von Jochen Gester
International aufgestellte Konzerne gruppieren ihre Belegschaften je nach Entwicklung der regionalen Märkte ständig um, saugen bei guter Auftragslage Arbeitskraft auf und stoßen sie wieder aus, wenn das Geschäft erlahmt. Nicht selten passiert dies auch gleichzeitig. In der einen Region wird eingestellt, in der anderen entlassen. So ist dies auch bei Osram, einer früheren Siemens-Tochter.Konzernweit arbeiten 34000 Beschäftigte für Osram. Auf die deutschen Standorte in Berlin, München, Augsburg, Regensburg, Schwabmünchen, Wipperfürth und Eichstedt entfallen heute noch 9500. Fast soviel Beschäftigte hatte in den 70er Jahren allein das Werk in Berlin.
Im Rahmen des Restrukturierungsprogramms «Push» soll die Zahl der Standorte von 43 (Stand 2011) auf 33 reduziert werden. Über die Frage, welche Standorte aufgegeben werden sollen, werde – so Konzernchef Wolfgang Dehen – «entsprechend der jeweiligen Marktentwicklung und Wettbewerbsfähigkeit» entschieden.
Um den Wert der Aktien, die beim Börsengang 2013 ausgegeben werden sollten, zu steigern, hatte das Unternehmen bis dahin bereits 8700 Stellen abgebaut. Doch das war nicht das Ende der Fahnenstange. Im einem zweiten Schub sollen nun weitere 7800 Arbeitsplätze abgebaut werden, an deutschen Standorten 1700 Stellen. Wirtschaftliches Ziel ist die dauerhafte Senkung der Produktionskosten um 260 Mio. Euro. (Push I hatte bis Ende 2013 einen Betrag von 760 Mio. Euro eingespielt.) Die Geschäftsleitung will sicherstellen, dass die Gewinnmarge im kommenden Jahr auf 8% steigt.
Entscheidend dürfte dafür der Marktanteil sein, den Osram im boomenden LED-Geschäft erobert. Bereits erwirtschaftet diese Sparte 33% der Erlöse, 2011 wurden hier 1200 Leute eingestellt. In China machte Osram eine neue Fertigungslinie auf, um vom starken Wachstum von LED-Produkten auf dem chinesischen Markt zu profitieren. Nach Darstellung der Konzernleitung gehen die Geschäfte mit traditionellen Leuchtmitteln zurück, ohne dass die neuen Märkte den Ausfall im gleichen Umfang kompensieren können. Deshalb konzentriert sich die geplante Entlassungswelle auf Niederlassungen mit traditionellen Produkten wie Stromsparlampen und Leuchtstoffröhren.
Ein Hüpferlein
Die Reaktionen der IG-Metall-Verwaltungsstellen auf den erneuten Personalabbau fallen unterschiedlich aus. Eine Koordination betrieblicher Gegenwehr durch den IG-Metall-Vorstand oder über die gewerkschaftlichen Betriebsräte oder Vertrauenskörper ist nicht erkennbar und wohl auch nicht gewollt. In Augsburg gibt es schon einen Sozialplan, der für die auf der Abschussliste stehenden Beschäftigten greifen soll. Die Augsburger IG Metall sieht den ganzen Standort bedroht, sollte es dort keinen Einstieg in das LED-Geschäft geben. Es gab einen Protestmarsch, an dem sich etwa 1000 Gewerkschafter beteiligten haben sollen. Die IG Metall hat auch zu einer gemeinsamen Demonstration der bayerischen Standorte anlässlich der Aufsichtsratssitzung in München aufgerufen. Über die Planung weiterer Arbeitskampfmaßnahmen an den bayerischen Standorten ist nichts bekannt.
Die Reaktion der IG Metall in Berlin hingegen fiel geradezu furios aus. Die Gewerkschaft rief zur Besetzung des Nonnendamms, einer viel befahrenden Straße vor dem Osram-Standort, auf – hier sollen 300 Arbeitsplätze abgebaut werden. Das hat es so noch nie gegeben. Der neue 1.Bevollmächtigte Klaus Abel verkündete den anwesenden etwa 200 Gewerkschaftern, diese als Kundgebung angemeldete und genehmigte Aktion sei nur der Auftakt. Was die nächsten Schritte sein sollen, erfuhren die Anwesenden jedoch nicht. Es spricht auch wenig dafür, dass die zur Solidarität bereiten Mitglieder der IG Metall oder andere Unterstützer dabei eine tragende Rolle spielen sollen.
