von Nadine Dyba
Die Arbeitsgruppe «AG Rechtsvereinfachung im SGB II» – sie besteht aus Mitarbeitern aus dem Bundesarbeitsministerium, der Bundesagentur für Arbeit, den Bundesländern, den kommunalen Spitzenverbänden, sowie dem Deutschen Verein – hat sich einiges ausgedacht. Über die ausgearbeiteten Vorschläge wurde noch nicht entschieden. Die Richtung, in die viele Vorschläge zielen, ist jedoch mehr als besorgniserregend und sollte weiterhin kritisch beobachtet werden.
Einige wenige Vorschläge stellen tatsächlich eine Vereinfachung dar. Zum Beispiel sollen bestimmte Personengruppen von der Pflicht, ihre Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen, befreit werden. Auch ist angedacht, die verschärften Regelungen für Personen unter 25 Jahren im SGB II aufzuheben.
Darüber hinaus finden sich unter dem Schlagwort «Rechtsvereinfachung» in Wirklichkeit Ausgrenzungsmanöver und Entrechtungsvorhaben der Behörden gegen Arbeitslose, die ihresgleichen suchen.
Die Tatsache, dass die Agenturen für Arbeit und die Jobcenter sich nicht an die eigenen Vorschriften halten, um Geld zu sparen, ist tägliche Erfahrung erwerbsloser oder niedrigverdienender Bürgerinnen und Bürger und ihrer Angehörigen. Die Jobcenter scheuen sich nicht dafür zu sorgen, dass erwerbslos gewordene Menschen entwürdigend behandelt werden und in massive existentielle Not geraten.
Dass die Menschenfeindlichkeit nun noch perfider ausgearbeitet wird, wundert (bedauerlicherweise) nicht. Es geht noch wesentlich absurder. Die angedachten Gesetzesänderungen zeugen weiter von der Grundhaltung: Das «Prekariat» darf (noch stärker) entrechtet werden.
Aus meiner Sicht werden hier Vorbereitungen getroffen, weitere rechtsfreie Räume zu schaffen. Es ist politischer Wille, dass die Agentur sich bereits jetzt völlig unerschrocken massiv über die bestehende Gesetzeslage hinwegsetzt. Und in Zukunft soll es noch viel einfacher werden, Menschen ihre Bürgerrechte zu entziehen.
Was ist geplant?
Die folgenreichsten Vorschläge der Arbeitsgruppe beziehen sich auf wesentliche gesetzliche Grundlagen, die Personen mit Bezug von Arbeitslosengeld 2 (Alg-II-Berechtigte) befähigen, sich gegen Fehlentscheidungen und Behördenwillkür zur Wehr zu setzen. Dies ermöglicht bisher §44 SGB X, auf dessen Grundlage man Überprüfungsanträge auch nach Ablauf der Widerspruchsfrist stellen kann.
Durch Überprüfungsanträge konnte u.a. erreicht werden, dass die Behörden fehlberechnete Leistungen rückwirkend (bis zu einem Jahr!) nachzahlen mussten. Auch wer durch die Behörden fehlinformiert wurde und hierdurch innerhalb der Widerspruchsfrist nicht gehandelt hatte, konnte sich des Überprüfungsantrags bedienen um seine Rechte (!) zu erwirken.
Nach §40 Abs. 1 SGB II gilt zur Zeit, dass Alg-II-Berechtigte Nachzahlungen höchstens bis zu einem Zeitraum von einem Jahr nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Bescheid rechtlich bindend geworden ist, geltend machen können. Alle anderen Personen haben dagegen einen Zeitraum von vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Bescheid rechtlich bindend geworden ist, zur Verfügung. Diese Möglichkeit soll für Alg-II-Berechtigte nun eingeschränkt werden. So wären Überprüfungsanträge nur noch bei geänderter Rechtslage oder neuen Beweismitteln zu stellen.
