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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2014

Die Stadt Seattle im US-Bundesstaat Washington hat den Mindestlohn auf 15 Dollar (etwa 11 Euro) erhöht: ein Meilenstein, der hart umkämpft bleibt.

Vor einigen Jahren schien der Ruf nach einem Mindestlohn von 15 Dollar pro Stunde aus den Reihen der Niedriglöhner bei Walmart und der Fast-Food-Sparte kühn und inspirierend, keiner dachte, dass man ihn in absehbarer Zeit durchsetzen könnte.Anfang Mai jedoch hat der Kampf eine wichtige Hürde genommen: Der Stadtrat von Seattle sprach sich einstimmig für ein Gesetz aus, das Niedriglöhnern 15 Dollar pro Stunde in Aussicht stellt. Doch es gibt noch vielfältige Hürden: Die Anhebung erfolgt schrittweise und manche Arbeiter müssen bis zu sieben Jahre warten, bis sie die 15-Dollar-Marke erreichen; die Unternehmen haben einige Ausnahmen erreicht, die von den Gewerkschaften bekämpft werden.

Die Übergangsphase betrifft vier verschiedene Arten von Beschäftigten: je nachdem ob sie für einen «großen» Unternehmer arbeiten (500 Beschäftigte und mehr) oder einen «kleinen» Unternehmer (weniger als 500 Beschäftigte), ob der Arbeitnehmer Gesundheitsvorsorge leistet oder ob es Trinkgelder gibt. Dennoch werden jetzt einige der am niedrigsten bezahlten Arbeiter mit der Zeit nennenswerte Gehaltserhöhungen erreichen können.

Das Gesetz der Stadt Seattle ist hoffentlich Vorbote für weitere Fortschritte. In San Francisco verkündeten Beschäftigtenvertreter Mitte Juni, Bürgermeister Ed Lee, die Stadtoberen und Geschäftsleute hätten grünes Licht für eine Abstimmung im November gegeben, die den Mindestlohn auf 15 Dollar pro Stunde, gestreckt über vier Jahre, anheben wird – ohne die oben erwähnten Ausnahmen. In der kalifornischen Stadt Oakland betreiben Aktivisten ein Referendum für die Erhöhung des Mindestlohns auf 12,25 Dollar in einem ersten Schritt, mit der Option auf weitere spätere Anhebungen.

Kshama Sawant, die für Socialist Alternative im Stadtrat von Seattle sitzt, zollte nach der Abstimmung der Basisbewegung für ein «living-wage» (Gehalt, von dem man leben kann) Anerkennung: «Wir haben das geschafft», sagte sie, «die Arbeiter haben das geschafft. Der heutige Sieg für 15 Dollar wird Menschen im ganzen Land inspirieren.»

Doch in Seattle muss das Gesetz nun verteidigt werden: Es wird gerichtlich bekämpft und die Unternehmer werden die Schwierigkeiten der Übergangsphase dazu nutzen, die Regeln zu umgehen oder Lohndiebstahl zu begehen. Die besten Durchsetzer des Mindestlohns werden die organisierten Arbeiter sein.

1968 war der Mindestlohn um die Hälfte mehr wert als heute. Doch selbst als die Kaufkraft ihren Höhepunkt erreichte, reichte er nicht aus, um eine vierköpfige Familie über die Armutsgrenze zu bringen. Heutzutage liegen Niedriglöhner jedoch mit dem derzeitigen Mindestlohn von US-weit 7,25 Dollar bis zu 40% unter der Armutsgrenze.

Das Gesicht des Niedriglohns: Fastfood-Arbeiter

Der amerikanische Mindestlohn war nie ein «living-wage», ein Lohn, der zum Leben reicht. Die Occupy-Wall-Street-Bewegung machte 2011 auf die skandalöse Lebensrealität der «working poor» aufmerksam und kontrastierte sie mit dem obszönen Reichtum der Superreichen. Nach der Occupy-Bewegung und dem wachsenden öffentlichen Bewusstsein über die eklatanten Klassenunterschiede bekamen die Regierungsstatistiken über die «working poor» durch die Kämpfe der Niedriglöhner auf einmal ein Gesicht.

Beim Kaufhausgiganten Walmart streikten im September 2012 die Lagerarbeiter in Südkalifornien und in den Vororten von Chicago, im Monat drauf gab es die ersten koordinierten Streiks von Beschäftigten in den Walmart-Betrieben. Eine anhaltende Protestkampagne und Aktionen der Beschäftigten in den Kaufhäusern – bei Walmart gibt es keine Gewerkschaft, die Belegschaften können sich nur auf ihre Solidarität und ihre Entschlossenheit stützen – führten zu einem Aktionstag «Schwarzer Freitag» nach Thankgsgiving (jeweils der letzte Freitag im November und traditionell der Startschuss für die Weihnachtseinkäufe). In mehr als 1000 Kaufhäusern in 46 US-Bundesstaaten fanden Demonstrationen und Streiks statt.

Im selben Herbst streikten nach dem Modell der Walmart-Beschäftigten Arbeiter bei McDonald’s, Wendy’s und anderen Fastfood-Giganten in New York, die allesamt nicht gewerkschaftlich organisiert sind. Schon bald folgten Fastfood-Beschäftigte in Chicago, Milwaukee, St.Louis, Detroit usw. ihrem Beispiel. Am 15.Mai gab es Aktionen in 150 Städten der USA und 30 Bundesstaaten.

Anfang dieses Jahres schlugen Demokraten im Kongress vor, den Mindestlohn auf mindestens 10,10 Dollar ab dem Jahr 2016 anzuheben. Dies wäre schon substanziell, würde den Mindestlohn aber nicht einmal auf das Reallohnniveau von 1968 heben.

Der Einfluss der Politik

In Seattle gab es eine weitere wichtige Zutat zum Erfolg: die Kampagne der sozialistischen Stadträtin Kshama Sawant. Aufgrund der Besonderheiten bei den Lokalwahlen in Seattle gelang der engagierten Collegeprofessorin eine stadtweite Kampagne, die einen Kern von enthusiastischen Aktivisten zum Mitmachen anregte und solche Wähler ansprach, die genug hatten von Demokraten, die sich bei der Bewerbung für ein Wahlamt fortschrittlich geben und es danach machen wie alle anderen. Sawant gewann die Wahl – ein wichtiger Durchbruch für eine offen sozialistische Kandidatur.

Ihre Kampagne zeigte Wirkung: Beide Bürgermeisterkandidaten der Demokratischen Partei outeten sich als Unterstützer für einen Mindestlohn von 15 Dollar. Ed Murray gewann die Bürgermeisterwahl, und da laut einer Umfrage zwei Drittel der Bevölkerung für die sofortige Anhebung auf 15 Dollar waren, sicherte er zu, sein Versprechen zu halten.

15 Dollar sind eine kräftige Anhebung, doch es ist immer noch kein Gehalt, von dem man leben kann, vor allem in Städten wie Seattle und San Francisco, wo die Lebenshaltungskosten unaufhörlich steigen.

Quelle: http://socialistworker.org/2014/06/13/counting-toward-15.

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