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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2014
Heftiger Protest von Gewerkschaftsmitgliedern

Ende September besetzte eine Gruppe von Flüchtlingen das DGB-Haus am Berliner Wittenbergplatz. Mit der Aktion sollte der DGB zu einer stärkeren Unterstützung der Flüchtlinge bewogen werden. Die Aktion mündete nach einer Woche in der gewaltsamen Räumung durch 200 Polizisten. Der DGB verteidigte die Beendigung der Besetzung mit der folgenden Presseerklärung:

«Die tagelange Belagerung des DGB-Hauses durch mehr als 20 Flüchtlinge und ihre Sympathisanten haben viele Beschäftigte im Hause an die Grenze der Belastbarkeit gebracht. Die politische Arbeit wurde empfindlich gestört und behindert: Unsere zahlreichen Beratungsstellen im Hause, die auch Anlaufstellen für ratsuchende Migranten und Wanderarbeiter sind, sind in ihrer täglichen Arbeit stark behindert. Dieses Gewerkschaftshaus mit seinen Projekten, in dem u.a. auch die IG BAU sowie Arbeit & Leben etabliert sind, wird zum Großteil von Beiträgen der Gewerkschaftsmitglieder finanziert und hat klar umrissene soziale und gewerkschaftspolitische Aufgaben. Flüchtlingshilfe gehört nicht dazu, damit sind die Gewerkschaften überfordert. Dafür gibt es u.a. Organisationen wie den Flüchtlingsrat oder ProAsyl. Was wir machen konnten, wurde ausgereizt. Was für Bedingungen hat der DGB eingehalten: Es wurde eine Pressekonferenz durchgeführt. Wir werden die Forderung, dass Flüchtlinge Gewerkschaftsmitglieder werden können, an unsere Mitgliedsgewerkschaften und an den DGB-Bundesvorstand weiterleiten. Wir haben ihnen ein Kontakt zu einem Mitglied des Bundestages ermöglicht. Wir haben keine Polizei geholt. Es wird eine rechtliche Beratung der Flüchtlinge stattfinden. Wir sind gern bereit, bei der Suche nach einer Unterbringungsmöglichkeit zu helfen...»

Diese Stellungnahme stieß im folgenden auf massive Kritik aus dem gewerkschaftlichen Umfeld. Der Landesvorstand der Berliner GEW folgte einstimmig einer Initiative der Jungen GEW, das Verhalten des DGB scharf zu kritisieren. Dirk Stegemann, der im Jahr 2011 das vom DGB Berlin-Brandenburg initierte «Band für Mut und Verständigung» erhalten hatte, gab die Auszeichnung mit Verweis auf die Verantwortung des DGB für den Polizeieinsatz zurück.

Der AK Undokumentierte, der im DGB-Haus eine Anlaufstelle für Wanderarbeiter und Flüchtlinge unterhält, äußerte starke Zweifel an der Darstellung des DGB-Landesbezirks. Wir dokumentieren im Folgenden seine Stellungnahme:

Zur Räumung der Geflüchteten aus dem DGB Haus am 2.Oktober 2014

Wir verurteilen die von der Bezirksleitung des DGB Berlin-Brandenburg beauftragte Räumung der Geflüchteten aus dem DGB-Haus aufs schärfste und schließen uns dem Aufruf «Nicht in unserem Namen: Refugees Welcome»* an.

Durch die polizeiliche Räumung wurden Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus der Polizei ausgeliefert mit z.T. noch ungewissen aufenthaltsrechtlichen Folgen für die Geflüchteten. Dann in einer im nachhinein veröffentlichten Erklärung kundzutun «Wir gehen davon aus, dass bei der Strafverfolgung mit Augenmaß vorgegangen wird» (DGB, 7.10.2014), ist purer Zynismus.

Wir fordern den DGB-Bezirk Berlin-Brandenburg auf, die Anzeige gegen die Geflüchteten zurück zu nehmen.

