von Rolf Euler
Neue Enthüllungen aus dem Material von Edward Snowden: Der BND ist in hohem Maße in die Überwachungsmaßnahmen des NSA einbezogen und vor allem selbst tätig geworden.
Als die ersten Veröffentlichungen aus den Dokumenten von Edward Snowden bekannt wurden, hieß es noch, das sei alles nur Sache der NSA. Die Bundesregierung reagierte erkennbar erst, als bekannt wurde, dass Merkels Handy abgehört worden war. Nun wird klar, warum in Berlin Schweigen angesagt war: Der deutsche Auslandsnachrichtendienst BND hat – am Grundgesetz vorbei – in Deutschland dieselben Maßnahmen betrieben wie die NSA. Über Jahre hat er den Internetknoten DE-CIX in Frankfurt genutzt, um den Internetverkehr auszuwerten.
Keine Datenprüfung vor Weitergabe
Der Internetknoten DE-CIX in Frankfurt am Main ist seit 1995 in Betrieb und verbindet die Internet-Service-Provider miteinander – also diejenigen Firmen, deren Kunde Menschen mit Internetverbindung sind. 2012 war der DE-CIX-Knoten der weltweit zweitgrößte, was die Beteiligung von Providerfirmen angeht, und der größte, was die Datenmenge angeht. Pro Sekunde passieren mehrere Terabyte diesen Datenleitungsknoten, dessen Server in mehreren Rechenzentren an mindestens sieben Stellen in Frankfurt am Main stehen.
Fast der gesamte Daten-, E-Mail- und Internetverkehr der deutschen Bevölkerung, der Wirtschaft und der Verwaltungen läuft über diesen Knoten und wird über diesen, soweit internationale Adressaten oder Server angesteuert werden, an die anderen Länder der Welt weitergeleitet. Das heißt, dass der gesamte Datenverkehr an dieser zentralen Stelle ausgeleitet und mitgelesen werden kann – darüber gibt es interne Absprachen zwischen Geheimdiensten und Providern, vielleicht sogar geheime Gesetze.
So wurde schon 2013 – nach mehreren Dementis – öffentlich, dass die Betreiberfirma des DE-CIX-Knotens, die private DE-CIX Management GmbH mit Hauptsitz in Köln, vom BND gezwungen wurde, ihm Zugriff zu gestatten (Heise online, 2.7.2013).
Doch erst in der letzten Zeit wurde aus dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags bekannt, in welchem Ausmaß auch deutsche Bürger – in Verletzung der Verfassung und der Gesetze – von dieser Ausspähaktion betroffen waren. Nachdem noch im letzten Herbst behauptet wurde (Heise online, 6.10.2013), eine Überwachung deutscher Kunden der zur Ausleitung des Datenverkehrs gezwungenen Provider fände nicht statt, aber auch keine näheren Angaben gemacht wurden, wie eine solche vermieden werden könne, musste nun zugegeben werden, dass der BND bei der Überwachung des DE-CIX und der Weiterleitung der Daten an die US-Geheimdienste nicht gewährleisten kann, dass die Daten deutscher Staatsbürger vorher gelöscht werden.
«Putsch» gegen geltendes Recht
Im Juni dieses Jahres wurde bekannt, dass der BND Daten an die NSA weitergeleitet hatte und dass diese Daten aus dem Knotenpunkt DE-CIX in Frankfurt stammten. Die grenzenlose internationale Überwachung fand also in Arbeitsteilung statt: An den landesinternen Knoten lasen die «eigenen» Geheimdienste mit, an den Verbindungsknoten nach Übersee die US- und britischen Geheimdienste. Die Zusammenarbeit war durch Abkommen geregelt, die aber natürlich der Geheimhaltung unterliegen. So durfte der DE-CIX-Betreiber nicht zugeben, dass und wie die Geheimdienstzugriffe stattfanden. Eine der entscheidenden Figuren in diesem Spiel ist der damalige Kanzleramtschef Steinmeier, SPD, heute Außenminister.
Man muss sich immer wieder klarmachen, dass mit dieser Zusammenarbeit der Geheimdienste ein regelrechter «Putsch» gegen bisher geltende Rechtsnormen der beteiligten Länder stattfindet, und dass es hauptsächlich Edward Snowden zu verdanken ist, dass dies öffentlich wurde.
Unter dem Deckmantel der «Abwehr gegen Terrorismus» findet ein weltweiter genereller und anlassloser Überwachungsbetrieb statt, der ohne Verdacht alle Menschen trifft, die mit dem Internet verbunden sind, sei es über Computer oder über Smartphones. Nicht nur ihre Verbindungen, Vorlieben und Suchanfragen oder ihr Verhalten im Internet, auch ihr jeweiliger Standort beim Handybetrieb, das heißt ihre Reisen und Aufenthalte, werden registriert und – im Bedarfsfall – ausgewertet, ihnen zugeordnet und mit anderen Daten verknüpft. Profile werden auf Unregelmäßigkeiten untersucht, Normalität wird von Geheimdienstmitarbeitern definiert. «Alles immer über alle zu wissen» – diese Vorgabe des NSA-Chefs gehört zu den Aufgabenbeschreibungen auch des BND.
«Whistleblowing» ist dringend nötig
Nach den Dementis die «Nichtkommentierung» – so reagieren die offiziellen Stellen auf die Enthüllungen. Der BND hat in den Jahren 2004–2007 Daten aus dem DE-CIX an die USA weitergegeben. Ein großer, ungenannter Internetprovider hat dem BND auch später Zugriff auf den Datenknoten gewährt (Heise online, 17.7.2014).
Aber erst Anfang Oktober legten Veröffentlichungen noch einmal nahe, dass der BND tatsächlich – im Widerspruch zu sämtlichen gesetzlichen Regelungen der Bundesrepublik – Daten deutscher Bürger an die NSA weitergegeben hat. Diese Weitergabe hätte mindestens dem Parlamentarischen Kontrollausschuss, der die Geheimdienste kontrollieren soll, angezeigt werden müssen – das ist offensichtlich nicht erfolgt.
Edward Snowden wurden nach seiner Flucht und seinen Veröffentlichungen mehrere Preise verliehen. Er ist Träger u.a. des Alternativen Nobelpreises, «weil er mit Mut und Kompetenz das beispiellose Ausmaß staatlicher Überwachung enthüllt hat, die grundlegende demokratische Prozesse und verfassungsmäßige Rechte verletzt». Und er bekam die Carl-von-Ossietzky-Medaille 2014: «Edward Snowden hat mit seinen historisch einmaligen Enthüllungen die umfangreichste verdachtsunabhängige Überwachung aller Zeiten aufgedeckt», hieß es zur Begründung. Snowden wurde gemeinsam mit Glen Greenwald und Loira Portras ausgezeichnet.
Daniel Ellsberg, dem die Veröffentlichung der geheimen Pentagon-Papiere über den Vietnamkrieg im Jahr 1971 zu verdanken ist, schrieb über Edward Snowden: «Snowdens Whistleblowing gibt uns die Chance, etwas zurückzudrängen, das gleichbedeutend ist mit einem ‹Putsch der Regierung› gegen die US-Verfassung.»
In einem Interview mit dem britischen Guardian vom 10.Juni 2013 erklärte Snowden: «Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der alles, was ich tue und sage, aufgezeichnet wird. Solche Bedingungen bin ich weder bereit zu unterstützen, noch will ich unter solchen leben.» Wer aber sorgt dafür, dass wir nicht unter diesen Bedingungen leben müssen?
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