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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2014

Eine fremdenfeindliche Initiative

von Nicola Cianferoni

In der Schweiz will eine Initiative die «Überbevölkerung» begrenzen, um den gegebenen Lebensstandard und die natürliche Umwelt zu erhalten.Am 30.November 2014 wird die Schweiz über die Ecopop-Volksinitiative «Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen» abstimmen. Sie will das Wachstum der Bevölkerung der Schweiz auf jährlich 0,2% reduzieren und 10% der Steuergelder für «internationale Zusammenarbeit» Maßnahmen widmen, die die «freiwillige Familienplanung» fördern.

Die Initiative Ecopop (Ökologie und Bevölkerung) wurde 1986 gegründet. Sie steht im Ruf, nicht allzu groß zu sein (sie gibt 800 Mitglieder an) und über nur bescheidene finanzielle Mittel zu verfügen. In ihr treffen sich zwei Milieus: einerseits reaktionäre Umweltschützer, die den Menschen an sich für das entscheidende ökologische Problem halten, aber auch Aktive gegen das «Zubetonieren der Landschaft», Atomkraftgegner und Kritiker der gentechnischen Veränderung von Lebewesen, andererseits regelrecht nationalistische, fremdenfeindliche bis rechtsextreme Kräfte.

Die Gründer

Unter den Gründern der Vereinigung findet man Valentin Oehen, ein Mitglied der Nationalen Aktion gegen Überfremdung von Volk und Heimat (NA) und Förderer der Volksinitiative «Gegen den Ausverkauf der Heimat», über die 1984 abgestimmt wurde. Sie richtete sich damals gegen den Verkauf von Grundstücken und Urlaubsdomizilen an außerhalb der Schweiz lebende Ausländer.

Unter den Gründungsmitgliedern findet sich aber auch Anne-Marie Rey, Mitglied der sozialdemokratischen SP im Kanton Bern und Aktivistin der Schweizerischen Vereinigung für die Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs (SVSS, 1973 gegründet, 2003 aufgelöst, nachdem das Recht auf Abtreibung in der ganzen Eidgenössischen Föderation anerkannt worden war). Auch Benno Büeler, ehemaliges Mitglied der Grünen, der in den 70er Jahren an den Mobilisierungen gegen den Bau eines Atomkraftwerks in Kaiseraugst (im Kanton Basel) teilgenommen hatte, gehört zur Gründergeneration.

Belagertes Land?

Die Fantasievorstellung von einer Invasion der Schweiz durch Einwanderer ist bei Ecopop allgegenwärtig. Das zeigt auch der Internetauftritt der Vereinigung, wo die zahlenmäßige Entwicklung der Weltbevölkerung nebst verstopften Transportwegen gezeigt wird. Daraus ergibt sich eine Vorstellung von der Schweiz als der eines «belagerten Landes»:

«Seit im Mai 2007 die Einwanderungsbeschränkung für EU-Bürger aufgehoben wurde, liegt das jährliche Bevölkerungswachstum in der Schweiz zwischen 1,1% und 1,4%. Rund 80% davon entfallen auf die Zuwanderung. Durchschnittlich wandern seit der Einführung der vollen Personenfreizügigkeit per Saldo (Einwanderung abzüglich Auswanderung) 70000–80000 Personen in die Schweiz ein: Damit wächst die Einwohnerzahl etwa fünfmal schneller als diejenige der EU, die Zuwachsrate in der Schweiz erreicht in Spitzenjahren Werte wie im Schwellenland Indien … Aus Sicht der Schweiz ist ein Bevölkerungswachstum auf 8,5 Millionen Menschen tragbarer als ein Wert von 10 oder 12 Millionen; aus Sicht der Lebensqualität und der Nachhaltigkeit ist eine Plafonierung (Deckelung) anzustreben … Stau auf den Straßen, überfüllte Züge, steigende Mieten, überbautes Kulturland, Artensterben: Der hohe Bevölkerungsdruck reduziert die Lebensqualität und drängt die Natur an den Rand.»

Die angebliche «Überbevölkerung» – definiert als Bevölkerungszahl, die die Aufnahmekapazität und die Reserven an Ressourcen des gegebenen Territoriums überfordert – zurückzudrängen gilt als Patentrezept angesichts der mangelhaften gesellschaftlichen Infrastruktur, der zu wenigen bezahlbaren Wohnungen, des unzureichend ausgebauten Transportwesens und der Zerstörung der natürlichen Umwelt. Das sind sicherlich alles wirkliche Probleme, die Antworten erfordern.

Mangel durch Sparpolitik

Das Beispiel des Kantons Fribourg, der den höchsten Bevölkerungszuwachs der Schweiz verzeichnet, zeigt indes, wie das Problem von der offiziellen Politik angegangen wird. Die steigende Nachfrage nach Infrastruktur und öffentlichen Einrichtungen, Dienstleistungen, Wohnungen, Transportmitteln, ärztlicher Versorgung trifft auf keinerlei Willen, für diese Bereiche zusätzliche Haushaltsmittel aufzubringen. Im Gegenteil, der Kanton gehört geradezu zu den «Musterschülern» in Sachen Sparpolitik.

Die Zeitschrift Echo, Stimme des regionalen Unternehmertums, meint dazu: «Die Dynamik des Bevölkerungszuwachses in Fribourg ist eine menschliche Zeitbombe und die Zündschnüre brennt schon» (Februar 2013). Aus dieser Sicht handelt es sich also um eine Entwicklung, gegen die man nichts machen kann, und die zu einer Explosion führen wird.

Auf dieser Art Nährboden kann die Initiative gedeihen und ein Echo finden. Indem sie eine scheinbar einfache Lösung vorschlägt, die Eindämmung des Bevölkerungszuwachses, geht sie die Probleme in unpolitischer Weise an, umgeht alle Maßnahmen, die sie an der Wurzel packen würden, und führt zugleich einen dem Anschein nach sozialen Diskurs. Die Rhetorik naturalisiert gleichsam die dem Kapitalismus eigenen gesellschaftlichen Widersprüche und deckt die gesellschaftlichen Verhältnisse mit den Entgegensetzungen «Volk gegen Volk» und «Territorium gegen Territorium» zu.

Die politischen Parteien und die Unternehmerverbände sind insgesamt gegen die Initiative – nur einige Politiker der Grünen und der Grün-Liberalen sind dafür.

Im Kontext der Diskussionen über die Initiative der Schweizerischen Volkspartei (SVP) gegen Masseneinwanderung, über die am 9.Februar 2014 abgestimmt wurde, kommt es der radikalen Linken zu, sich denen entgegenzustellen, die behaupten, eine geringere Bevölkerungszahl könne die sozialen Probleme lösen, was darauf hinausläuft, Ausländer und Asylbewerber zur Zielscheibe von Angriffen zu machen. Widerstand dagegen ist nur möglich, wenn man für gleiche soziale, politische und gewerkschaftliche Rechte für alle kämpft.

Der Text der Initiative und die Argumente ihrer Betreiber finden sich unter ecopop.ch.

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