Der AK Undokumentierte Arbeit bietet seit über einem Jahr im Berliner DGB-Haus als Teil des Beratungszentrums Arbeit und Migration arbeitsrechtliche Erstberatung für Arbeitnehmer mit unsicherem Aufenthaltsstatus an. Angesichts der Ereignisse vom 2.10.2014 ist für uns unklar, ob und wie wir diese Beratungsarbeit in Zukunft fortsetzen können. Es ist zu befürchten, dass jahrelange vertrauensbildende Arbeit zwischen aktiven Gewerkschaftern und Geflüchteten durch die gewaltsame Räumung zunichte gemacht wurden.

Klarstellen möchten wir insbesondere drei Punkte:

– Falsch ist die von der Presse übernommene Aussage der Bezirksleitung, dass gewerkschaftliche Mitgliedschaft nicht für Flüchtlinge möglich sei. Zwar wird dies immer wieder in Frage gestellt, Fakt jedoch ist, dass mehrere Flüchtlinge bereits Gewerkschaftsmitglied wurden, wie z.B. durch den öffentlichkeitswirksamen Beitritt der Geflüchteten der Gruppen «Lampedusa in Hamburg» in die Gewerkschaft Ver.di. Mit einer solchen Aussage betreibt die DGB-Bezirksleitung Politik gegen die Praxis der Einzelgewerkschaften.

– In der Presseerklärung (vom 1.10.) des DGB zur Besetzung steht: «Unsere zahlreichen Beratungsstellen im Hause, die auch Anlaufstellen für ratsuchende Migranten und Wanderarbeiter sind, sind in ihrer täglichen Arbeit stark behindert.» Wir wehren uns gegen diese generalisierte Aussage, mit der die Beratungsstellen politisch instrumentalisiert werden. Es ist durch nichts belegt, dass die Beratungsstellen durch die Besetzung der Lounge «stark behindert» wurden.

– Während der Besetzung wurden wir Zeuge eines katastrophalen Kommunikationsverhaltens von Seiten der Bezirksleitung gegenüber der Gruppe «Refugee Struggle for Freedom». Anstatt auf die fachliche Expertise der Berater zurückzugreifen, verschiedene gewerkschaftliche Akteure einzubinden und Vermittlungsversuche ernst zu nehmen, wurde stur auf dem eigenen Standpunkt beharrt und die Konfrontation mit den Geflüchteten und ihren Unterstützer provoziert. Dann zu behaupten, dass die «Flüchtlinge offenbar ein ganz falsches oder nur unklares Verständnis vom Deutschen Gewerkschaftsbund haben» und gleichzeitig, dass die Handlungsmöglichkeiten «ausgereizt» worden seien, ist selbstgerecht und unverschämt. Weiterhin zu erklären, dass das DGB-Haus «unseres» ist und Geflüchtete bestenfalls Gäste, spricht Bände über den Paternalismus und die mangelnde Kommunikationskompetenz der Bezirksleitung.

Wir begrüßen es ausdrücklich, dass sich der DGB Berlin-Brandenburg für die Aufnahme von mehr Flüchtlingen in Deutschland ausspricht, deren Lebens- und Arbeitsbedingungen in Deutschland erleichtern möchte und den Berliner Senat ermahnt, die mit den Besetzern des Oranienplatz ausgehandelten Regelungen einzuhalten. Wenn der DGB öffentlich proklamiert, für eine progressivere Flüchtlings- und Migrationspolitik zu stehen, dann muss sich die Bezirksleitung aber auch daran messen lassen, wie sie in solch einer Situation agiert. Die Anordnung einer polizeilichen Räumung offenbart einen eklatanten Mangel an Sensibilität für die Situation der Geflüchteten.

Deshalb schließen wir uns der Forderung nach Ausrichtung einer gewerkschaftlichen Konferenz an, die den Umgang der deutschen Gewerkschaften mit Geflüchteten und anderen Migranten mit prekärem Aufenthalt «unter Einbeziehung der Geflüchteten, gewerkschaftlicher Institutionen und internationaler Erfahrungen» diskutiert.

*In Gewerkschaftkreisen kursieren mindestens zwei Unterschriftenlisten mit jeweils mehreren hundert Unterschriften, die sich gegen die Räumung und für eine breite und offensive gewerkschaftliche Debatte über den Umgang mit Geflüchteten aussprechen. Eine davon ging von der Konferenz «Erneuerung durch Streik» in Hannover aus.

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