von Manfred Dietenberger
Der bislang längste, 50-stündige Streik der Lokführer, zu dem die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) aufgerufen hatte, traf die Deutsche Bahn an einem ihrer verkehrsreichsten Wochenenden des Jahres: In sieben Bundesländern begannen die Herbstferien, in vier weiteren gingen sie zu Ende oder dauerten an. Das schmeckte der Deutsche Bahn AG (DB) ganz und gar nicht. Sie warf der GdL vor, mit dem Streik habe sie das «Unternehmen beschädigt».Am Wochenende vom 18./19.Oktober waren rund 70% der Fernzüge ausgefallen, im Regionalverkehr fuhren die Züge nur nach einem Ersatzfahrplan. Der Lokführerstreik verursachte nach DB-Angaben einen wirtschaftlichen Schaden «in zweistelliger Millionenhöhe».
Kurz vor Streikbeginn hatte die Bahn noch schnell ein neues Tarifangebot unterbreitet: Die Lokführer sollten 2,1% mehr Geld ab 1.Dezember 2014, 1,5% im Juli 2015 und 1,4% im Juli 2016 bekommen. Darüber hinaus sollte es für die fünf Monate seit Auslaufen des alten Tarifvertrags im Juni 2014 einen Einmalbetrag von 325 Euro geben. Die GDL aber hatte 5% Lohnerhöhung für 12 Monate und die Verkürzung der Wochenarbeitszeit um zwei Stunden gefordert. GDL-Chef Weselsky erklärte allerdings kurz vor Streikbeginn: «Das Bahn-Management hat einen einzigen Punkt zu entscheiden: Tarifpluralität oder Tarifeinheit. Alles andere ist Schauspiel.»
Wie gleichgeschaltet bezeichnete die Journaille vor und während des Streiks die Forderungen der Lokführergewerkschaft als «völlig überzogen». Der Wirtschaftsrat der CDU forderte angesichts der Streiks, Kleingewerkschaften «dringend» zu begrenzen. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Karl Schiewerling verlautbarte, er glaube nicht, dass die Bürger den Machtkampf der Lokführer noch lange hinnehmen. Katja Mast, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, sprang ihm bei: «Jede Gewerkschaft hat das Recht zu streiken ... Aber es ist keine gute Entwicklung, wenn einzelne kleine Gruppen das Streikrecht beanspruchen, um mehr für sich herauszuholen als für alle anderen Beschäftigten.»
Bundesregierung und Arbeitgeber versuchen nun, das Wasser auf ihre Mühlen zu lenken und die Stimmung für eine neue Propagandaoffensive in Sachen «Tarifeinheit per Gesetz» zu nutzen. Konservative Arbeitsrechtsexperten äußern sich scheinbar skeptisch über das geplante Gesetz zur Tarifeinheit. «Juristisch ist das ein Ritt auf der Rasierklinge», erklärt CDU-Experte Schiewerling, «die Verfassung setzt beim Thema Tarifeinheit enge Grenzen.» Man dürfe sich «von dem Gesetz keine Wunder erwarten.» Die Bundesregierung könne den Machtkampf der Arbeitnehmervertreter nicht einfach dadurch lösen, dass sie «die Gewerkschaften zur Kooperation zwingt. Wenn es zwei Gewerkschaften in einem Betrieb gibt, muss es eine Art Stufenplan geben, um zu einer Einigung zu finden, notfalls mit einem Schlichter». Mit dem Gesetzentwurf zur Tarifeinheit wird sich die Große Koalition laut Nahles am 3.Dezember befassen.
Zum Glück lehnen inzwischen immer mehr führende Gewerkschafter das geplante Gesetz ab. Etwa der stellvertretende Vorsitzende der zum DGB gehörenden Eisenbahner- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Klaus-Dieter Hommel. Er warnte die Bundesregierung im Focus: «Finger weg von jeder Regelung, die die Tarifautonomie einschränkt.» Ein neues Gesetz könne die augenblickliche Situation nur verschlimmbessern. «Wir wollen nicht, dass das Streikrecht berührt wird», so Hommel. Am Ende zählten noch die Richter die Mitglieder, damit sie entscheiden könnten, welche Gewerkschaft einen Tarifvertrag aushandeln darf, «das geht nicht». Auch die Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Michaela Rosenberger, sieht ein Gesetz zur Tarifeinheit «als Angriff auf das Streikrecht». Das werde die NGG auf keinen Fall akzeptieren.
Die Bild-Zeitung und der übrige neoliberalverseuchte Blätterwald sorgten darüber hinaus für massive Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Lokführerstreiks. GDL-Chef Weselsky hatte nach der Urabstimmung behauptet, 91% der Lokführer hätten sich für einen Streik ausgesprochen, das wären deutlich mehr als die in der GDL-Satzung und von den Gerichten verlangten 75%. Laut GDL haben jedoch nur «81% der mehr als 20000 angeschriebenen GDL-Mitglieder die Stimmzettel zurückgesandt». Bei einer Zustimmung von 91% würde dies bedeuten, dass tatsächlich insgesamt nur rund 74% der beteiligten Gewerkschaftsmitglieder für den Streik gestimmt haben. Das aber wären klar weniger als die geforderten 75%!
