Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2014
Das Gültige vergeht nicht

von Dieter Braeg

Sixto Rodríguez marschierte wieder jeden Tag auf die Baustelle in Detroit, wo er immer schon schuftete. Er zog drei Töchter auf. Die Musik blieb ihm. Privat. Aus seinem Haus fand sie nicht mehr hinaus. Das war zu Beginn der 70er Jahre. Damals hatte Sixto Rodríguez zwei Alben aufgenommen: Cold Fact und Coming from Reality. Lässiger Folkpop mit Tiefgang, da und dort leider nur mäßig und etwas überkandidelt produziert. Aber dennoch: eine Wucht. Da trat ein Poet an, der es mit Bob Dylan hätte aufnehmen können. Rodríguez setzte einen genauen, gefühlvollen Blick auf die Gesellschaft in große Poesie um. Und dann noch diese Stimme! Die krallt sich, kommend aus einer Tiefe, wo sie mit elektrischer Hochspannung geladen wird, auf immer fest. Aber das half nichts. Die Alben floppten. Rodríguez verschwand.

Doch das Gültige vergeht nicht, und das Aktuelle ist das Bleibende. Und darum spielte Rodríguez nun in der ausverkauften Wiener Stadthalle. Seine Musik entwickelte ein Eigenleben. In Südafrika wurde sie von einer weißen, sich gegen die Apartheid auflehnenden Jugend entdeckt und verehrt. Größer als Elvis sei er dort, heißt es. Bloß wusste Rodríguez angeblich jahrelang nichts davon. Dann spürten ihn südafrikanische Fans auf und holten ihn zu Konzerten. Die Bilder dieser Konzerte zeigen nichts als pures Glück und Fassungslosigkeit.

Rodríguez ist so etwas wie der Inbegriff des Guten, des Tiefgefühlten in einer gierigen Welt der Oberflächlichkeit. Und tatsächlich wirkt der alte Mann, wie er da auf der Bühne steht mit seiner metallen gestimmten, akustischen Gitarre und seinen kargen Weisheiten wie ein Schamane, dessen natürliche Autorität jede Gebrechlichkeit überstrahlt.

Das Publikum ist gerührt und bei dem Konzert in der Wiener Stadthalle am Mittwoch schon im Jubelsturm, als Rodríguez auf die Bühne geführt wird. Denn der Fitteste ist er nicht mehr. Da das auch für die Stimme, und damit sein wichtigstes Ausdrucksmittel, gilt, verflacht der Abend musikalisch recht schnell. Aber was soll’s? Hier ereignet sich eine Messe, die jenseits musikkritischer Kategorien oder popstilistischer Wertungen stattfindet. Hier wird gefeiert, dass es Worte, Melodien, Lebensgeschichten gibt, deren Wohltat darin liegt, alle üblichen Regeln aufzuheben: Es geht um den Stillstand der Zeit. Tatsächlich atmen die meisten Songs von Rodríguez Zeitlosigkeit, weil sie, poetisch ausgereift, von der Normalität des Lebens künden, mit philosophischem Potenzial, aber ohne jede Belehrungshaltung. «Power to the People», sagt er am Ende. Und dann verschwindet Rodríguez wieder.

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