Von Jahr zu Jahr erhalten sog. «Lebensschützer» mehr Zulauf.
von Manuel Kellner
Selbsternannte «Lebensschützer» organisieren jedes Jahr im September einen «Marsch für das Leben» gegen das Recht auf Abtreibung. Diesmal waren am 20.September in Berlin 4500–5000 Teilnehmer unterwegs, laut Polizeiangaben soviele wie im vergangenen Jahr, doch 2011 waren es noch halb soviele gewesen.
Die steigende Teilnehmerzahl ist besorgniserregend, die Zahl der sich ebenfalls regelmäßig einfindenden Gegendemonstrantinnen weiterhin zu gering: Diesmal waren es 1500, denen es gelang, die Kundgebung spürbar zu stören.
Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass jede dritte Frau weltweit einmal in ihrem Leben einen Schwangerschaftsabbruch vornimmt. In 60% der Länder ist die Abtreibung vollständig verboten, im Rest überwiegend stark behindert. Die weltweite Kriminalisierung von Abtreibungen führt zu geschätzten 20 Millionen Schwangerschaftsabbrüchen unter medizinisch problematischen Bedingungen. Jährlich sterben daran 70000 Frauen, 8 Millionen tragen schwere gesundheitliche Folgen davon, 3 Millionen bekommen gar keine medizinische Behandlung – soviel zur Wirkung der Kriminalisierung von Abtreibungen auf den Schutz von Leben!
Der in der Bundesrepublik 1979 reformierte §218 erklärt Schwangerschaftsabbrüche nach wie vor für rechtswidrig, außer bei medizinischer oder kriminologischer Indikation. Bis zur zwölften Schwangerschaftswoche sind Abtreibungen seither aber straffrei, wenn sich die Frau einer Beratung unterzieht und drei Tage Bedenkzeit einhält. Insgesamt handelt es sich um eine widersprüchliche Regelung, die Frauen weiterhin kriminalisiert. Darum bleibt die Forderung nach der Abschaffung des §218 und dem vollen Selbstbestimmungsrecht der Frauen nach wie vor aktuell.
Die vorgeblichen «Lebensschützer» wenden sich inzwischen auch gegen Sterbehilfe und Pränataldiagnostik, hauptsächlich wollen sie aber die Kriminalisierung von Abtreibungen verschärfen. Ihr harter Kern ist der Bundesverband Lebensrecht e.V. als Dachverband von gegenwärtig 13 Gruppen, zu denen auch die «Christdemokraten für das Leben» in der CDU gehören. Unterstützt werden sie nicht nur von zahlreichen Unionspolitikern, sondern auch von Würdenträgern der christlichen Kirchen. Auch Papst Franziskus richtete ein freundliches Grußwort an die Organisatoren der Demonstration. Auffällig ist auch die Unterstützung durch die AfD, vertreten unter anderem durch ihre Europa-Abgeordnete Beatrix von Storch. Die war schon als junge Studentin sehr engagiert, wenn auch weniger für den Schutz des Lebens als vielmehr für die Rückgabe des Eigentums der nach dem Zweiten Weltkrieg in Ostdeutschland enteigneten Großgrundbesitzer.
Die «Lebensschützer» beschränken sich nicht auf die jährlichen Demonstrationen und Kundgebungen, auf denen übrigens fast nur Männer sprechen. Sie führen auch sog. «Gehsteigberatungen» durch, bei denen sie Frauen vor Familienberatungsstellen abfangen, bedrängen und mit Plastikpuppen drangsalieren, die Föten darstellen sollen. Wenn schon die Kostümierung als islamistische Sharia-Polizei in Deutschland nicht erlaubt ist, sollte auch diesen christlich-fundamentalistischen Glaubenskriegern das Handwerk gelegt werden.
Ihr Milieu ist ein Tummelplatz für extrem rechte Umtriebe. Klaus Günther Annen, der im Internet mit der Parole «Damals Holocaust – heute Babycaust» aufgetreten ist, veröffentlicht Listen von Ärzten, die Abtreibungen vornehmen. Er versteigt sich zu so Ungeheuerlichkeiten wie: «Wir alle sollten uns schämen, wenn wir die Verbrechen der Nazis anprangern, aber den millionenfachen Völkermord am eigenen Volke dulden und sogar rechtfertigen.» Die Relativierung des Holocaust verbunden mit der Verleumdung von Frauen kennen wir auch vom Kölner Kardinal i.R. Joachim Meisner und von Unionspolitikern. In den 80er Jahren schrieb die katholische Zeitung des Bistums Münster, Kirche und Leben: «Die Nazis haben ihren Massenmord immerhin noch mit einer Ideologie versehen. Es war nicht kaltherzige Ichsucht, wie etwa heute bei der Abtreibung. Diese Tötung aus rücksichtsloser Selbstsucht ist darum moralisch niedriger anzusetzen.»
Bei den «Lebensschützern» finden sich auch Parolen wie «Ein Volk treibt sich ab». Der Geburtenrückgang bei den Deutschen wird gleichsam als Rückschlag im Kampf der Rassen wahrgenommen – das ermöglicht die Querverbindungen zur extrem rechten Szene und die Unterstützung durch das neurechte Blatt Junge Freiheit. Hinzu kommen homophobe Hetze, die Denunziation von Empfängnisverhütung und Sexualaufklärung als unchristlich und unsittlich, die aggressiv antifeministische Ausrichtung und die rigide Verurteilung jeglicher von den überkommenen Normen abweichenden Geschlechtsidentität.
Die menschenfreundliche Maske, mit denen sich die «Lebensschützer» zu tarnen pflegen, als gehe es ihnen um Hilfe für die Frauen, ist sehr durchsichtig. Desto wichtiger ist die Aufklärung über die wirklichen Absichten und die möglichst breite Mobilisierung gegen die Auftritte dieser Herrschaften. Bündnisse wie «What the fuck», die ihnen in Berlin mit Parolen wie «Leben und lieben ohne Bevormundung» und «Selbstbestimmung muss es geben» entgegentraten, erhielten Unterstützung bzw. Grußworte unter anderem vom Regierenden Bürgermeister, von SPD, Grünen und der LINKEN. Daran gemessen war die Zahl der Gegner zu klein. Immerhin bilden Antiabtreibungskampagnen und homophobe Hetze die Einstiegsdroge für die Mobilisierung von rechtsextremem Bodensatz.
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