Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2014

Eine Konferenz in Jalta

von Angela Klein

Am 6./7.Juli fand in Jalta eine Konferenz von Menschen aus West- und Osteuropa statt (es sollen 50–70 Teilnehmer gewesen sein). Sie hat eine der üblichen Erklärungen hervorgebracht, die in letzter Zeit mehrfach von Linken unterschrieben wurden – mit manch richtiger Forderung gegen die Intervention des Westens, aber Stillschweigen über die Rolle Russlands und den zweifelhaften Charakter der bewaffneten Akteure in der Ostukraine.1 Der Grund dafür lag in der Zusammensetzung der Konferenz. Dass Linke, die sich antifaschistisch nennen, daran teilgenommen haben, ist ein höchst beunruhigender Umstand, weshalb hier näher darauf eingegangen werden soll.

Zur Konferenz eingeladen hatten das Zentrum für Koordination und Unterstützung einer Ukrainischen Föderation (nachstehend «Zentrum» genannt) und das Moskauer Institute for Global Research and Social Movements, das von dem im Westen bekanntesten linken russischen Intellektuellen, Boris Kagarlitzki, geleitet wird. Eine pikante Verbindung, denn das Zentrum für Unterstützung einer Ukrainischen Föderation firmiert auch als Zentrum für die Unterstützung von «Noworossija».

Neurussland nannte sich «die Wildnis», die die Zaren im 18.Jahrhundert in einer Reihe russisch-türkischer Kriege dem Osmanischen Reich abluchsten. Das Gebiet wurde verwaltungsmäßig ins Russische Reich eingegliedert und mit zahlreichen Völkerschaften besiedelt. Die Mehrheit der Bevölkerung war und blieb jedoch ukrainisch (im Gegensatz zur Krim, wo die Bevölkerung bis heute mehrheitlich ethnisch russisch ist). Nach der Oktoberrevolution und einigen Bürgerkriegswirren wurde das Gebiet Teil des neuen Staates namens Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik; die frühe Sowjetunion hatte Wert darauf gelegt, die im Zarenreich unterdrückten Völker in die staatliche Unabhängigkeit zu entlassen.

Was sich heute «Noworossija» nennt, ist die Föderation der beiden «Volksrepubliken» Donezk und Lugansk (mit Abkommen vom 22.Mai 2014). Die Begrifflichkeit weist allerdings über dieses Gebiet hinaus und nimmt bewusst Bezug auf das zaristische «Neu-Russland», das sich einst über den gesamten Südosten der heutigen Ukraine bis einschließlich Transnistrien erstreckte.

Nach Angaben der Organisatoren hatte die Konferenz in Jalta den Zweck, ein internationales Unterstützernetzwerk für das neurussische Projekt zu schaffen und im Westen Akzeptanz dafür zu gewinnen. Deshalb die Einladung an Westlinke und russische Linke, während die derzeitigen Machthaber in der Ostukraine Linke sonst eher bekämpfen.

Das «Zentrum»

Wer sind die ukrainischen Unterzeichner? Präsident des «Zentrums», das die Konferenz mitorganisiert hat, ist Alexej Anpilogow. Bis vor kurzem umschrieb das Zentrum seine Ziele auf seiner Webseite so: «Kampf der Russischen Welt für das Recht, nach eigenen Gesetzen zu leben, frei vom galizischen Neandertaler-Nationalismus und vom oligarchischen Faschismus lateinamerikanischer Prägung.» Sein Hauptzweck ist das Sammeln von Geld für den «antifaschistischen patriotischen Krieg» in der Ostukraine.

Anpilogow ist darüber hinaus ein enger Mitarbeiter von Alexander Prochanow, ein ursprünglich linksnationalistischer russischer Schriftsteller und Herausgeber der Zeitschrift Sawtra, in der er regelmäßig Vertretern der extremen Rechten und Antisemiten das Wort erteilt. Prochanow ist auch Vorsitzender des Isborski-Clubs, der ein echtes Querfrontunternehmen ist. Der Club hält sich zugute, zum erstenmal in der russischen Geschichte «Weißen» (also Monarchisten) und «Roten» (prosowjetischen Anhängern der Reichsidee) eine gemeinsame Plattform zu geben. Zu dessen Vorstand gehören der Putin-Berater Sergej Glasjew sowie der Eurasier und führende faschistische Ideologe Alexander Dugin. In seinen neu gegründeten ukrainischen Regionalstrukturen finden sich die neuen Führer von Donezk: Igor Strelkow, Alexander Borodai, Pawel Gubarew. Der Club will die politischen, ökonomischen und ideologischen Grundsteine für den neuen Staat Noworossija legen. Nicht zufällig veranstaltete er in Jalta zur gleichen Zeit und am gleichen Ort ein eigenes Treffen.

