Im Nachbarland Belgien scheint sich ein Stimmungsumschwung anzubahnen: Für den 6.November hatten die belgischen Gewerkschaften gemeinsam zu einer Demonstration in Brüssel gegen die unsozialen Maßnahmen der neuen Regierung aufgerufen. Es kamen nicht nur 120000 Menschen (bei 11 Millionen Einwohnern!), sie kamen in großer Zahl auch aus Flandern, das bislang als die Region galt, die mit den «armen Brüdern und Schwestern» aus dem französischsprachigen Landesteil nichts zu tun haben wollte.
Neben dem christlichen und dem sozialdemokratischen Gewerkschaftsverband hatte sogar der liberale Verband CGSLB mobilisiert. Es waren auch längst nicht nur aktive Gewerkschafter auf der Straße: ein großer Frauenblock wurde angeführt von einem breiten Bündnis, das in Flandern mehrere hundert Organisationen und Initiativen aus Kultur und sozialen Bewegungen umfasst; Studierende, Schüler, die Jugendorganisationen zahlreicher Gewerkschaften und Parteien blockierten kurzzeitig den Sitz des belgischen Unternehmerverbands mit einem symbolischen Tribunal…
Die seit Oktober 2014 amtierende Koalitionsregierung des Ministerpräsidenten Charles Michel plant eine Anhebung des Rentenalters auf 42 Beitragsjahre, unterhalb davon sind Abschläge in Kauf zu nehmen. Das bringt vor allem die Frauen auf die Palme, weil sie am wenigsten Beitragsjahre in ihrem aktiven Leben erreichen. Jetzt schon liegt die Rente für fast 60% der Frauen unterhalb der Armutsgrenze.
Die Gewerkschaften erzürnt vor allem die Aufhebung der automatischen Anpassung der Löhne an die Inflationsrate; dafür wird die Mehrwertsteuer angehoben. Erwerbslose werden jetzt einem ähnlichen Regime der «Beschäftigungsfähigkeit» unterworfen, wie es die Hartz-Gesetze vorsehen. Das Arbeitslosengeld verringert sich aber mit der Dauer der Arbeitslosigkeit und die Aufstockerleistung für Langzeitarbeitslose, die einen Teilzeitjob annehmen, wird halbiert.
Die Praxisgebühr bei Fachärzten, etwa Frauenärzte, wird auf 12 Euro pro Besuch erhöht. Ein weiterer Schwerpunkt des Sparpakets betrifft die Regionen: Ihnen drohen Mittelkürzungen der Zentralregierung, die 50% der geplanten Investitionen auf Eis legen würden. Die Regionen sind u.a. verantwortlich für den Bau von Kindergärten, Altersheimen, Sportanlagen usw.
Es wird bei der Demonstration vom 6.November nicht bleiben. Die Gewerkschaften haben einen «Nationalen Aktionsplan» angekündigt, dessen nächste Etappe Streiks in verschiedenen Provinzen vorsieht.
An einigen Stellen werden auch neue Formen der Mobilisierung erprobt, so etwa im öffentlichen Dienst in Antwerpen, wo der Rechtspopulist Bart de Wever Bürgermeister ist: Hier haben die beiden Gewerkschaften im öffentlichen Dienst ein Aktionskomitee gebildet, in dem die Mitglieder aktiv mitarbeiten können, wodurch sie aus unterschiedlichen Betrieben zusammenkommen und unmittelbarer den Gang der Mobilisierung beeinflussen können. Die Gewerkschaften ihrerseits gewinnen dadurch an Ausstrahlung. Für den 15.Dezember haben sie einen Generalstreik angekündigt.
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