Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2014
Sechs Gründe, warum die Krankheit zu einer Epidemie wird

von Klaus Engert

Die deutschen Behörden haben unbemerkt eine unangenehme Wahrheit ausgesprochen: Ebola ist bzw. wäre für Deutschland (und andere reiche Industriestaaten) kein besonders großes Problem. In den betroffenen Ländern ist das völlig anders. Aus mehreren Gründen.Eine Neuentdeckung ist das Ebola-Virus nicht. Benannt ist es nach dem kongolesischen Fluss Ebola, an dessen Ufern es 1976 entdeckt wurde, bei der damaligen Epidemie gab es knapp dreihundert Todesfälle. Seitdem ist die Krankheit immer wieder in unterschiedlichen afrikanischen Ländern ausgebrochen, zuletzt in größerem Umfang 2007 in Uganda und (erneut) in der Demokratischen Republik Kongo.

Das Ebolavirus ist aus epidemiologischer Sicht eigentlich nicht übermäßig problematisch. Die Übertragung erfolgt praktisch ausschließlich über den Kontakt mit den Körperflüssigkeiten der Infizierten – ob Mensch oder Tier – sodass es im Gegensatz beispielsweise zum Grippevirus, das auch über die Luft übertragen werden kann, relativ einfach ist, sich zu schützen.

Hinzu kommt, dass das Virus gegen Umwelteinflüsse relativ empfindlich ist, also im Freien sofort abstirbt und durch die intakte Haut nicht eindringen kann, sondern ausschließlich über die Schleimhäute (z.B. Mund, Nase, Augen) oder über offene Wunden. Wäre das Virus so ansteckend wie beispielsweise das Influenzavirus, müsste man jetzt schon mit Hunderttausenden von Fällen rechnen.

Gefährlich ist das Virus, weil viele der infizierten Menschen sterben – je nach Virenstamm 50–80% – und weil ein Heilmittel oder eine Impfung bisher nicht verfügbar sind.

Eigentlich ist der Erreger, ein sogenanntes RNA-Virus, nicht für den Menschen «gedacht»: Kein Keim, Virus oder Parasit tötet seinen originären Wirt so rasch und in einem derart hohen Prozentsatz; er «will» sich vermehren, nicht aussterben. Die eigentlichen Wirte des Erregers sind vermutlich bestimmte Flughundarten, die Übertragung auf Menschen oder auch auf bestimmte Wildtiere wie Affen oder Antilopen ist also eher eine Art Unfall. Der Schutz gegen eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist einfach. Das ist auch einer der Gründe, warum die bisherigen Epidemien relativ schnell eingedämmt werden konnten.

Sechs Gründe für die Epidemie

Warum hat sich jetzt aber das Virus in Westafrika so rasant ausgebreitet? Das hat sehr viel mehr mit der Situation in den entsprechenden Ländern zu tun als mit dem Virus selbst. In armen Ländern breiten sich Epidemien in aller Regel leichter und schneller aus. Sierra Leone liegt im Entwicklungs- oder besser Armutsindex (Human Development Index) auf Platz 177, Liberia auf Platz 174, Guinea auf Platz 178 und Nigeria, wo die Situation bisher noch (halbwegs) unter Kontrolle ist, auf Platz 153.

Erstens ist die medizinische Infrastruktur wenig verlässlich. In Sierra Leone war nach dem Bürgerkrieg 1991–2002 das medizinische System weitgehend zerstört und in manchen Landesteilen praktisch nicht mehr präsent. Ähnliches gilt für Liberia.

Zweitens treffen bestimmte empfohlene präventive Maßnahmen nicht ohne Grund bei der Bevölkerung auf taube Ohren: Wenn man den Verzehr von sogenanntem «bush-meat», also von Wildtieren einschließlich Fledermäusen, die einen wesentlichen Übertragungsweg darstellen, verhindern will, dann nützen Aufklärung und Empfehlungen gar nichts, solange die Menschen keine (bezahlbare) Ernährungsalternative haben. Und das ist in vielen, besonders in eher abgelegenen Gegenden der Fall.

Drittens spielt gerade bei der Bekämpfung von Epidemien der durchschnittliche Bildungsstand der Bevölkerung eine große Rolle. Und der ist in allen betroffenen Gebieten sehr niedrig. Das leistet allen möglichen sinnlosen, manchmal auch gefährlichen Legenden Vorschub. In Nigeria beispielsweise geisterte Anfang August, nachdem die ersten Fälle (eingeschleppt aus Liberia nach Lagos) aufgetreten waren, eine Empfehlung durch die sozialen Medien, man solle in Salzwasser baden und Salzlösung trinken. Trotz sofortiger offizieller Dementis befolgten die Menschen den Rat massenhaft. Ergebnis waren zahllose Krankenhausaufnahmen wegen schwerer Durchfallerkrankungen und (mindestens) ein Todesfall.

