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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2014

Zwischenbilanz des Volksentscheids «Hamburgs Netze»

von Gaston Kirsche

Vor einem Jahr fand in Hamburg ein erfolgreicher Volksentscheid zur Rekommunalisierung der Energienetze statt.

Parallel zur Bundestagswahl wurde am 22.September 2013 abgestimmt. Die Beteiligung war entsprechend hoch, eine knappe, aber eindeutige Mehrheit von 50,9% stimmte für die vollständige Rekommunalisierung der Energienetze: Die Stadt solle das Gas- und das Stromnetz sowie die Fernwärmeversorgung wieder zu 100% von den beiden Konzernen Vattenfall und E.on in die Öffentliche Hand holen.Anders als in Hamburg scheiterte in Berlin zwei Monate später ein Volksentscheid zur Rekommunalisierung der Energienetze an der zu geringen Beteiligung. In Berlin stimmte zwar eine Mehrheit von 83% für den Rückkauf des Stromnetzes, aber das nötige Quorum von 30% aller Wahlberechtigten wurde am 3.November nicht erreicht – am Ende fehlten 22000 Stimmen.

Die Hamburger Befürworter des Volksentscheids hatten dagegen mit einigem Geschick erreicht, dass die Abstimmung auf den Tag der Bundestagswahl gelegt wurde. So kam es zu einem interessanten Nebenwahlkampf, in dem sich unter Federführung von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) eine ganz große Koalition aus SPD, CDU, FDP, DGB und sämtlichen Kapitalverbänden der Hansestadt bis hin zur mächtigen Handelskammer für ein Nein zur Rekommunalisierung aussprach. In einer Angstkampagne wurde das Schreckensszenario aufgebaut, die Stadt müsse bei einem Entscheid für die Rekommunalisierung 2 Milliarden neue Schulden aufnehmen, um die Konzerne auszubezahlen. Das Initiativenbündnis «Unser Hamburg – Unser Netz» aus Umweltverbänden und Bürgerinitiativen sowie Engagierten aus Kirchen und Basisgewerkschaftern konnte sich demgegenüber mit dem Argument durchsetzen, rekommunalisierte Energienetze ermöglichten mehr Gestaltungsspielraum bei der Energiewende und bei den Strompreisen, weil sie nicht profitorientiert organisiert seien.

Verleumdung, Umsetzung…

Auffällig war, dass in Stadtteilen mit ärmerer Bevölkerung eine Mehrheit für die Rekommunalisierung stimmte, während man sich an den Wohnorten des hanseatischen Mittel- und Großbürgertums gegen öffentliches Eigentum aussprach. Walter Scheuerl, parteiloser Abgeordneter der CDU-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft, unterstellte in einer Parlamentsdebatte Empfängern von Sozialleistungen, ihr Kreuz beim Energienetze-Volksentscheid «ungeprüft» gemacht zu haben: «Die Zahlen veranschaulichen, dass es in den Stadtteilen mit hohem Ja-Stimmen-Anteil für manche Abstimmende nahegelegen haben mag, ungeprüft sein Kreuz bei Ja zu machen.»

Die Armen hätten falsch abgestimmt. Scheuerl bemühte dafür die statistische Auswertung, aus der hervorging, dass besonders stark dort für den Rückkauf der Energienetze gestimmt wurde, wo der Anteil der Sozialhilfeempfänger hoch liegt. Scheuerl machte so seinem Ärger über das Ergebnis Luft, der in den Monaten nach dem Volksentscheid in der Stadt auch anderenorts spürbar war.

Die allein regierende SPD trat, nachdem sie sich mit ihrer Nein-Kampagne nicht durchgesetzt hatte, umgehend die Flucht nach vorn an. Fraktionschef Andreas Dressel versprach eine zügige Umsetzung des Volksentscheids: Die beschlossene Rekommunalisierung werde «Punkt für Punkt umgesetzt». Nach einem Jahr zogen die drei offiziellen Vertrauenspersonen des Initiativenbündnisses von «Unser Hamburg – Unser Netz» – Manfred Braasch vom BUND, Theo Christiansen vom Evangelischen Kirchenkreis Hamburg-Ost und Günter Hörmann, Verbraucherzentrale Hamburg – in einer gemeinsamen Erklärung eine erste positive Zwischenbilanz: Es sei «gelungen, energie- und kommunalpolitischen Einfluss wieder in die Stadt zurückzuholen».

