik, seine Partei sei im Wahlkampf stark angegriffen worden. «Wir wurden heute nicht zerschlagen, die MSZP jedoch schon.» Jobbik habe FIDESZ herausgefordert: «Wir sind die letzte Zuflucht geblieben.» Während FIDESZ den Reichen helfe, stehe Jobbik auf der Seite der Gescheiterten.

Viele Bürger glauben, dass sie ihre Pflicht mit den Parlamentswahlen am 6.April erfüllt haben und haben sich gefragt, warum die EU-Wahlen und die nationalen Wahlen nicht an einem Sonntag stattgefunden haben. Einen zweiten Ruhetag wollten sie nicht opfern.

In den Augen der breiten Mehrheit der 8 Millionen Wahlberechtigten ist die EU weit weg. Nach weitverbreiteter Ansicht profitiert vor allem die Elite von den Geldern aus EU-Fonds, die für neue Stadtzentren, Brunnen und dekorative Dinge ausgegeben werden.

Die EU-Gelder haben keine neuen Jobs geschaffen und die EU war nicht wirklich effizient im Krisenmanagement. Die EU verfolgt eine deutlich restriktive Politik und konnte keine große Sympathie bei den Ungarn erwerben. Bei der EU-Wahl ging es in keiner Weise um die Zukunft der EU, und die 21 ungarischen Abgeordneten haben keinen nennenswerten Einfluss auf das EU-Parlament. Es gab auch keine Informationen darüber, was die Parteien erreichen wollen, wenn sie ein Mandat erringen. Deshalb tendieren viele Bürger zur Ansicht, die nationalen Wahlen seien wichtiger. Hinter der niedrigen Wahlbeteiligung kann man auch eine Rebellion gegen die existierende Ordnung in Ungarn vermuten.

Die Anti-EU-Rhethorik der FIDESZ-Führung, die ständig vom Freiheitskampf gegen die EU spricht, weil «Brüssel die nationale Souveränität Ungarns begrenzt und sich in unsere internen Angelegenheiten mischt», hat ihr Übriges getan. Es wäre ein Wunder gewesen, wenn die Leute bei einer solchen Rhetorik wählen gegangen wären.

Der Autor ist Mitglied von Attac.

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