Militärpatriotismus

Mitunterzeichner Wladimir Rogow ist Vorsitzender der Slawischen Wache und des Internationalen Georgsbunds. Während die Slawische Wache «die militärpatriotische Erziehung der Jugend» im Geist des Großen Vaterländischen Kriegs pflegt und offen homophobe Propaganda treibt, hält der Georgsbund das Andenken an das «heilige Russland – das ist Russland, Ukraine und Weißrussland», aufrecht. Sein Abzeichen, das orange-schwarze Georgsband, war eine hohe militärische Auszeichnung im Zarenreich und dient heute als Erkennungszeichen der ostukrainischen Separatisten. Rogow ist auch Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Parlaments der «Union der Volksrepubliken von Noworossija». Wie das russische soziale Netzwerk VKontakte berichtete, traf er sich am 9.Juli im Verlauf der Jaltakonferenz mit dem selbsternannten «Premierminister der Republik der Transkarpatischen Rus, im Beisein von Vertretern aus der EU, den USA und Kanada», und verabredete die Bildung einer Union. Das Projekt wird auch von der ungarischen Jobbik-Partei unterstützt.

Borotba

Aleksei Albu ist ein Führungsmitglied der Partei Borotba, deren Vertreter in Deutschland gern als wahre linke Stimme aus der Ukraine herumgereicht werden. Die Partei ist eine Abspaltung von der ukrainischen KP und wurde 2011 gegründet. Mit hiesigen Verteidigern des Stalinismus teilt sie die Einschätzung, dass «der Sozialismus in der UdSSR von der Gorbatschow-Führung liquidiert wurde». Borotba bewertet die Kämpfe in der Ostukraine als proletarisch, antikapitalistisch, auf Vergesellschaftung gerichtet und von Grund auf fortschrittlich. Weder die völkische Orientierung von deren Führern noch die Zugehörigkeit einiger von ihnen zu Gruppen der monarchistischen oder extremen Rechten bereitet ihr ein Problem. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass ihr Reisekader in der BRD, Sergej Kiritschuk, «nichts davon wusste», dass zwei Autoren, die die junge Welt auf seine Anregung hin im Juni zu einer Lesung über ihr Buch «Neonazis und Euromaidan» eingeladen hatte, selber Neonazis waren. (Nachdem Indymedia die Sache ans Tageslicht gebracht hatte, wurde die Veranstaltung abgeblasen.)

Plausibler ist, dass es ihn nicht interessiert hat: Die Zusammenarbeit Borotbas mit rechtsnationalistischen Kräften in der Ukraine scheint tatsächlich strategischer Art zu sein. So haben Mitglieder von Borotba Mitte Juni in Moskau Seite an Seite mit dem Gründer der Nationalbolschewistischen Partei Russlands, Eduard Limonow, dafür demonstriert, dass Putin russische Truppen in die Ukraine schickt.2

Die Linke

Der Bericht, den Kai Ehlers über die Konferenz veröffentlicht hat3, enthält nur beiläufig eine Andeutung dieser Hintergründe, wenn es heißt: «Unterschiedliche Bewertungen gab es, worauf im Bemühen um internationale Solidarität zu orientieren sei ... Kann und soll ein einheitlicher neuer Staat ‹Noworossija› begründet werden?» Er ist ein haarsträubendes Beispiel für eine politische Verharmlosung, die an Desinformation grenzt. Über die zentrale Rolle des «Zentrums für die Unterstützung von Noworossija» bei der Vorbereitung der Konferenz verliert er kein Wort. Über den propagandistischen Zweck, den dieses damit verfolgte, auch nicht. Über die Zugehörigkeit eines Teils der ukrainischen Organisatoren und Unterzeichneten zur nationalistischen Rechten ebensowenig. Dass Westlinke als Staffage für die Erweiterung Neurusslands um Transkarpatien geführt wurden, wird verschwiegen. Ebenso die Tatsache, dass die «Erklärung», die hierzulande herumgereicht wurde, offenbar nur für ein uninformiertes Westpublikum gedacht war.

