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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2014

Neuer Schwung in der Bewegung für Klimagerechtigkeit

von Patrick Bond

«Nicht auf dem Planeten Erde!» Die Bewegung für Klimagerechtigkeit hat die Beschränkung auf Umweltfragen überwunden und ist auf dem Weg zu einer globalen Bewegung, die die von fossilen Brennstoffen getriebene Produktion mit all ihren Folgeerscheinungen – Armut, Exportwirtschaft, Migration, Artensterben – grundsätzlich in Frage stellt. Patrick Bond hat an der Demonstration in New York teilgenommen und seine Eindrücke in einem Artikel für den venezolanischen Sender TeleSur festgehalten.

Der größte Marsch gegen den Klimawandel, den es je gegeben hat, fand am 21.September 2014 in New York City statt und brachte 400000 Menschen zusammen. Doch er bewegte sich vom Central Park aus nicht zum UN-Gebäude, wo zwei Tage später 120 Staats- und Regierungschefs über die größte dem Menschen drohende Katastrophe berieten – und erneut daran scheiterten, klare Vorgaben für die Reduzierung der CO2-Emissionen zu machen. Der riesige Demonstrationszug zog westwärts, dorthin, wo die größten Klimakiller der Erde hausen: die USA und, noch etwas weiter westlich, China.

Hier sitzen die meisten Ignoranten in bezug auf die Klimakrise: In den USA glauben nur 40% der Menschen, dass es eine Klimakrise gibt, in China nur 39%, in Brasilien immerhin 76%. Die USA leisten sich im Kongress einen Wissenschaftsausschuss, der von einem Dinosaurier der Republikanischen Partei geführt wird, der den Klimawandel leugnet. Aber auch die US-amerikanische Zivilgesellschaft ist voll von Einpunkt-NGOs, die unfähig sind, über ihren Tellerrand zu blicken: defätistische Umweltschützer, von denen viele vom Big Business eingekauft sind, und gesittete Gewerkschaften, die sich vor Klassen- und Umweltkampf fürchten.

Dennoch sind es wiederum die USA, wo Klimaschützer ihre größten Erfolge gegen die Kohleindustrie erstreiten konnten: 300 Kohlekraftwerke mussten bisher entweder stillgelegt werden oder sie wurden nicht gebaut. Vor drei Jahren gab es eine riesige Mobilisierung gegen den Import von Öl aus kanadischen Ölsanden. Daneben aber gibt es zahllose Kleinstkämpfe gegen Ölbohrungen und -raffinerien, und es waren deren Aktivisten, die den dynamischsten Teil der New Yorker Demonstration ausmachten.

Seit 1982 nennt sich diese Bewegung eine für «Klimagerechtigkeit». Damals war herausgekommen, dass tödliche Gifte auf einer Mülldeponie in North Carolina entsorgt wurden, und die afroamerikanischen Gemeinden standen auf. Vorher war ihr Schlachtruf gewesen: «Nicht vor meiner Haustür!», seither aber lautet er: «Nicht auf dem Planeten Erde!» In den 2000er Jahren, als die ökofeministische NGO Acción Ecológica in Ecuador ihre Arbeit im Amazonasgebiet aufnahm, wurden dann Parolen entworfen, die darauf hinweisen, dass der globale Norden eine Klimaschuld auf sich geladen hat, die er abzutragen hat, indem er für einen gerechten Übergang in ein postfossiles Zeitalter sorgt.

In New York war die «Allianz für Klimagerechtigkeit» – ein Name, den ich zuletzt fünf Jahre vorher in Kopenhagen gehört hatte – das wichtigste Netzwerk für die Zusammenführung von Dutzenden von Klimakämpfen von insbesondere indigenen Völkern in Nordamerika. Die Allianz steht für eine gesellschaftliche Vision, die eine faire Verteilung von Kosten und Nutzen der Klimapolitik und eine Transformation der Weltwirtschaft verlangt, die sie mit zwei Wörtern kennzeichnet: Post-Kohle und Post-Profit.

Besser als jedes andere Ereignis in der Geschichte hat diese Demonstration gezeigt, dass die Aktivisten sich in einem einig sind: Alle Lebensbereiche müssen einer Prüfung unterzogen und so aufgestellt werden, dass Kohle nicht mehr zum Einsatz kommt. Post-Kohle-Alternativen liegen im öffentlichen Verkehr, in erneuerbaren Energien, biologischer Landwirtschaft, neuen Konzepten der Stadtplanung bis hin zu Kreisläufen, die ohne Müll auskommen.

Aktive aus dem öffentlichen Gesundheitswesen warnten in New York vor der Ausbreitung von Epidemien auf Grund des Klimawandels; Antikriegsaktivisten stellten den Zusammenhang zwischen der globalen Erwärmung und dem Erdöl im Nahen Osten und in Afrika her und verwiesen auf die Kriege um Wasser; Demokratieaktivisten zeigten den unheilvollen Einfluss der Brüder Koch (die zweitgrößte nicht börsennotierte Gesellschaft in den USA) und anderer Kohlemagnaten in Washington und in den Hauptstädten der Bundesstaaten auf. Die Beispiele ließen sich zu Dutzenden ergänzen.

Die Hauptforderung der Aktivisten war: Die Emissionen müssen zurückgefahren werden und die Regierungen einen alternativen Entwicklungspfad finanzieren. Selbst nach sechs Stunden Demobeobachtung habe ich nirgendwo ein Schild gefunden, das eine der bei Industrie und Regierungen so beliebten falschen Lösungen gefordert hätte: Emissionshandel, CO2-Speicherung, Schwefel in die Atmosphäre (um sie zu kühlen), Algenmeere in die Ozeane (um das CO2 zu absorbieren), Agrosprit, Atomkraft, genmanipulierte Organismen und anderer Betrug dieser Art.

Ökosozialisten und Anarchisten gaben den Ton an und brachten immer wieder antikapitalistische Parolen auf. Niemand glaubt, dass das Problem gelöst werden kann, indem Kohle teuer gemacht wird.

Am Tag nach dem Marsch trafen sich noch etliche tausend entschlossenere Aktive zum «Wall Street fluten», was Occupy Wall Street vorbereitet hatte. 3000 von ihnen besetzten von 9 Uhr morgens bis 6 Uhr abends erst den Battery Park an der Südspitze Manhattans und dann sieben Stunden lang den Broadway, dort wo die Skulptur des Wall-Street-Bullen steht. Die Polizei verhaftete hundert Leute, verkniff es sich aber, unter dem Auge der Weltöffentlichkeit die Demonstration anzugreifen.

Patrick Bond ist Direktor am Center for Civil Society der Universität KwaZulu-Natal im Osten Südafrikas.

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