Das einzige, was über die Presse bekannt wurde, war ein Gespräch, das der Betriebsratsvorsitzende, sein Stellvertreter und die Geschäftsleitung der Berliner IG Metall mit der Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer führten. Im Kern dürfte es dabei um Sondierungen gegangen sein, wie bestehende und neue Geschäftsfelder so gefördert werden können, dass bestehende Arbeitsplätze gesichert werden oder Ersatzarbeitsplätze entstehen. Auf dieser Schiene, der Industriepolitik, war der jetzt scheidende Erste Bevollmächtigte Arno Hager viele Jahre aktiv. Er pflegte Netzwerke in Wirtschaft und Politik, um für Berlin als Industriestandort zu werben. Diese Netzwerkpflege basiert auf Konsens und vertrauensvoller Kooperation und ist beseelt vom Geist des Co-Managements. Sie wird seit Jahren von der Vertreterversammlung unterstützt. Klaus Abel erklärte deshalb bei seiner Wahl auch, er werde die Arbeit seines Vorgängers fortsetzen.
Abel und Hager haben sich beide im Sinne des Hauptvorstands «verdient» gemacht, als sie den damaligen politischen Sekretär Luis Sergio kalt stellten, dem vorgeworfen wurde, den Kampf für einen Sozialtarifvertrag bei BSH so geführt zu haben, dass am Schluss der Bezirksleiter blamiert war. Die Strategie, ein Unternehmen mittels Arbeitskampf gegen seinen Willen zum Erhalt eines Standorts zu bewegen, war da nicht unbedingt Konsens.
Verquere Argumente
Nicht nur auf der Vertreterversammlung gibt es keine Mehrheit für einen konfrontativen Kurs der Gewerkschaft gegenüber Restrukturierungsprogrammen der Konzerne. Auch bei Osram selbst ist es nicht anders. So wie die Zeiten einer linken Mehrheit im Ortsvorstand der IG Metall Berlin Geschichte sind, so ist es auch im Betrieb. Mit dem Ausscheiden der ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden Linder und Dolinski hat die Linke im Betrieb ihren Platz geräumt.
Der neue BR-Vorsitzende Andreas Felgendreher begreift sich, wie die Mehrheit seiner IG-Metall-Kollegen in der Ortsverwaltung, als Co-Manager. Der Berliner Zeitung sagte er, er könne die Strategie der Konzernspitze nicht nachvollziehen, sie erscheine aus betriebswirtschaftlicher Sicht unsinnig. Die Konzernleitung verschwende auf fahrlässige Weise Humankapital. Statt den Trumpf auszuspielen, dass Berlin das modernste Werk in Europa sei, stehe der Standort unter Beschuss. «Das kann ich nicht begreifen.» Auch Arno Hager sprach von «sinnlosem Stellenabbau». Man müsse nun prüfen, wie die Absatzprognosen für die verschiedenen Produkte zustande gekommen seien. Der geplanten Stellenabbau müsse «substanziell» verringert werden.
Die Dominanz dieser betriebswirtschaftlichen Sichtweise beruht nicht einfach auf mangelnder Information und lässt sich deshalb auch nicht durch besseres Wissen korrigieren. Sie ist Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse und basiert auf dem Wissen der Lohnabhängigen, dass der Unternehmer über das Recht verfügt, Beschäftigte zu entlassen und auch ganze Standorte zu schließen. Diese Machtposition wird bestärkt durch die Nichtexistenz von aussichtsreichen alternativen gewerkschaftlichen Handlungsstrategien. Sie zu entwickeln ist aber für die Beschäftigten im gleichen Maße «sinnvoll» wie es für die Unternehmen sinnvoll ist, Leute rauszuwerfen, weil deren Arbeitskraft nicht mehr ausreichend profitabel ist.
Für den Kapitaleigner ist das kein «sinnloser Stellenabbau», denn er folgt der Logik des Systems, das seine Herrschaft sichert. Statt als Gewerkschafter in diesem System einen anderen Sinn zu suchen als den, der real existiert, wäre es sinnvoll, Entlassungen öffentlich zu skandalisieren, weil sie einen gesellschaftlichen Zustand zum Ausdruck bringen, in dem diejenigen, die den Reichtum und die Reproduktion der Gesellschaft garantieren, nicht selbst entscheiden können, wer, wo, wann, wie lange und was arbeitet.
Gelingt es, die Auflehnung gegen diese Machtverhältnisse zu verbreiten, kann es auch gelingen, einen Konzern dazu zu bewegen, ein Werk am Leben zu halten, das ihn etwas teurer kommt als andere Wunschobjekte. Sonst könnten ihm deutlich höhere politischen Kosten entstehen.
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