Tatsächlich verfassten nämlich parallel dazu «ukrainische Delegierte, die an der Antikriegskonferenz teilgenommen haben» ein «Manifest der Volksfront für die nationale Befreiung der Ukraine, von Noworossija und Karpatorussland»4, dessen Sprache weitaus deutlicher ist als die verschleiernde der «Erklärung». Es richtet sich nicht an Arbeiter, Gewerkschafter oder Sozialisten, sondern an «Bürger und Patrioten», formuliert ganz ähnliche Zielsetzungen wie die «Verfassung der Volksrepublik Donezk» und anerkennt die Ukraine nicht als Staat, sondern nur als «Gebiet» mit verschiedenen Völkern, die alle nur darauf warten, die geistige Überlegenheit des russischen Volkes zu erfahren und in einem Staat zu leben, dessen «höchster Wert und höchste Aufgabe» die «Interessen des Volkes uns seine allumfassende geistige, intellektuelle, soziale und physische Entfaltung sind». Die Diktion ist teilweise völkisch, etwa dort, wo das Privateigentum geschützt, der «wucherische Bankkapitalismus, der von seinen Zinsen lebt» und «nach Art der Parasiten Menschen ausbeutet», an den Pranger gestellt wird.

Linke, die sich als Antifaschisten begreifen, dürfen mit solchen Leuten nichts zu schaffen haben. Von den westlinken Teilnehmern kann man vielleicht noch sagen: Sie hatten keine Ahnung – oder wollten keine haben. Von Kagarlitzki kann man das nicht sagen, der weiß wovon er redet. In seinem Bericht über die Konferenz, der eins zu eins von der rechten Webseite rusvesna.su übernommen wurde, macht er sich das Konzept von Noworossija vollständig zu eigen, es stehe «objektiv für eine soziale Republik, für die Einheit der Völker und für wahrhafte Demokratie». Er preist den Militärchef von Donezk, Igor Girkin («Strelkow»), als «Mann der Ordnung»: Der Mann will die Ukraine auf das Maß des historischen Galiziens zurückstutzen, hat in zwei Tschetschenienkriege mit Waffen für das neue großrussische Reich gefochten und in Slawjansk – und nun auch in Donezk – das Kriegsrecht verhängt.

Auch Kagarlitzki fordert eine russische Militärintervention. Das ist bei ihm kein Ausrutscher, es ist eine neue Linie. Sie überschreitet das Maß dessen, was man als «links» noch durchgehen lassen kann. So bitter es klingt, man muss sagen: Adieu, Boris. Und auch Kai Ehlers hätte besseres zu tun, als in der Kloake zu schwimmen.

1.Der Aufruf wurde unterzeichnet von: Alan Freeman (England); Radhika Desai (Kanada); Richard Brenner (England, Workers Power); Hermann Dworczak (Österreich); Jeffrey Sommers (USA); Roger Annis (Kanada); Tord Björk (Schweden); Kai Ehlers (Deutschland); Boris Kagarlitski und Wassili Koltaschow (Russische Föderation); Alla Glintschikowa (Russische Föderation); Wladimir Rogow (Ukraine); Aleksei Anpilogow (Ukraine); Alexej Albu (Ukraine); Jana Manuilowa (Voksrepublik Donezk); Anastasia Pjaterikowa (Volksrepublik Lugansk). Und von den ukrainischen Organisationen: Zentrum für Koordination und Unterstützung einer Ukrainischen Föderation; Vereinigung Ukrainischer Bürger; Politische Partei Borotba; Slawische Wache (Saporoshe); Volkseinheit (Charkow); Lugansker Wache; Initiativgruppen des antifaschistischen Widerstands von Sumy, Kiew, Dnepropetrowsk, Saporoshe, Odessa.

2.Bei den Vertretern der Initiativgruppen des antifaschistischen Widerstands von Sumy, Kiew, Dnepropetrowsk, Saporoshe, Odessa handelt es sich mutmaßlich um Mitglieder von Borotba; bei der Volkseinheit Charkow um eine Vorfeldorganisation.

3.Der Bericht findet sich unter www.kai-ehlers.de.

4.Veröffentlicht auf www.rogerannis. com/manifesto-of-the-peoples-front-for-the-liberation-of-ukraine-novorossiya-and-transcarpathian-rus.

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