von Ulla Jelpke
Unter dem Label «Hooligans gegen Salafisten» (HoGeSa) attackieren gewalttätige Fußballfans und Neonazis Migranten und Muslime.
Antifaschistische Gruppierungen hatten im Vorfeld lange vor einer der größten rechtsextremen Demonstrationen der letzten Zeit gewarnt. Dagegen zeigte sich die mit gerade einmal 1300 Beamten anwesende Polizei völlig überrascht, als am 26.November rund 4800 nationalistische Hooligans und Neonazis die Kölner Innenstadt verwüsteten.Der Mob, unter dem sich mehrere hundert organisierte Neonazis der Partei «Die Rechte» und des Kameradschaftsspektrums befanden, skandierte «Ausländer raus – Deutschland den Deutschen» und «Hier marschiert der nationale Widerstand». Nazis zeigten den Hitlergruß und die rechte Hooligankombo «Kategorie C» spielte öffentlich auf. Die Randalierer warfen Polenböller und Flaschen und attackierten Migranten, Journalisten, antifaschistische Gegendemonstranten, ein chinesisches Lokal – und die Polizei, als diese die Demonstration nach mehreren Stunden endlich für aufgelöst erklärte. Ein Polizeiwagen wurde umgeworfen. Neben Passanten und Antifaschisten wurden auch 44 Polizeibeamte verletzt.
NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) behauptete anschließend gegenüber dem Fernsehsender Phoenix, der Polizeieinsatz habe «funktioniert». Bezüglich der Teilnehmerzahl habe es eine «sehr präzise Lageeinschätzung der Kölner Polizei» mit 4000 bis 4800 Teilnehmern gegeben. «Auf welche Information sich die vom Fernsehsender Phoenix zitierte Einschätzung des Ministers gründet, ist hier nicht bekannt», konterte das Kölner Polizeipräsidium. NRW-Verfassungsschutzchef Burkhard Freier gab an, seine Behörde sei von dem Aufmarsch nicht überrascht worden. Ihren Informationen nach gingen die Ausschreitungen von Hooligans aus, Rechtsextremisten hätten sich der Bewegung nur angeschlossen, diese aber nicht gesteuert. Warum der offiziell als Frühwarnsystem firmierende Geheimdienst seine Erkenntnisse offenbar nicht rechtzeitig der Polizei mitgeteilt hatte, ließ Freier offen.
Seit Jahren befasst sich fast jede Innenministerkonferenz mit dem Thema «Gewalt beim Fußball», doch die Verantwortlichen von Landes- und Bundesregierung scheinen immer dann überfordert, wenn Hooligans anfangen, einen politischen Anspruch zu formulieren und mit organisierten Rechtsextremisten gemeinsame Sache zu machen. «Bisher liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse dahingehend vor, dass es grundsätzlich durch Anhänger und Teilnehmer von HoGeSa-Veranstaltungen zu gezielten, gesteuerten und geplanten schweren Gewalttaten gegen Islamisten, linke Gegendemonstranten sowie polizeiliche Einsatzkräfte kommt», antwortete die Bundesregierung nach der Kölner Randale auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion.
Die Frage, warum sich das Bündnis von Islamhassern selbst als Hooligans – also sich offen zu Gewalt bekennenden Fußballfans – bezeichnet, stellt sich die Bundesregierung offenbar ebenso wenig wie NRW-Innenminister Jäger und die Kölner Polizei.
Der Kampf um die Rückeroberung der Stadien
2013 hatten sich ansonsten verfeindete rechtsextreme Hooligangruppen aus Karlsruhe, Mannheim, Kaiserslautern, Möchengladbach, Dortmund, Bochum und Herne unter dem Motto «In den Farben getrennt, in der Sache vereint» zu einer temporäreren Kampfgemeinschaft gegen die angeblich drohende Islamisierung Deutschlands zusammengeschlossen.
Die HoGeSa hetzt in Internetforen gegen Muslime und Zuwanderung. In Mönchengladbach und Mannheim versuchten Hooligans im März und September, Salafisten-Kundgebungen zu sprengen. Am 28.September versammelten sich rund 300 aus verschiedenen Städten zusammengekommene Hooligans in Dortmund zu ersten größeren HoGeSa-Kundgebung. Anwesend waren neben rechtsextremen Hooliganzusammenschlüssen wie der Dortmunder Borussenfront Aktivisten der als Sammelbecken für Mitglieder verbotener Nazikameradschaften dienenden Partei «Die Rechte».
Deren Dortmunder Vorsitzender, Siegfried «SS-Siggi» Borchardt, war Anfang der 80er Jahre ein Gründer der Borussenfront. Von der Borussenfront ging auch Anfang 2012 die Bildung eines, laut Spiegel-Recherchen als Gnuhonnters firmierenden, bundesweiten Hooligan-Zusammenschlusses zurück, dessen Ziel die «Herstellung alter Werte», also die Rückeroberung einer von antirassistischen Fan- und Ultragruppen untergrabenen, rechten Hegemonie auf den Rängen war.
In Dortmund, Duisburg, Rostock, München, Frankfurt, Dresden und Düsseldorf kam es darauf hin zu gewaltsamen Übergriffen rechter Hools auf linke und antirassistische Fans. Nach diesem Kampf um die Rückeroberung der Stadien ist die Gründung der HoGeSa offenbar der Versuch, mit dem populären Feindbild «Salafisten» auch gesellschaftlich Anschluss zu finden.