Selbst die Verantwortlichen in der Regierung sitzen allen möglichen Falschinformationen auf. So kündigte der nigerianische Gesundheitsminister am 15.August groß an, man werde ein «neues Medikament» gegen Ebola importieren. Dabei handelt es sich schlicht um sogenanntes «Nano-Silber», das als Beschichtung für Waschmaschinen und als bakterienkillender Zusatz in Kleidung, etwa Socken, Verwendung findet, aber zur inneren Behandlung einer Viruserkrankung völlig nutzlos ist.

Viertens traut ein großer Teil der Bevölkerung – wegen solcher Fälle verständlicherweise – den Verlautbarungen der offiziellen Stellen nicht über den Weg.

Fünftens sind die notwendigen präventiven Maßnahmen zur Bekämpfung der weiteren Ausbreitung (wie Isolierung, Quarantäne, Beschränkung von Mobilität) aus verschiedenen Gründen nur eingeschränkt durchführbar. Neben der fehlenden Infrastruktur, dem bereits genannten desolaten Zustand der Gesundheitseinrichtungen und dem Misstrauen spielt dabei gerade in Nigeria die verbreitete Korruption eine Rolle: Die Frage, ob man entsprechende Restriktionen umgehen kann, ist hauptsächlich eine Frage der Höhe des Bestechungsgelds – insbesondere beim Grenzübertritt.

Und schließlich ist sechstens die Sterblichkeit in armen Ländern generell höher: Die Frage, ob jemand Ebola überlebt, hängt nicht nur vom Virus ab, sondern nicht zuletzt auch vom Zustand des Immunsystems, also von der individuellen Widerstandskraft. In Sierra Leone liegt die Lebenserwartung bei nur 48–49 Jahren und die Säuglingssterblichkeit bei 158 von 1000 Geburten. So hat das Virus hier bei einer geschwächten und mangelernährten Bevölkerung leichtes Spiel.

Rassismus und Geschäft

Beim Umgang der sogenannten internationalen Gemeinschaft mit der jetzigen Ebola-Epidemie drängt sich der Eindruck eines gewissen Rassismus auf. Selbstverständlich werden die betroffenen Ausländer nicht wie die lokale Bevölkerung behandelt – die muss in den einheimischen, unzulänglich ausgerüsteten Gesundheitseinrichtungen bleiben und wird nicht in Spezialeinrichtungen nach Nordamerika oder Europa transferiert. Die kürzlich freigegebenen experimentellen Therapien wiederum stehen nur begrenzt zur Verfügung, und da stellt sich sofort die Frage der Verteilungsgerechtigkeit – wenn sie denn wirken.

Die pharmazeutische Industrie hat jedenfalls ihre Chance wahrgenommen. Die einmalige Möglichkeit, die sonst vor einer Medikamentenzulassung üblichen, langwierigen Testreihen zu umgehen und sofort einen großflächigen Menschenversuch zu unternehmen, wird die Produktionsmaschinerie rasch in Schwung bringen. Ob es etwas nützt, ist durchaus fraglich.

Erstens haben praktisch alle (wirksamen) antiviralen Medikamente erhebliches Nebenwirkungspotenzial, und zweitens wäre es nicht das erste Mal (siehe den Skandal um die «Schweinegrippe»), dass ein derartiges Vorgehen mehr Schaden anrichtet als nützt. In jedem Fall aber ist ein gutes Geschäft in Sicht.

Gleiches gilt für die Impfstoffentwicklung, die bisher eher schleppend verlief – die Zielgruppe ist ja nicht besonders solvent. Aber da jetzt die internationalen Berufshelfer von Rotem Kreuz über Ärzte ohne Grenzen bis hin zur WHO Alarm geschlagen haben, fließen die Gelder reichlich.

Das soll wohlgemerkt nicht heißen, dass man besser nichts unternehmen sollte. Aber die derzeitigen Notfallmaßnahmen, die Legionen von Helfern und Epidemiologen, die jetzt tätig werden, ändern an den oben genannten Ursachen derartiger Desaster nichts. Und so werden vor und nach der Epidemie weiter erheblich mehr Menschen an banalen behandelbaren Erkrankungen, an Unterernährung und mangelnder Hygiene sterben als an Ebola.

Denn Unwissenheit, Hunger und Unterernährung haben gegenüber einer Viruserkrankung einen entscheidenden Konkurrenznachteil: Sie sind nicht ansteckend und können deshalb auch nicht mit dem Flugzeug nach Europa oder Nordamerika eingeschleppt werden.

Sonst würden sie nämlich ebenso schnell und konsequent bekämpft, wie es derzeit mit dem Ebolavirus geschieht…

Klaus Engert lebt in Lagos, Nigeria

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