von Renaud Vivien*
Der Oberste Gerichtshof der USA hat am 16.Juni im Anleihenstreit mit Argentinien eine Beschwerde des Landes abgelehnt: Zwölf Jahre nach der Staatspleite muss Buenos Aires damit weitere 1,3 Milliarden Dollar an Schulden zurückzahlen – an zwei US-amerikanische Hedgefonds.Hedgefonds sind hochspekulative Investmentfonds, die aus Staatskrisen Profit ziehen, um zu sehr niedrigen Preisen deren Anleihen aufzukaufen; in der Regel haben sie ihren Sitz in Steuerparadiesen. Die betroffenen Staaten sollen gleichwohl diese Anleihen zu den ursprünglichen Emissionsbedingungen bedienen, einschließlich aller Zinsen, Strafgebühren und evtl. Gerichtskosten, sofern sie gerichtlich eingetrieben werden. Die Fonds machen damit phänomenale Profite.
Die beiden Investmentgesellschaften NML Capital und Aurelius mit Sitz auf den Cayman-Inseln, hinter denen der Fonds Elliott Management steht, hatten in den Jahren 2002–2008 argentinische Staatsanleihen aufgekauft. Allein im Jahr 2008 erwarb NML solche Anleihen im Nennwert von 222 Mio. Dollar zum Preis von nur 48 Mio. Dollar von anderen Gläubigern. Vom argentinischen Staat verlangte der Fonds jedoch die Rückzahlung der vollen 222 Mio. Dollar zuzüglich Verzugszinsen. Argentinien sollte auf diese Weise insgesamt 1,33 Mrd. Dollar an NML und Aurelius zahlen, wogegen die Regierung Klage vor einem New Yorker Gericht erhob. Dieses verdonnerte Argentinien zur Zahlung; das Oberste Gericht hat das Urteil Mitte Juni bestätigt.
Als die argentinische Regierung Ende 2001 die Bedienung der Anleihen einseitig aufkündigte, konnte sie das Kräfteverhältnis zeitweise zu ihren Gunsten wenden und in Verhandlungen mit den privaten Gläubigern von der überwältigenden Mehrheit unter ihnen (93%) einen Schuldennachlass von 70% erreichen. Im Gegenzug verzichtete sie teilweise auf ihre Souveränität, indem sie die Zuständigkeit für die Beilegung von Konflikten mit den Gläubigern an New Yorker Gerichte abtrat, statt sie vor argentinischen Gerichten zu verhandeln. Die Hedgefonds hatten sich geweigert, an den Verhandlungen mit den privaten Gläubigern um einen Schuldennachlass teilzunehmen. NML und Aurelius haben das Zugeständnis der argentinischen Regierung dazu genutzt, den argentinischen Staat auf US-amerikanischem Boden zu verklagen.
Das Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA wird weitere Verurteilungen und Zahlungsbefehle nach sich ziehen, weil die anderen Hedgefonds dem Beispiel von Elliott Management sicher folgen werden. Argentinien könnte mit Forderungen von rund 15 Mrd. Dollar konfrontiert werden! Für die Wirtschaft des Landes und für die Bevölkerung ist diese Schuldenlast nicht tragbar. Der Regierung bleibt also eigentlich nichts anderes übrig als die Zahlung zu verweigern und sich damit vom Standpunkt des US-amerikanischen Rechts strafbar zu machen. Argentinien kann aber geltend machen, dass es, wie jeder Staat, nach internationalem Recht Verpflichtungen gegenüber der eigenen Bevölkerung hat, die schwerer wiegen als jede andere Verpflichtung, einschließlich der Bedienung der Gläubiger.
Die «traditionellen» Gläubiger
Formal haben Argentiniens traditionelle Gläubiger – IWF und Weltbank, aber auch Staaten des Pariser Clubs (das ist die informelle Versammlung der 19 reichsten Staaten der Welt) – dem Land ihre Unterstützung zugesichert. Sie alle verurteilen das Vorgehen der Hedgefonds, tragen aber dennoch eine hohe Verantwortung für die entstandene Situation.
Erstens konnten die Fonds vor Gericht gewinnen, weil ihr Vorgehen weiterhin als legal gilt! Dabei ist es nicht neu. NML hat bereits 1999 von Peru 58 Mio. Dollar eingetrieben für Anleihen, die es für nur 11 Mio. Dollar erworben hatte. Es obliegt den Staaten, die Gesetze zu beschließen, die geeignet sind, diese Praxis der Hedgefonds zu unterbinden. Das ist auch für EU-Länder von Bedeutung, wo Griechenland und Zypern vor ähnlichen Problemen stehen.
Zweitens haben die «traditionellen» Gläubiger einen hohen Anteil daran, dass die Länder des Südens sich, unter Beteiligung von deren Regierungen, so hoch verschulden konnten. Die Schuldtitel, die die Hedgefonds erworben haben, sind vielfach auf sittenwidrige, illegale oder illegitime Weise zustande gekommen. So hat das Oberste Gericht Argentiniens im Jahr 2000 die argentinischen Außenschulden für null und nichtigt erklärt. Die Richter haben damals 477 Straftaten im Zusammenhang mit dem Zustandekommen dieser Schuldtitel ausgemacht – das war bevor Hedgefonds sie aufkauften.
Die «tradtionellen» Gläubiger, die sich den Anschein geben, sie unterstützten Argentinien gegen die Geierfonds, beharren gleichzeitig darauf, dass das Land die Schulden zurückzahlt, die zum Teil von der argentinischen Militärdiktatur aufgehäuft wurde, die von eben diesen Gläubigern damals unterstützt wurde. Die Mitgliedstaaten des Pariser Club haben sogar auf einer vorzeitigen Rückzahlung dieser Schulden bestanden und darüber am 29.Mai dieses Jahres – also 13 Jahre nachdem Argentinien die Zahlungen an den Pariser Club eingestellt hatte – mit der argentinischen Regierung ein Abkommen geschlossen. Es sieht vor, dass Argentinien 9,7 Mrd. Dollar zahlen muss, wovon 3,6 Mrd. Verzugszinsen sind!
Die Geier sind definitiv zahlreicher, als man denken mag und beschränken sich nicht allein auf die Hegdefonds! Wenn die «tradtionellen» Gläubiger ihre Rückendeckung für Argentinien wirklich ernst meinen, müssen sie Gesetze gegen die Geierfonds beschließen und alle sittenwidrigen, illegalen und illegitimen Schulden Argentiniens streichen.
* Renaud Vivien, Jurist und aktiv beim Komitee für die Streichung der Schulden der Dritten Welt (CADTM), schrieb diesen Artikel für die belgische Tageszeitung Le Soir, vom 23.6.2014.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.