Unpolitisch?
Vorbild der HoGeSa ist die English Defence League (EDL), ein 2009 im britischen Hooliganmilieu entstandener Zusammenschluss rassistischer Islamfeinde. Die EDL mit mehreren tausend Anhängern ist heute eine der einflussreichsten Gruppierungen im rechtsextremen Lager Großbritanniens, mit Kontakten sowohl zur rechtspopulistischen United Kingdom Independence Party wie auch zur neofaschistischen British National Party. Ihre Mitglieder wähnen sich als Kreuzritter gegen eine angebliche Islamisierung Großbritanniens, sie betreiben Kampagnen gegen den Bau von Moscheen und marschieren vor Läden mit Halal-Produkten auf.
«Über die EDL konnten nicht nur ideologische Fanatiker, sondern auch aktionsorientierte Hooligans oder Stammtischrassisten erreicht werden», schreibt der Rechtsextremismusexperte Patrick Gensing. Aufgrund einer fehlenden festen Organisationsstruktur seien Gruppierungen wie die EDL oder die HoGeSa kaum zu greifen und schwer einzuschätzen. «Die Kommunikation und Mobilisierung läuft über das Netz, auch Verbote von Aktionen könnten so ins Leere laufen. Das Angebot ist sehr niedrigschwellig und damit attraktiv für Leute, die sich nicht kontinuierlich binden wollen.»
Gerade die rechtsextremen Hools hatten bislang darauf beharrt, «unpolitisch» zu sein und explizit antirassistischen Fan- und Ultragruppen vorgeworfen, Politik ins Stadion zu tragen. Bei einem Teil der «Normalos», die die Codes der Naziszene nicht durchschauten und «einfach nur Fußball schauen wollten», aber auch bei so manchem um Ruhe bedachten Verbandsfunktionär kam diese Argumentation an.
«Nach den Bildern vom Sonntag dürfte die vorher von Seiten der Organisatoren vielbeschworene Mär vom friedlichen Hool-Zusammenschluss, der weder rechts noch links sein will, auserzählt sein», heißt es auf der Website des antirassistisch und antikommerziellen Bündnisses Aktiver Fußballfans (BAFF). «In Köln war ein homogener deutschnationaler Mob aus gewaltbereiten Ausländerfeinden zu sehen, der unter dem Deckmäntelchen des Protestes gegen Salafisten Stärke und Macht demonstrieren wollte.»
Und die «Giasinga Buam», eine Ultragruppe des TSV München 1860, höhnte: «Dass ausgerechnet diejenigen im Namen des Fußballs gegen Islamismus auf die Straße gehen, welche sonst am lautesten ‹Fußball bleibt Fußball und Politik bleibt Politi› rufen, entbehrt jedweder Logik.» Eine Reihe von Fanprojekten äußerten sich in ähnlicher Weise. Die Vereine Fortuna Düsseldorf, Schalke 04, Werder Bremen, 1.FC Nürnberg und SC Paderborn haben den HoGeSa-Schriftzug auch auf Kleidungsstücken in ihren Stadien verboten.
(Noch) nicht anschlussfähig
Die Partei «Die Rechte» sah nach den Kölner Ausschreitungen eine «deutsche Volksfront» aus «ehemals verfeindeten Fußballfans, wütenden Normalbürgern und rechten Zusammenhängen verschiedenster Art» und verkündete: «Köln war nicht das Ende, Köln war der Anfang!» Doch ein längerfristiger Erfolg der HoGeSa wie bei ihrem britischen Vorbild EDL erscheint zweifelhaft. Das Feindbild «Islam» ist zwar bis in die Mitte der Gesellschaft hinein anschlussfähig. Doch gerade jenes besser verdienende, gebildete Publikum, das einem Thilo Sarrazin zu seinen krude-rassistischen Thesen applaudiert, aber auch jene ordnungsliebenden Kleinbürger, um deren Stimmen die Islamhassersekte Pro NRW buhlt, gehen bei Straßengewalt und umgekippten Polizeifahrzeugen schnell auf Distanz. Besoffen grölende Hools dürften in diesen Milieus einen ähnlichen Ekel auslösen wie bärtige Salafisten.
Nachdem Pro-NRW-Funktionäre den Dortmunder Aufmarsch und die Kölner Randaledemo angemeldet hatten, ging die Splitterpartei auf Distanz zu den Hooligans und verwarnte ihren Mönchengladbacher Ratsherren, Dominik Roeseler, der die Kölner Demo angemeldet hatte. Versuche von Naziparteien, dauerhaft Anhänger im Fußball- und Hooliganmilieu zu binden, scheiterten zumindest in Deutschland bislang in der Regel an der Undiszipliniertheit der Hooligans, die zwar häufig ein dumpf-nationalistisches, sexistisches und gewaltverherrlichendes Weltbild haben, aber keinen Bock auf geduldige und organisierte Parteiarbeit verspüren und sich lieber mit ihresgleichen prügeln.
Eben dieses «erlebnisorientierte» Milieu deutschnationaler Hools hat jetzt durch den Punktsieg gegen Polizei und Antifa in Köln einen nicht zu unterschätzenden Kick bekommen. Ein brandgefährliches Gemisch ist dies allemal – im Stadion und auf der Straße.
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