Alltag ist bisher, dass die Jobcenter viele fehlberechnete Bescheide aufgrund genau dieses Mittels korrekt nachberechnen mussten. Für manche Betroffenen kamen so schnell drei- oder sogar vierstellige Nachzahlungen des Amts zustande.
Wird die Anwendung dieses Paragrafen erschwert, sorgt dies zum einen dafür, dass die Jobcenter nun viel unbehelligter ihre oftmals fehlberechneten Bescheide zum Normalfall machen können. Zum anderen wird Menschen die rechtliche Grundlage entzogen, angemessen für ihre Rechte einzutretenn.
Zudem wird überlegt, dass für Leistungsberechtigte, die Bescheide des Jobcenters vor dem Landessozialgericht überprüfen lassen, einen Vertretungszwang einzuführen. Das heißt, sie müssen sich in der zweiten Instanz von einem Anwalt vertreten lassen. Das würde dafür sorgen, dass die Jobcenter endlich in Ruhe gelassen werden. Sie könnten fehlerhafte Leistungsberechnungen ohne Gegenwehr der Bürger durchsetzen – denn Alg-II-Beziehende haben nicht genug Geld, um einen Anwalt zu bezahlen. Welch eindeutiges Machtgefälle hierdurch hergestellt werden soll, wird deutlich.
Zugleich sollen die Kontrollmöglichkeiten der Jobcenter erweitert werden – durch häufigere Datenabgleiche mit anderen Behörden und Datenerhebungen im Internet.
Schlimmer geht’s nicht?
Doch, doch: Diskutiert wurde auch schon, die Möglichkeit, Verwaltungsakte mittels eines Überprüfungsantrages auf ihre Richtigkeit untersuchen zu lassen, für den Rechtskreis SGB II einfach komplett auszuschließen!!! Raus mit allen Schutzregelungen für Leute, die die Frechheit besitzen, ihre bisher staatlich zugesicherten Rechte einzufordern.
Auch eine Gebührenerhebung im Widerspruchs- und Klageverfahren wurde vorgeschlagen. Arme müssen dann erst mal Eintritt bezahlen, bevor sie auf Gerechtigkeit pochen können. Das bedeutet, dass die erste Instanz nach wie vor durch Prozesskostenhilfe finanzierbar wäre. Wer allerdings ein Urteil anfechten will, wäre ab hier verpflichtet, einen Anwalt hinzuzuziehen.
Da könnten doch sicher nette «Wir müssen draußen bleiben»-Schildchen für die Jobcenter entworfen werden. Noch wurden diese radikalen Vereinfachungen von der Mehrheit der AG abgelehnt.
Herzlichen Glückwunsch:
Mit den geplanten Vereinfachungen wird der bisher eingeschlagene Kurs des Sozialabbaus und der Herstellung von Menschengruppen, die sukzessive ihrer Bürgerrechte beraubt werden, hervorragend weiterverfolgt. Wäre es nicht folgerichtig das Grundgesetz anzupassen?
Bisher lautet Artikel 1:
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Eine stimmige Vereinfachung könnte folgendermaßen lauten:
(1) Die Würde des Menschen ist den Umständen geschuldet antastbar. Weniger Achtung und Schutz darf die staatliche Gewalt Arbeitslosen, Jugendlichen und Asylbewerbern sowie sonstigen allgemein Leistungsschwachen angedeihen lassen.
(2) Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten für alle zahlungsfähigen Bürger – als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
Bleibt zu hoffen, dass genug Menschen die Bedeutung der anstehenden Rechtsvereinfachungen erfassen, sich bundesweit zusammenschließen und solidarisieren, um Schlimmeres zu verhindern.
Wir wollen weiterhin Rechtsstaatlichkeit für alle Bürger, und wir wollen keine Sonderrechtszonen für Erwerbslose!
Wir sehen uns auf der Straße!
Nadine Dyba ist Mitglied der ALSO Oldenburg. – Abdruck mit freundlicher Genehmigung aus: Quer, Informationen von Arbeitslosen für Arbeitslose, Nr.10, Hrsg. Arbeitsloseninitiative Oldenburg (ALSO).
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