Diesen – auch mich verunsichernden – Sachverhalt machte sich sofort auch die Gegenseite zunutze. Der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister, Werner Bayreuther, meldete sich mit einem Brief an Weselsky zu Wort: «Mit Erstaunen entnehmen wir der Presse der letzten Tage, dass in Fachkreisen offenbar zunehmend Zweifel daran aufkommen, ob die Urabstimmung der GDL tatsächlich zu dem von Ihnen in Ihrer Pressemitteilung vom 2.Oktober 2014 behaupteten Erfolg geführt hat. Demnach wären Ihre Arbeitskampfmaßnahmen seit dem 7.Oktober 2014 nach Ihren eigenen Regelungen unzulässig gewesen, weil Ihre Urabstimmung in Wahrheit gescheitert ist.»
Ein Sprecher der GdL konterte: «Die von der GDL zur Urabstimmung bekanntgegebenen Zahlen entsprechen dem Sachverhalt. Nach der Arbeitskampfordnung und der Satzung der GDL ist die Urabstimmung rechtens und absolut wasserdicht. Wäre dem nicht so, stünden wir schon längst vor Gericht.» Alexander Kirchner von der EVG stellte klar: «Tatsache ist, dass die GDL lediglich bei den Lokführern über eine Mehrheit verfügt. Bei allen anderen Berufsgruppen organisiert nachweislich der EVG die Mehrheit der Beschäftigten. Alle anderen Aussagen sind falsch.» Die EVG schlägt nun vor, einen unabhängigen Notar zu beauftragen, den jeweiligen Organisationsgrad der EVG und der GDL für die Unternehmen der DB AG nach Berufsgruppen zu ermitteln.
Bis Redaktionsschluss sah es so aus, als ob der Lokführergewerkschaft noch eine lange und schwere Tarifauseinandersetzung bevorstehe. Die GDL muss sich auf darauf einstellen, dass der öffentliche Druck weiter steigt. Das mediale Trommelfeuer gegen sie zeigt jetzt schon Wirkung. Die GDL wäre gut beraten, auf einige Randbedingungen zu achten: Wie lange machen die Kollegen mit? Wie entwickelt sich die Stimmung in der Öffentlichkeit? Was macht der Dachverband, also der Deutsche Beamtenbund (DBB)?
Dem medialen Druck kann die GDL nur mit großer Transparenz und massiver, um Sympathie werbender Öffentlichkeitsarbeit entgegenwirken – sonst rast sie gegen den Prellbock. Vor Ort, auf jedem Bahnhof, müsste sie die wartenden Fahrgäste mit Steikzeitung und Kaffee und Tee über die Streikziele informieren, das Gespräch auch mit ihren in der EVG organisierten Kollegen, aber auch mit den unorganisierten Kollegen suchen. Die Bahn und die Medien hätten es dann viel schwerer, die Zugnutzer gegen die Streikenden aufzuhetzen. So kann die notwendige Einheit hergestellt werden. Die drohende Alternative heißt «Tarifeinheit per Gesetz».
Doch es droht auch Unbill aus den eigenen Reihen. Schließlich entscheidet der DBB, ob sich die GDL einen langen Arbeitskampf leisten kann. Denn pro «Streikmanntag», so der Terminus technikus, bekommt die GDL vom Dachverband bis zu 50 Euro. Die zahlt die GDL ihren streikenden Mitgliedern aus, um deren Lohnausfall zumindest teilweise auszugleichen. Über die Streikunterstützung entscheidet aber wohlgemerkt der geschäftsführende Vorstand der DBB-Tarifkommission. Hier liegt denn auch ein möglicher Hebel zur Beendigung des Tarifkonflikts, dann nämlich wenn er zu lange dauert, zu teuer wird und die Kasse und womöglich auch das brave Image des Beamtenbunds belastet. Dann könnte Beamtenbund-Chef Klaus Dauderstädt die» Notbremse» ziehen.
Wohl auch der Kosten wegen scheut die GDL bislang einen unbefristeten Streik. Eine Alternative wäre die Nadelstichtaktik: etwa ein ganztägiger Streik an einem Werktag, der den Berufsverkehr trifft, dann Pause, dann wieder ein Streiktag. Die Bahn könnte wesentlich schlechter mit Gegenfahrplänen parieren. Ärgerlich ist so ein Streik für die Fahrgäste immer, besonders aber an den freien Wochenenden und auf dem Weg ins Fußballstadion. Möglich wäre auch: Das Zugpersonal – egal ob in der GDL oder in der EVG – bediente in den noch fahrenden Zügen die 1.Klasse nicht, kontrollierte in der 2.Klasse die Fahrkarten nicht und würde dafür die Züge, die hunderte von Fußballfans zum Spiel bringen, nicht bestreiken.
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