Diese optimistische Bilanz gilt in jedem Fall für das Stromnetz: Es befindet sich mittlerweile zu 100% in städtischer Hand. Die Konzession für den Netzbetrieb in den nächsten 20 Jahren wird voraussichtlich noch dieses Jahr an das städtische Unternehmen vergeben. Die Behauptung der Gegner des Volksentscheids, hier werde eine «Prozesslawine» mit unsicherem Ausgang auf die Stadt zurollen, hat sich damit nicht bewahrheitet. Das Stromnetz wirft im Gegenteil unerwartete Gewinne ab – die Prognosen für 2014 wurden auf 26,6 Millionen Euro nach oben korrigiert. Man versteht, dass Vattenfall nicht freiwillig auf den Besitz am Stromnetz verzichten wollte. Nun geht der Gewinn an die städtische Stromnetz AG.

Beim Gasnetz hakt es allerdings: Die Nochbesitzerin E.on Hanse sperrt sich, die Übernahmeverhandlungen laufen immer noch. Der Wert des Gasnetzes wurde 2011 auf etwa 320 Millionen Euro taxiert, der Konzessionsvertrag mit der Stadt läuft bis Ende 2018. Der Stadt steht aber ein Sonderkündigungsrecht für 2016 zu. Auch hier gehen die Initiatoren des Volksentscheids derzeit davon aus, dass es zu einer Einigung im Sinne des Volksentscheides kommen wird.

…und Verzögerungen

«Ein Fragezeichen in Bezug auf die Umsetzung des Volksentscheides stellt sich allerdings noch bei der Fernwärme», sagen die Vertrauenspersonen von «Unser Hamburg – Unser Netz». «Der Senat hat sich für eine vertragliche Regelung entschieden, die vorsieht, die Übernahme des Vattenfall-Fernwärmenetzes einschließlich der Erzeugungsanlagen erst 2019 zu vollziehen.» Ob die politische Zusage des Hamburger Senats zur Übernahme der Fernwärme durch die Stadt belastbar ist, muss sich erst noch zeigen.

Denn es geht um eine Cash Cow: Zum Fernwärmenetz gehören auch die Heizkraftwerke. Anders als beim Strom kann nur Vattenfall das Netz technisch nutzen – ein Monopol. «Als MieterIn kann ich gar nicht wechseln, als Wohneigentümer nur mit hohen Investitionen für eine eigene Heizungsanlage», so die Partei Die LINKE, die den Volksentscheid neben den Grünen unterstützet hat, in einer Erklärung zum Jahrestag des Volksentscheids: «Die Vattenfall-Kunden sind also dem Konzern und seiner Preispolitik ausgeliefert.» Bis 2019.

Nun hat sich aus dem Bündnis «Unser Hamburg – Unser Netz» heraus der «Hamburger Energietisch» (HET) gegründet. Der erklärte am 25.September: «Der Hamburger Energietisch bezweifelt den Umsetzungswillen des Senats im Bereich der Energienetze, insbesondere aber der Fernwärme.» Er berief sich dabei auf eine Erklärung der Umweltsenatorin Jutta Blankau: «2018 entscheiden wir, ob wir kaufen oder nicht.»

Deshalb startete der HET eine große Flugblattverteilung, um Druck zu machen: «Der Volksentscheid darf nicht verzögert oder untergraben werden!» Der Energietisch setzt sich mit Nachdruck «für die vollständige, politische und praktische Umsetzung des erfolgreichen Volksentscheids, zusammen mit ‘Unser Hamburg – Unser Netz’» ein. Aktive des Energietischs wollen im anstehenden Bürgerschaftswahlkampf die Kandidierenden fragen, ob sie sich für eine Umsetzung des Volksentscheids einsetzen. Gewählt wird in Hamburg am 15.Februar 2015.

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